DAZ.online-Serie Europa, deine Apotheken

Die Geschichte des europäischen Versandhandels

Berlin - 05.05.2017, 07:00 Uhr

Pillen aus dem Briefumschlag: Wo wurde wann der Versandhandel mit welchen Arzneimitteln in Europa zugelassen? (Foto: dpa)

Pillen aus dem Briefumschlag: Wo wurde wann der Versandhandel mit welchen Arzneimitteln in Europa zugelassen? (Foto: dpa)


DocMorris-Urteil vom EuGH änderte alles

Ende 2003 folgte dann das EuGH-Urteil zum Arzneimittel-Versandhandel, auf das sich die Rx-Versandhandels-Befürworter auch jetzt noch berufen. Nach seiner Gründung hatte DocMorris aus den Niederlanden Kunden in Deutschland mit Rx und OTC beliefert, obwohl damals beides noch streng untersagt war in Deutschland. Zur Erinnerung: Erst 1998 hatte der Gesetzgeber den Arzneimittel-Versandhandel per AMG-Novelle verboten, zuvor hatte er schlicht keine Rolle gespielt. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) klagte daher gegen die DocMorris-Praktiken. Der Europäische Gerichtshof erlaubte daraufhin zwar den grenzüberschreitenden Versandhandel mit OTC-Arzneimitteln. Gleichzeitig stellte er den Mitgliedsstaaten aber frei, eigene Regulierungen zum Rx-Versand zu treffen.

Für die deutschen Apotheken kam das Urteil am 11. Dezember 2003 allerdings zu spät: Zuvor hatte der Gesetzgeber bereits im „vorauseilenden Gehorsam“ beschlossen, den Arzneimittelversandhandel für Rx und OTC gleichermaßen zuzulassen. Diese Entscheidung fiel 2003 in der ganz großen „Gesundheitskoalition“: Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hatte nicht nur den grünen Koalitionspartner sondern auch die Union mit im Boot (nur die FDP machte nicht mit!). Man war sich sicher: Der EuGH würde das Versandverbot gänzlich kippen. Obwohl die Politik eines besseren belehrt wurde, trat das GKV-Modernisierungsgesetz dann samt Zulassung des Versandhandels zum 1. Januar 2004 in Kraft.

Vor dem DocMorris-Urteil war der Versandhandel in Europa noch eine Rarität (2002).

Das Urteil sorgte aber nicht nur in Deutschland für große Veränderungen im Apothekenmarkt. Nach und nach sollten in den folgenden Jahren die Versandhandelsverbote fallen. Einige Staaten wehrten sich länger gegen die Vorgaben des EuGH-Urteils, andere handelten sofort. In Irland wurde der Versandhandel 2006 dereguliert. Ähnlich wie in England gilt auch in Irland eine gelockerte Apothekenpflicht – viele OTC-Präparate können auch in Supermärkten gekauft werden. Seit 2006 dürfen solche Präparate auch von privaten Betreibern verschickt werden, also beispielsweise Supermarktketten. Das gesamte OTC-Sortiment dürfen allerdings nur Apothekenbetreiber verschicken. Der Rx-Versand ist in Irland allerdings bis heute untersagt.

Auch Portugal reagierte: 2007 beschloss das Parlament ein Dekret, nach dem Apotheker OTC-Präparate innerhalb Portugals und ausdrücklich auch in andere Länder versenden dürfen. Die Pharmazeuten benötigen für ihre Internetseiten allerdings eine Zulassung der Arzneimittelbehörde Infarmed. Die Behörde prüft bei allen Anträgen, ob hinter den Internetseiten auch ein Apotheker steckt. Zwei Jahre später folgte Belgien: Seit Januar 2009 dürfen belgische Apotheker OTC-Präparate im Internet verkaufen. Und bei unseren Nachbarn könnte es schon bald die nächste Veränderung geben. Laut belgischem Apothekerverband arbeitet das Parlament derzeit an einem Gesetz zur Freigabe des Rx-Versandhandels.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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2 Kommentare

Versandhandel, unsere neue Zielsetzung??

von Heiko Barz am 05.05.2017 um 12:02 Uhr

Bei dieser umfangreich verwirrenden Rechtslage der Arzneimittelbelieferung im Europäischen Raum kann und wird es mit Sicherheit keine erkennbar klaren Zukunftsperspektiven mehr geben.
Hier macht jetzt jeder was er will. Die Übersichtlichkeit, die Kontrolle und die Qualität der Arzneimittel wird für ausschließlich unkontrollierbare Kapitalvermehrung geopfert.
Ist das noch im Sinne unserer so lang diskutierten Apotheke 2030? Und wie seht unsere ABDA dazu??
F.Schmidt, wo ist Deine eindeutig klare Zielsetzung?
Die jetzige Lage läßt jede pharmazeutische Autentizität und unsere akademischen Leistungsprinzipien vermissen.
Da haben wir bündelweise Apothekengesetze und Rechtsnormen, die schon von einem Deutschen Justiz-und Gesundheitsminister wissentlich und unbestraft und ohne jede Konsequenz unterlaufen wurden ( J. Hecken ist heute Chef des GBA ).
Dazu noch inflexible und überflüssig hochdotierte Apotheken- und Industrie und Handelskammern, dennoch gibt es einen ungebremsten Wildwuchs der wie Pilze aus dem Boden schießenden Versender. Jeder möchte sich schnell an diesen 'dicken' Pfründen laben, bevor es vielleicht-politisch gewollt- ein schnelles Ende nimmt mit diesen paradiesischen Gewinnen.
Diese pharmazeutische Kakophonie, die sich derzeit in den Medien breit macht, ist jedenfalls in keiner Weise zielführend für die, um die es eigentlich geht, die Patienten.
Ich mache nun schon über 50 Jahre Apothekenwellenbewegungen in jeder Form mit. Die derzeitige, seit Oktober 2016, irrationale und großteils unkontrollierbare Arzneimittelversorgung hat nur ein Ziel, die klaren und eindeutigen deutschen Apothekenvorschriften und Gesetze zu unterlaufen, abzuwerten und letzlich abzuschaffen.
Auch wenn sich jetzt einige dieser "Wilderer" im Apothekenmarkt geldgierig die Hände reiben, so sollte man denen aber klarmachen, dass sie nicht das Ende der Versorgungskette sein werden. Ich sage da nur, vergeßt mir AMAZON und Co. nicht.

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Die ewig Gestrigen

von Thomas Luft am 05.05.2017 um 11:34 Uhr

Zunächst herzlichen Dank für den sehr informativen Artikel. Insbesondere das Beispiel Dänemark zeigt, wie es bei uns hätte besser laufen können. Aber damals, als DocMorris noch in den Kinderschuhen steckte, wäre eine solche Bestellplattform der deutschen Apothekerschaft mit den Führungskräften Friese/Keller/Schmall niemals möglich gewesen. Zu verbohrt und zu selbstsicher. Es mag jeder selbst entscheiden, ob das heutige "Dreigestirn" offener für neue Ideen ist.

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