Beratungs-Quickie

Antiretrovirale Kombinationstherapie bei HIV

München - 20.04.2017, 10:40 Uhr

Combivir geht in deutschen Apotheken nicht mehr so häufig über den HV-Tisch, denn Zidovudin gilt nur noch als Reserve. (Foto: picture alliance / Godong)

Combivir geht in deutschen Apotheken nicht mehr so häufig über den HV-Tisch, denn Zidovudin gilt nur noch als Reserve. (Foto: picture alliance / Godong)


Welche Punkte sind bei der Beratung in der Apotheke wichtig? Was für Zusatzinformationen können Sie zu den verordneten Arzneimitteln geben? Im „Beratungs-Quickie“ stellen wir jeden Donnerstag einen neuen Fall vor. Diese Woche geht es um eine Verordnung über zwei HIV-Arzneimittel für einen Mann Mitte Dreißig.

Formalien-Check

Der Kunde kennt sich aus mit der Einnahme der Arzneimittel und befindet sich unter regelmäßiger Kontrolle eines erfahrenen Facharztes.

Verordnet sind eine N2-Packung Combivir® mit sechzig Filmtabletten sowie eine N2-Packung Reyataz® 150 mg mit sechzig Kapseln auf einem Privatrezept. Für Privatrezepte ist kein spezielles Formular vorgeschrieben. Die Verordnung muss neben den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, dem Namen und Geburtsdatum des Patienten sowie den Angaben zum Arzt und dessen Unterschrift außerdem das Ausstellungsdatum enthalten.


Das vorliegende Rezept ist vollständig und eindeutig. Die Verordnung ist mit einer N2- Packung Combivir® 150 mg/300 mg sowie einer N2-Packung Reyataz® 150 mg zu beliefern. Preisgünstige Importe sind vorhanden und können dem Kunden angeboten werden. Der Patient trägt die Kosten selbst. Für eventuelle Zusatzversicherungen oder die Beihilfe ist ihm eine quittierte Rezeptkopie auszustellen.

Ab Ausstellungsdatum ist das Privatrezept drei Monate gültig.


Beratungs-Basics 

Bei einer cART (combined Anti-Retroviral Therapy) werden drei oder vier antiretrovirale Wirkstoffe aus mindestens zwei Wirkstoffklassen kombiniert. Etabliert haben sich Kombinationen zweier nukleosidaler Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) mit einem nicht-nukleosidalen Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NNRTI) oder mit einem Proteasehemmer (PI). Bei Einsatz eines PIs wird dessen pharmakologische Wirksamkeit durch eine geringe Dosis Ritonavir (Norvir®) gesteigert ("Boosterung"). Die CYP3A4-Blockade durch Ritonavir erhöht die Halbwertszeit des anderen PIs. Eine Monotherapie mit NRTI oder NNRTI oder eine Zweifach-NRTI-Kombination ist wegen kurzer Wirksamkeit und rascher Resistenzentwicklung nicht angezeigt.

Die Auswahl der Wirkstoffkombinationen orientiert sich an der Lebenssituation, den Koinfektionen und Komorbiditäten der Patienten sowie dem Nebenwirkungsprofil der Arzneimittel.

Eine zuverlässige Einnahme der Medikation ist wesentlich für den Therapieerfolg. Um die notwendige hohe Adhärenz zu fördern, werden bevorzugt Fixkombinationen empfohlen.

Das Arzneimittel Combivir® enthält eine Kombination der zwei NRTIs Lamivudin (150 mg) und Zidovudin (300 mg). Der Hauptwirkmechanismus beruht auf einem Kettenabbruch bei der reversen Transkription des Virus. Die NRTIs hemmen als „falsche Bausteine“ die Reproduktion des Virus in der Wirtszelle. Die empfohlene Dosis für Erwachsene beträgt eine Tablette zweimal täglich. Das Arzneimittel kann sowohl mit den Mahlzeiten als auch unabhängig davon eingenommen werden. Die Tabletten sollten im Ganzen geschluckt werden. Ist der Patient dazu nicht in der Lage, können die Tabletten zerkleinert und mit einer kleinen Menge an halbfester Nahrung oder Flüssigkeit vermischt werden.

Nebenwirkungen sind zahlreich und häufig. Kurzfristig nach Therapiestart auftretende Nebenwirkungen können Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und GIT-Symptome sein.

