DAZ.online-Serie Europa, deine Apotheken

Die Geschichte des europäischen Versandhandels

Berlin - 05.05.2017, 07:00 Uhr

Pillen aus dem Briefumschlag: Wo wurde wann der Versandhandel mit welchen Arzneimitteln in Europa zugelassen? (Foto: dpa)

Pillen aus dem Briefumschlag: Wo wurde wann der Versandhandel mit welchen Arzneimitteln in Europa zugelassen? (Foto: dpa)


Österreich und Frankreich wehrten sich lange gegen Versandapotheken

Obwohl der norwegische Apothekenmarkt schon 2001 dereguliert wurde (Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes), war der Versandhandel in dem skandinavischen Land noch Jahre danach untersagt. Erst das oben beschriebene EuGH-Urteil sorgte dafür, dass der Gesetzgeber den Versand erlaubte. Allerdings ließen sich die Norweger Zeit: Seit dem 1. Januar 2010 dürfen die Kettenbetreiber in Norwegen OTC-Arzneimittel im Internet anbieten. Allerdings gab es im vergangenen Jahr eine weitere, wichtige Änderung im norwegischen Apothekenrecht: Schon 2014 hatte das Parlament den Gesundheitsminister damit beauftragt, eine Freigabe des Rx-Versandes zu prüfen. Nach Vorlage eines Gesetzentwurfes beschloss das Parlament Ende 2015, den Rx-Versandhandel zu erlauben, seit Januar 2016 dürfen die Kettenbetreiber somit auch Verschreibungspflichtiges versenden. Norwegen ist somit das „jüngste“, komplett deregulierte Land, was den Arzneimittel-Versandhandel betrifft. Eine weitere Neuregelung: Seit Januar 2016 dürfen auch nicht-apothekerliche Abgabestellen (in Norwegen gibt es einige OTC-Präparate auch in Drogerien und Supermärkten) bestimmte OTC-Medikamente verschicken.

Fünf Jahre nach dem EuGH-Urteil erlaubten schon deutlich mehr Länder den Versandhandel.

2011 sorgte eine EU-Richtlinie für weiteren Antrieb in Sachen Versandhandel. In der Fälschungsrichtlinie erinnerte die EU-Kommission ihre Mitgliedsstaaten noch einmal daran, dass der OTC-Versand erlaubt werden müsse. Denn es gab immer noch Länder, die den Versandhandel auch nach dem DocMorris-Urteil von 2003 entweder komplett verboten oder zumindest nicht genau regelten. Die Fälschungsrichtlinie legte nun genau fest, welche Anforderungen Versandapotheken in den EU-Staaten erfüllen müssen, um als „sicher“ zu gelten. Unter anderem wurde ein Sicherheitslogo eingeführt.

In Frankreich beschloss das Parlament beispielsweise erst Ende 2012 ein Gesetz, mit dem der OTC-Versand erlaubt wurde und die Fälschungsrichtlinie in französisches Recht übernommen wurde. Zuvor war bereits die Regierung von Nicolas Sarkozy an einer Deregulierung gescheitert. Seit 2013 können in Frankreich nun etwa 500 OTC-Präparate im Internet bestellt und versendet werden. Ähnlich lief es in Italien ab. Nach dem ersten DocMorris-Urteil des EuGH gab es immer wieder einzelne Apotheker, die OTC-Präparate im Internet anboten, dafür aber vor Gericht landeten und ihren Versand dann einstellen mussten. Erst 2014 übernahm der italienische Gesetzgeber die EU-Fälschungsrichtlinie und stellte somit erstmals Voraussetzungen für den OTC-Versand auf. Noch ist der Versandhandel in Italien aber eher eine Nischenerscheinung.

