Rechtsauffassung des BMG 

Warum braucht man bei Rückrufen ein neues Rezept?

Stuttgart - 13.04.2017, 15:30 Uhr

Erst zum Arzt, dann in die Apotheke: auch bei Rückrufen braucht man ein neues Rezept. (Foto: Edler von Rabenstein / Fotolia)

Erst zum Arzt, dann in die Apotheke: auch bei Rückrufen braucht man ein neues Rezept. (Foto: Edler von Rabenstein / Fotolia)


„Das Arzneimittel ist doch schon einmal verschrieben worden. Wozu dann dieser Aufwand?“ So oder so ähnlich äußern viele Apotheker ihr Unverständnis darüber, dass Patienten für den Austausch des zurückgerufenen Adrenalin-Injektors Fastjekt ein neues Rezept vorlegen müssen. Aber warum ist das eigentlich so? 

Rückrufe von Arzneimitteln auf Patientenebene sind selten. Daher ist es nachvollziehbar, dass es im Falle eines Falles immer wieder Unsicherheiten und Verwirrungen um das Procedere gibt – bei Patienten und Apothekern. Patienten erhalten in solchen Fällen oft die Info vom Hersteller: „Gehen Sie einfach in die Apotheke. Die tauschen Ihnen das unkompliziert aus – ohne Rezept.“ So geschehen beim Rückruf des Adrenalin-Injektors Fastjekt, im vergangenen Jahr beim Hypoglykämie-Mittel GlucaGen HypoKit und auch bei früheren Rückrufen schon.

Aber geht das tatsächlich so unkompliziert? Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker hatte sich deswegen bereits im Jahr 2014 in dieser Frage an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gewandt und gefragt, welche Rechtsauffassung man dort vertritt. 

Ministerium hat eine eindeutige Meinung

Die Antwort des Ministeriums, die die AMK am 21. Oktober 2014 veröffentlicht hat, fällt eindeutig aus. Dort ist man der Auffassung, dass auch bei einem Austausch eines Arzneimittels ein Arzt konsultiert werden muss – unter Berufung auf den Sinn und Zweck des § 48 Absatz 1 AMG. Die Austausch-Verschreibung solle zum Anlass genommen werden, Diagnose sowie Therapiealternativen zu prüfen, erklärt das BMG. Auch sollte, falls die Medikation fehlerhaft oder unwirksam war, dies bei einer Entscheidung für die weitere Behandlung vom Arzt berücksichtigt werden.

Desweiteren wird dann auf die Arzneimittelverschreibungsverordnung verwiesen – und zwar § 1 AMVV. Gemäß § 1 AMVV dürfen nämlich verschreibungspflichtiger Arzneimittel nicht ohne Vorliegen einer ärztlichen Verschreibung abgegeben werden. Auch die Regelung in § 4 AMVV spreche gegen einen Austausch eines zurückgerufenen Arzneimittels durch den Apotheker ohne neues Rezept – diese untersagt unter anderem die wiederholte Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels auf dieselbe Verschreibung. 

Nur im absoluten Ausnahmefall geht es ohne Rezept

Die Ausnahmefälle, in denen die Apotheke das vom Rückruf betroffene Arzneimittel ohne Rezept gegen ein fehlerfreies austauschen darf, sind sehr eng gefasst – und sie müssen gemeinsam vorliegen. Das wäre:

  • die Anwendung des Arzneimittels erlaubt keinen Aufschub („dringender Fall", zum Beispiel Vorliegen einer lebens- oder gesundheitsgefährdenden Situation),
  • der Apotheker muss durch den Arzt vorher über die Rechtmäßigkeit der Abgabe fernmündlich unterrichtet worden sein,
  • der Apotheker muss sich Gewissheit über die Identität des anrufenden Arztes verschafft haben.
  • Auch in diesen Fällen ist die Verschreibung vom Arzt unverzüglich in schriftlicher oder elektronischer Form nachzureichen.

