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Sie will sie tatsächlich: Die neoliberale Randpartei FDP will Apothekenketten – ohne drüber nachzudenken. Das trauen sich nicht mal die Grünen und die Roten. Und unser Präsident traut sich nicht mal auf den Tisch zu hauen. Aber drei wackere Apothekers trauen sich, die Hüffenhardter Videostation vor den Kadi zu ziehen. Und während Bayerns Gesundheitsministerin ihr Glaubensbekenntnis ablegt und den Apotheker aus Fleisch und Blut will, bleibt noch die Frage der Woche: Trauen sich die Apotheker zu impfen?
1. Mai 2017
„Schauen wir nicht länger zu“ heißt es auf der Homepage der FDP. Das hättest du wohl gerne, du FDP! Im Gegenteil, da schauen wir jetzt aber ganz genau zu – und hin! Mein liebes Tagebuch, was da so aussieht, als sei es unvermittelt und fast aus Versehen ins jüngst beschlossene FDP-Bundestagswahlprogramm reingerutscht, ist von der Parteispitze und nicht nur von ihr gewollt. Dumm nur, dass da ein paar Widersprüche absolut nicht passen: Die inhabergeführte Apotheke stärken, indem man das Rx-Versandverbot ablehnt und das Fremdbesitzverbot abschafft – das nennt die einst gelb-blaue und mittlerweile quietschbunte Minipartei „Faire Wettbewerbsbedingungen für Apotheken“. Was muss man da für ein Verständnis vom Markt und vom Gesundheitswesen haben, um das so zu beschließen! Mein liebes Tagebuch, das ist ein Fall für die Psychiatrie, denn es grenzt an Schizophrenie und bipolare Störungen. Das wäre so, wie wenn wir kleine Parteien stärken wollen, indem wir die 5%-Sperrklausel für Parteien auf 20 % anheben wollten. Aber das Rattenschärfste: Nach dem Beschluss kommen einige FDPler daher und wissen angeblich gar nicht, wie sich solche Forderungen ins Wahlprogramm geschlichen haben, worüber sie abgestimmt haben. Allein das ist schon desaströs, verantwortungslos. Und es kommt noch besser. Während sich Marie-Agnes S.-Z. als stellvertretende Bundesvorsitzende um Schadensbegrenzung bemüht und liberal-delirös schwafelt, man wolle keine Apothekenketten, könne sich aber eine Aufweichung des Apotheken-Mehrbesitzes vorstellen (auf dem Land auch mal vier Filialen oder vielleicht fünf oder sechs oder wie viel hätten‘s denn gern, gnä‘ Frau?), gibt es parallel dazu einige äußerst marktliberale bayerische Vorstandsmitglieder, die am liebsten den ganzen Apothekenmarkt deregulieren möchten. Apotheken ohne Schranken. Mein liebes Tagebuch, wie gesagt, wir schauen da genau zu, was diese Partei subversiv zu betreiben versucht. Oder ist die FDP mittlerweile zur Chaos-Truppe mutiert, gegen die die Piraten wie brave Internatsschüler daherkamen? Oh FDP, mir graut vor Dir!