Als letztes beugten sich Luxemburg und Österreich der Entwicklung. In Luxemburg hatte eine Apothekerin eine OTC-Versandapotheke eröffnen wollen und die Regierung dafür beklagt, dass sie bislang weder auf das EuGH-Urteil noch auf die Fälschungsrichtlinie reagiert hatte. Der Gesetzgeber beugte sich und ließ 2014 den OTC-Versand zu. Heute wirbt die „Pharmacie de Steinfort“ auf ihrer Internetseite damit, die „erste Versandapotheke Luxemburgs“ zu sein. Bei unseren Nachbarn im Süden war der Versandhandel lange Zeit ein Politikum. Während die Regierung bis 2015 darauf verzichtete, den OTC-Versand zuzulassen, begannen EU-Versandapotheken Österreicher zu beliefern. Der Druck auf den Gesetzgeber wurde allerdings größer. Im Juni 2015 fiel dann der Startschuss für den OTC-Versand auch in Österreich. Bislang ist das große Interesse daran aber ausgeblieben: 2016 hatten sich lediglich 24 öffentliche Apotheken zur Teilnahme am Versandhandel angemeldet.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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2 Kommentare

Versandhandel, unsere neue Zielsetzung??

von Heiko Barz am 05.05.2017 um 12:02 Uhr

Bei dieser umfangreich verwirrenden Rechtslage der Arzneimittelbelieferung im Europäischen Raum kann und wird es mit Sicherheit keine erkennbar klaren Zukunftsperspektiven mehr geben.
Hier macht jetzt jeder was er will. Die Übersichtlichkeit, die Kontrolle und die Qualität der Arzneimittel wird für ausschließlich unkontrollierbare Kapitalvermehrung geopfert.
Ist das noch im Sinne unserer so lang diskutierten Apotheke 2030? Und wie seht unsere ABDA dazu??
F.Schmidt, wo ist Deine eindeutig klare Zielsetzung?
Die jetzige Lage läßt jede pharmazeutische Autentizität und unsere akademischen Leistungsprinzipien vermissen.
Da haben wir bündelweise Apothekengesetze und Rechtsnormen, die schon von einem Deutschen Justiz-und Gesundheitsminister wissentlich und unbestraft und ohne jede Konsequenz unterlaufen wurden ( J. Hecken ist heute Chef des GBA ).
Dazu noch inflexible und überflüssig hochdotierte Apotheken- und Industrie und Handelskammern, dennoch gibt es einen ungebremsten Wildwuchs der wie Pilze aus dem Boden schießenden Versender. Jeder möchte sich schnell an diesen 'dicken' Pfründen laben, bevor es vielleicht-politisch gewollt- ein schnelles Ende nimmt mit diesen paradiesischen Gewinnen.
Diese pharmazeutische Kakophonie, die sich derzeit in den Medien breit macht, ist jedenfalls in keiner Weise zielführend für die, um die es eigentlich geht, die Patienten.
Ich mache nun schon über 50 Jahre Apothekenwellenbewegungen in jeder Form mit. Die derzeitige, seit Oktober 2016, irrationale und großteils unkontrollierbare Arzneimittelversorgung hat nur ein Ziel, die klaren und eindeutigen deutschen Apothekenvorschriften und Gesetze zu unterlaufen, abzuwerten und letzlich abzuschaffen.
Auch wenn sich jetzt einige dieser "Wilderer" im Apothekenmarkt geldgierig die Hände reiben, so sollte man denen aber klarmachen, dass sie nicht das Ende der Versorgungskette sein werden. Ich sage da nur, vergeßt mir AMAZON und Co. nicht.

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Die ewig Gestrigen

von Thomas Luft am 05.05.2017 um 11:34 Uhr

Zunächst herzlichen Dank für den sehr informativen Artikel. Insbesondere das Beispiel Dänemark zeigt, wie es bei uns hätte besser laufen können. Aber damals, als DocMorris noch in den Kinderschuhen steckte, wäre eine solche Bestellplattform der deutschen Apothekerschaft mit den Führungskräften Friese/Keller/Schmall niemals möglich gewesen. Zu verbohrt und zu selbstsicher. Es mag jeder selbst entscheiden, ob das heutige "Dreigestirn" offener für neue Ideen ist.

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