DAZ.online-Serie Europa, deine Apotheken

Die Geschichte des europäischen Versandhandels

Berlin - 05.05.2017, 07:00 Uhr

Pillen aus dem Briefumschlag: Wo wurde wann der Versandhandel mit welchen Arzneimitteln in Europa zugelassen? (Foto: dpa)

Pillen aus dem Briefumschlag: Wo wurde wann der Versandhandel mit welchen Arzneimitteln in Europa zugelassen? (Foto: dpa)


Seit dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung wird im Apothekenmarkt über die Zukunft und Sinnhaftigkeit des Arzneimittel-Versandhandels gestritten. Gegner und Befürworter des Versandhandels führen für ihre Argumente oft Beispiele aus anderen europäischen Ländern an. DAZ.online hat die Genese der Versandapotheken in Europa rekonstruiert und zeigt, wie die Welle des Versandhandels in den vergangenen knapp 20 Jahren über Europa schwappte.

Die Befürworter des Versandhandels geben gerne an, dass der Internethandel mit Arzneimitteln (sowohl OTC als auch Rx) keine Seltenheit mehr ist. Versandapotheken seien schlichtweg ein etablierter Bestandteil der Versorgung. Richtig ist, dass fast alle europäischen Staaten in den vergangenen 18 Jahren ihre Regulierungen zum Versandhandel gelockert haben. In insgesamt 17 Ländern ist der Internethandel mit OTC-Präparaten inzwischen erlaubt. Sieben Staaten (Deutschland, England, Finnland, Schweden, Niederlande, Schweiz und Norwegen) erlauben sogar den Rx-Versand. Was die Versand-Lobbyisten oft unerwähnt lassen, ist, welche Rolle der Internethandel in diesen Ländern spielt. Denn in vielen Staaten gelten immer noch so strenge Regulierungen, dass Versandapotheken in der Versorgung praktisch nicht relevant sind.

In einigen Ländern musste aber überhaupt nicht dereguliert werden, weil der Versandhandel nie verboten war. In England haben sich beispielsweise einzelne Apotheker einfach getraut, Arzneimittel im Internet anzubieten. Der Gesetzgeber und die Behörden mussten dann reagieren und Beschränkungen oder Regulierungen für den Versandhandel nachträglich etablieren. Für die größte Deregulierungs-Welle in Sachen Versandhandel sorgte aber sicherlich ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Aber wann wurde der Versandhandel wo im Einzelnen legalisiert? Eine chronologische Übersicht:

Die Pioniere des Arzneimittel-Versandhandels kommen aus dem Vereinigten Königreich. Apotheker Daniel Lee aus dem nordenglischen Leeds verließ Ende der 1990er-Jahre die Apotheke seines Vaters, wo er als Angestellter tätig war und gründete sein eigenes Unternehmen. Der englische Gesundheitsdienst NHS dachte in den 1990er-Jahren darüber nach, wie man die Arzneimittel-Abgabe effizienter gestalten könnte. Lee hatte die Vision einer Internetapotheke, zu der die Kunden ihre Rezepte schicken und anschließend ihre Ware per Post erhalten. 1999 gründete der Apotheker das Unternehmen „Pharmacy2u“ – wahrscheinlich die erste Versandapotheke Europas.

Dass es damals in England eigentlich nicht erlaubt war, Rezepte auf dem Postweg zu Apotheken zu schicken, kümmerte den Unternehmer wenig – denn es war auch nicht ausdrücklich verboten. Es folgte ein Streit mit der britischen Apothekerkammer und mehreren Behörden. Schließlich wurde ein Anhang zum Arzneimittelgesetz verabschiedet, in dem aufgeführt wurde, welche Voraussetzungen die Versender erfüllen mussten. Unter anderem müssen sich die englischen Versandapotheken seit 1999 bei der Apothekerkammer registrieren. Nummer eins in dieser Liste ist „Pharmacy2U“. Inzwischen gibt es knapp 500 registrierte Versandapotheken in England.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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2 Kommentare

Versandhandel, unsere neue Zielsetzung??

von Heiko Barz am 05.05.2017 um 12:02 Uhr

Bei dieser umfangreich verwirrenden Rechtslage der Arzneimittelbelieferung im Europäischen Raum kann und wird es mit Sicherheit keine erkennbar klaren Zukunftsperspektiven mehr geben.
Hier macht jetzt jeder was er will. Die Übersichtlichkeit, die Kontrolle und die Qualität der Arzneimittel wird für ausschließlich unkontrollierbare Kapitalvermehrung geopfert.
Ist das noch im Sinne unserer so lang diskutierten Apotheke 2030? Und wie seht unsere ABDA dazu??
F.Schmidt, wo ist Deine eindeutig klare Zielsetzung?
Die jetzige Lage läßt jede pharmazeutische Autentizität und unsere akademischen Leistungsprinzipien vermissen.
Da haben wir bündelweise Apothekengesetze und Rechtsnormen, die schon von einem Deutschen Justiz-und Gesundheitsminister wissentlich und unbestraft und ohne jede Konsequenz unterlaufen wurden ( J. Hecken ist heute Chef des GBA ).
Dazu noch inflexible und überflüssig hochdotierte Apotheken- und Industrie und Handelskammern, dennoch gibt es einen ungebremsten Wildwuchs der wie Pilze aus dem Boden schießenden Versender. Jeder möchte sich schnell an diesen 'dicken' Pfründen laben, bevor es vielleicht-politisch gewollt- ein schnelles Ende nimmt mit diesen paradiesischen Gewinnen.
Diese pharmazeutische Kakophonie, die sich derzeit in den Medien breit macht, ist jedenfalls in keiner Weise zielführend für die, um die es eigentlich geht, die Patienten.
Ich mache nun schon über 50 Jahre Apothekenwellenbewegungen in jeder Form mit. Die derzeitige, seit Oktober 2016, irrationale und großteils unkontrollierbare Arzneimittelversorgung hat nur ein Ziel, die klaren und eindeutigen deutschen Apothekenvorschriften und Gesetze zu unterlaufen, abzuwerten und letzlich abzuschaffen.
Auch wenn sich jetzt einige dieser "Wilderer" im Apothekenmarkt geldgierig die Hände reiben, so sollte man denen aber klarmachen, dass sie nicht das Ende der Versorgungskette sein werden. Ich sage da nur, vergeßt mir AMAZON und Co. nicht.

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Die ewig Gestrigen

von Thomas Luft am 05.05.2017 um 11:34 Uhr

Zunächst herzlichen Dank für den sehr informativen Artikel. Insbesondere das Beispiel Dänemark zeigt, wie es bei uns hätte besser laufen können. Aber damals, als DocMorris noch in den Kinderschuhen steckte, wäre eine solche Bestellplattform der deutschen Apothekerschaft mit den Führungskräften Friese/Keller/Schmall niemals möglich gewesen. Zu verbohrt und zu selbstsicher. Es mag jeder selbst entscheiden, ob das heutige "Dreigestirn" offener für neue Ideen ist.

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