2. Mai 2017
Apothekenketten – selbst die einstigen Ketten-Rasselbanden SPD und Grüne nehmen dieses Unwort nicht mehr in den Mund. Vielleicht, weil sie eingesehen haben, dass Apothekenketten nichts bringen und dass die Versorgung nicht besser wird? Die FDP scheint das nicht mitbekommen zu haben. Bei ihrem Versuch, wieder Oberwasser zu bekommen und möglicherweise in den nächsten Bundestag einzuziehen, probt sie erstmal den neoliberalen Rundumschlag. Der Apothekenmarkt soll dereguliert werden: Apotheken an die Kette, fordert sie frech, „weitere Marktzugangshemmnisse wie das Fremdbesitzverbot müssen abgeschafft werden“. Damit ist die FDP Deutschlands erste und einzige Partei, die Ketten-Pharmazie so unverblümt fordert. Das traut sich nicht mal der SPD-Gerechtigkeits-Messias Schulz. Und was sagt da unser ABDA-Präsident dazu? Geht er auf die Palme? Tritt er aus der FDP aus? Schreibt er einen offenen Protest-Brief an die Liberalen? Ooch, mein liebes Tagebuch, weißt du, „die Aussagen des FDP-Wahlprogramms zur Arzneimittelversorgung und zum Apothekennetz in Deutschland sind inkonsistent“, tönt es intellektuell geschliffen aus dem Berliner Lindencorso. Der Anspruch auf eine hochwertige Versorgung und die vorgeschlagenen Instrumente passen leider nicht zusammen, säuselt der Präsident. Ach was – und das ist alles? Ein bisschen inkonsistent und nicht passend? Da fordert eine Partei die Abschaffung unseres heutigen Apothekenwesens und will Ketten, und unser Präsident versucht dieser Partei liebevoll zu erklären, dass „Gesundheit kein Gut wie jedes andere ist“. Nee, nee, lieber Herr Präsident, diese Sprache verstehen marktliberale Jungspunde nicht. Versuchen Sie mal eine deutlich scharfe Ablehnung von Kettenpharmazie mit 140 Twitterbuchstaben zu formulieren – vielleicht kommt’s dann auf den Punkt.
Ein Apotheker und zwei Apothekerinnen aus der Hüffenhardter Region nehmen das Noweda-Angebot an: Mit Unterstützung der Genossenschaft leiten sie rechtliche Schritte gegen das „rücksichtslose Vorgehen“ des Versenders DocMorris und seinen Arzneimittel-Abgabeautomaten in Hüffenhardt ein. Die drei tapferen Apothekers wollen die Verstöße gegen die Apothekenbetriebsordnung nicht mehr hinnehmen. Sie schickten Abmahnungen an den Versender und fordern ihn auf, eine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abzugeben. „Für DocMorris scheint das hier der Wilde Westen zu sein“, erklären die drei wackeren Apothekers, wirtschaftliche Interessen würden da einfach ohne Rücksicht auf geltendes Recht und bestehende, gut funktionierende Versorgungsstrukturen durchgesetzt, argumentieren sie. Wenn nötig wollen die drei auch dagegen klagen, mit Unterstützung des Großhändlers.
3. Mai 2017
Der Alte ist der Neue. In Potsdam darf Jens Dobbert auch in den nächsten vier Jahren Präsident der Landesapothekerkammer Brandenburg sein. Glückwunsch! Und er will so streitbar weitermachen, wie er aufgehört hat, z. B. beim Kampf gegen die Folgen des EuGH-Urteils und für das Rx-Versandverbot. Erschüttert schaut auch er auf die FDP, die sich die Apothekenketten ins Wahlprogramm geschrieben hat. Und er lässt nicht locker: Er möchte mehr Ausbildungsplätze in der PTA-Schule in Eisenhüttenstadt und einen Pharmaziestudiengang in Brandenburg. Große Ziele. Mein liebes Tagebuch, gut so, das nenn ich visionär!
4. Mai 2017
Es ist ein erster kleiner Schritt: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte veröffentlicht jetzt eine Liste besonders wichtiger Wirkstoffe. Über 500 Einträge hat die Liste schon. Sie soll den Behörden helfen, einschätzen zu können, wie relevant Lieferengpässe sind und inwiefern diese Versorgungsrelevanz haben. Und beschwichtigend ergänzt das BfArM, dass ein Lieferengpass nicht gleichzeitig ein Versorgungsengpass sein muss. Mein liebes Tagebuch, aber wann liegt ein Versorgungsengpass vor, wie ist er definiert? Wann muss, wann sollten die Behörden Alarm schlagen? Und warum hört man eigentlich so gut wie nichts von unserer Berufsorganisation, wenn es um Liefer- und Versorgungsengpässe geht? Eine ABDA-Arbeitsgruppe, die den Markt beobachtet und auf Missstände aufmerksam macht – damit könnten wir der Öffentlichkeit zeigen, dass wir uns aktiv für unsere Patienten einsetzen. Das würden sogar Politiker verstehen. Vielleicht könnte das auch bei der Diskussion ums Rx-Versandverbot helfen: Die Apothekers – die tun was!
