Kritik an Heilpraktikern

Apotheker pendelt offenbar weiter Krebsdiagnosen aus

Stuttgart - 20.04.2017, 13:45 Uhr


Seit vergangenem Jahr steht ein Apotheker und Heilpraktiker wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht – er hatte eine Krebspatientin mit homöopathischen Präparaten behandelt. Nach einer „Stern“-Recherche arbeitet der Apotheker weiter mit Krebspatienten – und verschreibt als Heilpraktiker teure naturheilkundliche Mittel.

„Er hat es wieder getan“, heißt es in der Titelgeschichte der „Stern“-Ausgabe vom heutigen Donnerstag: Ein Heilpraktiker in Franken behandelt offenbar weiterhin Krebspatienten, obwohl er sich derzeit vor Gericht verantworten muss (DAZ.online berichtete). Er hatte vor einigen Jahren eine österreichische Patientin mit klarer Brustkrebs-Diagnose per Pendel untersucht – und ihr offenbar versichert, sie habe nur eine Entzündung.

Der Heilpraktiker behandelte sie laut Staatsanwaltschaft nur mit selbst hergestellten homöopathischen Präparaten – und nahm so laut der Anklage wissentlich in Kauf, dass die Patientin keine wirksame Behandlung erhielt. Die Mutter einer kleinen Tochter verstarb im April 2013. Nach Informationen von DAZ.online ist der Heilpraktiker außerdem Pharmazeut, doch führt er schon länger keine Apotheke mehr. Er wollte sich im vergangenen Jahr auf Nachfrage nicht zu den Vorwürfen äußern – aktuell geht nur ein Anrufbeantworter ans Telefon.

Für die auf dem „Stern“-Titel mit der Überschrift „Gefährliche Heilpraktiker“ angekündigte Recherche besuchte ein Redakteur zusammen mit einer Frau den Heilpraktiker, die ihm einen fingierten Krebsbefund vorlegte. „Meine eigenen Diagnosemethoden sind manchmal aussagekräftiger“, zitiert das Magazin den wegen fahrlässiger Tötung angeklagten Apotheker – der daraufhin sein Pendel gezückt und von diesem Antworten zu „Energiedefiziten“ erhalten habe. 

Naturheilkundliche Arzneien gegen gefährlichen Tumor

Zwar habe er dieses Mal die Krebsdiagnose nicht in Frage gestellt, doch gesagt, dass die Erkrankung medikamentös behandelt werden könne – und ein Rezept mit 14 naturheilkundlichen Mitteln ausgestellt, mit monatlichen Kosten von rund 300 Euro, wie der „Stern“ schreibt. „Sie müssen mir nur versprechen, zur Kontrolle zu kommen“, zitiert das Magazin den Apotheker und Heilpraktiker.

Unklar ist, wie das Gerichtsverfahren gegen ihn weitergeht. Die Staatsanwaltschaft wollte das Verfahren offenbar einstellen. Zum Schuldnachweis muss bewiesen werden, dass die Patientin mit sehr hoher Sicherheit länger gelebt hätte. Der Rechtsanwalt der Hinterbliebenen hatte ein Gutachten bei zwei Onkologen bestellt, die laut „Stern“ die Heilungschance mit 93 bis 99 Prozent angaben. Das Gericht suche aktuell jedoch weitere Gutachter.

Selbst nach Todesfällen – wie auch im vergangenen Jahr in Brüggen-Bracht – könnten Scharlatane kaum zur Verantwortung gezogen werden, betont das Magazin. „Patientenschutz? Fehlanzeige.“ Dem zuständigen Gesundheitsamt sei die Anklageschrift bekannt, eine Anfrage blieb jedoch mit Hinweis auf das laufende Verfahren unbeantwortet.

Die Verschreibungspflicht als Grenze für Heilpraktiker

Obwohl Heilpraktikern „unfassbar viele Therapiefreiheiten“ offenstehen, wie der „Stern“ schreibt, gibt es eine Grenze: Heilpraktiker dürfen keine verschreibungspflichtigen Arzneimittel verabreichen. So sagten die zuständigen Behörden zunächst, der Heilpraktiker in Brüggen-Bracht hätte das vermeintliche Wundermittel 3-Bromopyruvat verabreichen dürfen – doch wandte das Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) im September ein, nach Einschätzung der Behörde sei das Mittel verschreibungspflichtig.

Die Apotheke, von der der Heilpraktiker aus Brüggen-Bracht es erhielt, vertreibt es nach eigener Aussage inzwischen nicht mehr – empfahl gegenüber dem „Stern“ kürzlich jedoch Amygdalin als „interessantes Produkt“ für die Krebstherapie, wie das Magazin schreibt. Vor diesem hatte die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft im Jahr 2014 gewarnt.

Handelt es sich nur um Einzelfälle, wie beispielsweise Heilpraktiker-Verbände argumentieren? Am Klinikum rechts der Isar werde monatlich eine Brustkrebspatientin vorstellig, deren Behandlung durch einen Alternativmediziner verschleppt wurde, zitiert der „Stern“ die Chefärztin Marion Kiechle. „Es gibt eine hohe Dunkelziffer“, erklärte die Juristin Maia Steinert gegenüber dem Magazin. „Patienten schämen sich, wenn sie entdecken, dass sie betrogen wurden“ – oder sie stürben im Glauben, das Richtige getan zu haben.

Nachdem Politiker aller Bundestagsfraktionen nach den Zwischenfällen im letzten Sommer gegenüber DAZ.online Änderungen geforderten hatten, kam es bislang nur zu kleineren Änderungen des Heilpraktikergesetzes



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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