Lamivudin ist im Gegensatz zu Zidovudin besser verträglich. Zu den schwerwiegendsten Nebenwirkungen von Zidovudin gehören Blutbildveränderungen (Anämie, Neutropenie und Leukopenie) und Lipoatrophie. Hämatologische Nebenwirkungen treten gewöhnlich frühestens vier bis sechs Wochen nach Behandlungsbeginn auf. Hämatologische Parameter sind unter der Behandlung sorgfältig zu überwachen. Außerdem besteht unter Zidovudin die Gefahr einer (tödlich verlaufenden) Laktatazidose. Sie tritt im Allgemeinen nach wenigen oder mehreren Monaten Behandlung auf. Zeichen einer Hyperlaktämie können GIT-Symptome, Appetitverlust, respiratorische und neurologische Symptome sein. Eine Laktatazidose kann mit Pankreatitis, Leberversagen oder Nierenversagen assoziiert sein.

Ist ein Abbruch der Behandlung mit einem der Wirkstoffe oder eine Dosisreduktion erfoderlich, stehen Lamivudin- und Zidovudin-Monopräparate zur Verfügung.

Seit Ende 2007 wird das Kombinationsarzneimittel Combivir® wegen der Toxizität von Zidovudin nur noch als Alternative empfohlen.  

Reyataz® 150 mg enthält den Wirkstoff Atazanavir, einen kompetitiven HIV-Proteaseinhibitor. PIs blockieren das Enzym Protease, das von der befallenen Wirtszelle produzierte Vorläuferproteine in funktionelle Virusproteine spaltet. Die Hemmung führt zur Anhäufung unreifer, nichtinfektiöser Virus-Vorstufen.

Atazanavir ist in Europa nur in Kombination mit niedrig dosiertem Ritonavir (einmal täglich 100 mg, entspricht einer Filmtablette Norvir® täglich) in Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneimitteln zur Behandlung von HIV-1-infizierten Erwachsenen und Kindern ab 6 Jahren indiziert. Warum der „Booster“ Norvir® nicht verordnet ist, ist mit dem Patienten bzw. mit dem Arzt zu klären.

Die empfohlene Dosis beträgt 300 mg Atazanavir einmal täglich zusammen mit einer Mahlzeit. Aufgrund der langen HWZ ist eine einmal tägliche Einnahme zuverlässig möglich. Die Kapseln sollten im Ganzen eingenommen werden.Insgesamt wird die Verträglichkeit von Atazanavir gegenüber anderen Protease-Inhibitoren besser beurteilt: Typische Nebenwirkungen von PIs wie Durchfall, Übelkeit und Fettstoffwechselstörungen sind bei Atazanavir seltener. Gelegentlich führen erhöhte Bilirubinwerte sowie in der Folge Ikterus zu einem Therapieabbruch.

 Die ART muss in der Regel lebenslang ohne Unterbrechungen erfolgen.

Auch noch wichtig

Es sind Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln in der Selbstmedikation und nach ärztlicher Verordnung zu beachten.

Bei der Behandlung von Schmerzen mit den Wirkstoffen ASS oder Naproxen kann die Biotransformation von Zidovudin gehemmt werden. Es ist eine Erhöhung des Zidovudin-Plasmaspiegels und der Zidovudin-Nebenwirkungsrate möglich.

Atazanavir wird über das Cytochrom P450 CYP3A4 abgebaut. Wie bei den anderen PIs ergibt sich deshalb das Problem der Interaktion mit anderen Wirkstoffen, die durch das Isoenzym CYP3A4 metabolisiert werden, zum Beispiel Statine.  

Atazanavir darf außerdem nicht gleichzeitig mit Wirkstoffen, die die Magensäureproduktion hemmen, eingenommen werden (z.B. Protonenpumpenhemmer, H2-Blocker und Antazida). Denn der PI wird nur bei saurem Magen-pH zuverlässig aufgenommen. Johanniskraut-Präparate sind in der Behandlung mit Atazanavir kontraindiziert, da eine gegenseitige Wirkungsabschwächung möglich ist.

Bei dem Wunsch nach einer Behandlung von Verdauungsbeschwerden ist an eine Hyperlaktatämie zu denken. Der Kunde ist zur Blutbildkontrolle an seinen Arzt zu verweisen.

Darf´s ein bisschen mehr sein?



Manuela Kühn, Apothekerin
redaktion@daz.online


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