5. Mai 2017
Ja, gute Frage eines bayerischen Kammerdelegierten: Warum schlagen wir Apothekers nicht der Politik vor, dass wir bereit sind, neue Tätigkeitsbereiche zu übernehmen? Impfen zum Beispiel! In den USA, in Großbritannien und in einigen Kantonen der Schweiz dürfen die Apotheken ihren Kunden Grippeschutzimpfungen anbieten. Mein liebes Tagebuch, warum können, wollen, dürfen wir so etwas nicht? Na ja, das Können dürfte nicht das Thema sein. Ein kleiner Zusatzkurs und wir stürzen uns mit der Grippespritze auf die Kunden. Und das Wollen? Wollen wir Apothekers das? Da gehen, wie auch in den anderen Ländern, die Meinungen wohl auseinander. Nicht jeder will es oder traut sich das zu. Aber das wäre letztlich kein Problem, denn Mitmachen wäre freiwillig. Es hakt am Dürfen. Es gibt da wohl einige Ärzte, denen ein impfender Apotheker ein Dorn im Auge wäre. Reflexartig kommt dann der Satz von unseren Funktionären: Die Ärzte würden dann geschlossen das Dispensierrecht einfordern. Huhu, allein schon das Wort „Dispensierrecht“ ist das Totschlagargument für weitere Diskussionen oder konstruktives Nachdenken. Warum eigentlich? Mal Hand aufs Herz: Ob sich die Ärzte heutzutage das wirklich antun wollen, Arzneimittel abzugeben? Angesichts von vielen bürokratischen Auflagen, von Rabattverträgen und Retaxationsfallen, dazu noch Lagerhaltung und Lagervorschriften ist die Gefahr, dass Ärzte darauf abfahren, ziemlich gering. Außerdem müssten auch die Politik und die Krankenkassen dispensierende Ärzte wollen – sehr unwahrscheinlich. Im Gegenteil, wenn Politik und Krankenkassen sehen, dass Impfungen in der Apotheke günstiger sind, die Durchimpfungsrate steigt, da mehr Menschen das niedrigschwellige Angebot annehmen, und die Ausgaben der Krankenkassen dadurch sinken, haben wir gute Karten.
Und weil’s so schön ist: Zum Ausklang noch mal FDP.
DAZ.online hat nochmal recherchiert, ob das Befürworten von Apothekenketten ein
Versehen im Wahlprogramm war oder Absicht. Und nach allem, was einem da
FDP-Delegierte berichteten, kann da von Versehen und Zufall keine Rede sein.
Der Antrag „Weitere Marktzugangshemmnisse wie das Fremdbesitzverbot müssen
abgeschafft werden“, eingebracht von Armin Sedlmayr, Mitglied des
FDP-Präsidiums in Bayern, war den Delegierten rechtzeitig bekannt gemacht
worden. Auf dem Parteitag soll es zwar bei der Abstimmung über die Anträge ein
wenig hektisch gewesen sein, aber die Abstimmung verlief ordnungsgemäß.
Sedlmayr, Jahrgang 88 und studierter Wirtschafts- und
Steuerrechtler, steht zu seinem Antrag, für ihn gibt es für ein Fremd- und Mehrbesitzverbot
keinen Bedarf, denn für ihn als Verbraucher sei es „von völlig nachrangiger
Bedeutung, ob der Eigentümer ein approbierter Apotheker ist oder eine
Kapitalgesellschaft, ich finde es richtig, dass die Beratung durch
qualifiziertes Personal erfolgt.“ Übrigens, selbst Marie-Agnes
Strack-Zimmermann stellt sich hinter den Kettenantrag, wie sie per Twitter in 140 Zeichen
wissen ließ: „Niemand wird Parteibeschlüsse zugunsten von Lobbygruppen ändern u
auch Apothekenliberalisierung ist richtig.“ Mein liebes Tagebuch, an solchen
Äußerungen sieht man, wie kurzsichtig solche Politiker denken. Vielleicht sollten
sie sich mal mit britischen Angestellten unterhalten, die in einer
Apothekenkette arbeiten, die Abverkauf-Solls zu erfüllen haben, die darauf
getrimmt werden, bestimmte Marken zu bevorzugen. Mein liebes Tagebuch, sie
würden sich nach der inhabergeführten Apotheke sehnen.
6. Mai 2017
Bayerische Höhenflüge, mein liebes Tagebuch: Während die SPD-Gesundheitsexpertin Dittmar verbissen am Rx-Versand festhält, gleichwohl auf die Apotheke vor Ort nie verzichten möchte, hat sich Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml auf dem Bayerischen Apothekertag als unsere Apothekenministerin geoutet. Mehr geht nicht! Doch, vielleicht eins noch, mein liebes Tagebuch, sie muss in der nächsten Legislaturperiode Bundesgesundheitsministerin werden. Warum? Ganz einfach: Huml weiß, was Apotheker wünschen. Und sie setzt sich mit Haut und Haar dafür ein: fürs Rx-Versandverbot, für eine dynamische und regelmäßige Anpassung des Fixhonorars, kurzum, für den „Apotheker aus Fleisch und Blut“. Und damit es in Zukunft weniger Lieferengpässe gibt, sollte die Arzneimittelproduktion nach Deutschland und Europa zurückgeholt werden. Halleluja, das ist ein Glaubensbekenntnis, stellte der bayerische Kammerpräsident Benkert erfreut fest und schwenkte in Gedanken den Weihrauchkessel. So geht bayerische Gesundheitspolitik. Ob's hilft?
16 Kommentare
@ Holger, um was geht es ?
von Reinhard Rodiger am 09.05.2017 um 21:20 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Wie soll das gehn?
von Wolfgang Müller am 08.05.2017 um 16:48 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten
AW: Wie soll das gehen - dafür gibt es verschiedene Optionen
von Holger am 09.05.2017 um 8:43 Uhr
AW: @ holger
von Christian Giese am 09.05.2017 um 15:39 Uhr
FDP zwestellig
von Thesing-Bleck am 07.05.2017 um 23:30 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Kämpfen?
von Reinhard Rodiger am 07.05.2017 um 11:52 Uhr
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Alles bald nur noch Konzern-Seven-Star-Pharmacists?
von Wolfgang Müller am 07.05.2017 um 11:15 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 5 Antworten
AW: Zusatzverkäufe
von Holger am 08.05.2017 um 9:12 Uhr
AW: @Holger
von Peter Lahr am 08.05.2017 um 10:17 Uhr
AW: @Peter Lahr
von Holger am 08.05.2017 um 11:12 Uhr
AW: So denken natürlich Viele, machen wir uns nichts vor
von Wolfgang Müller am 08.05.2017 um 13:25 Uhr
AW: @wolfgang müller
von Holger am 08.05.2017 um 16:20 Uhr
Ein weiterer "Niedlichdenker" aus Berlin ...
von Christian Timme am 07.05.2017 um 9:40 Uhr
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Schmidt
von Frank ebert am 07.05.2017 um 9:04 Uhr
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Inkonsistenz bei Apothekenketten
von Ulrich Ströh am 07.05.2017 um 8:49 Uhr
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Inkonsistentes Schweigen
von Christian Giese am 07.05.2017 um 8:37 Uhr
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