Daher das Fazit der AMK: Auch im Falle eines Chargenrückrufs muss in der Apotheke eine gültige Verschreibung vorgelegt werden. Die AMK gibt zudem zu bedenken, dass das Risiko durch den Defekt gegen das Risiko, zeitweise überhaupt kein Arzneimittel zu Verfügung zu haben, immer abzuwägen ist. Gegebenenfalls soll die Apotheke das zurückgerufene Präparat erst bei Abgabe des Ersatzes zurücknehmen. Beim aktuellen Rückruf des Fastjekt-Pens beispielsweise, der ja ein Notfall-Präparat ist, weist der Hersteller Meda explizit darauf hin, so vorzugehen.

Die Verordnung sollte in diesem Falle auf einem Privatrezept erfolgen. Die Erstattung regelt Meda mit der Apotheke über den pharmazeutischen Großhandel. Auch eine Verordnung auf Kassenrezept wäre denkbar, wenn Hersteller und Kasse dann das Finanzielle unter sich regeln.

Auch in den USA nicht ohne Bürokratie

Ganz unkompliziert und unbürokratisch geht es übrigens anderswo auch nicht. So müssen beispielsweise betroffene Patienten in den USA erst bei einem Dienstleister anrufen und dort einen Gutschein-Code anfordern. Von diesem Dienstleister erhalten sie außerdem ein frankiertes Päckchen, um den alten Pen zurückzuschicken. Dann können sie sich in der Apotheke mit ihrem Gutschein ein Ersatzpräparat holen – kostenfrei. Zuletzt müssen sie ihren zurückgerufenen Pen an den Dienstleister schicken. 



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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3 Kommentare

Rechtsauffassung des Schenkels: Warum geht ein Austausch manchmal auch ohne Rezept?

von Andreas P. Schenkel am 13.04.2017 um 20:38 Uhr

Wenn man dem Ministerium eine Frage stellt, dann bekommt man natürlich eine Antwort. Was jedoch, wenn man die Frage nur scheinbar richtig gestellt hat? Ich kenne den Wortlaut der Korrespondenz zwischen dem BMG und der AMK zu diesem Sachverhalt nicht. Wenn die Frage so ähnlich lautete wie "Ist eine erneute Abgabe ohne Verschreibung möglich?", dann liest der Sachbearbeiter im Ministerium natürlich heraus, dass da jemand ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel abgeben will, ohne dass eine ärztliche Verschreibung vorliegt. Da schreibt er natürlich an den Fragesteller zurück: "Das geht so nicht!"

Wenn man den Rechtsnormen jedoch die richtigen Fragen stellt, dann passiert das da, check it out:

1. Austausch als Sachmangel-Gewährleistung:
Hier vorliegend handelt es sich um keine Abgabe im Sinne des § 48 AMG oder der AMVV, der Vorgang ist vielmehr ein Austausch eines legal in den Besitz des Patienten gelangten Arzneimittels gegen ein nicht-defektes, ansonsten gleichartiges Exemplar im Zuge der Sachmangel-Gewährleistung. Hierfür ist der § 439 BGB zur Nacherfüllung einschlägig, mangels einschlägiger Regelungen in den speziellen Gesetzen des Arzneimittelrechts und des Sozialrechts. Eine pharmazeutisch korrekte und rechtsichere Durchführung des Gewährleistungsanspruchsverfahrens bedingt die Rückgabe des defekten Pens durch den Patienten, einforderbar durch den Verkäufer im Übrigen durch § 439 Abs. 4 BGB.

2. Indikationsüberprüfungs-Intervall ist ärztliches Ermessen:
Eine Indikationsüberprüfung als Grund für eine neuerliche Verschreibung erscheint hier vorliegend fragwürdig, da bei einem nicht-defekten Arzneimittel diese Überprüfung zum Austausch-Zeitpunkt ja auch nicht ohne weiteres stattgefunden hätte, sondern zu einem Zeitpunkt wie von Verordner aus eigener fachlicher Erwägung vorgesehen, in der Praxis meist dann, wenn das Verfalldatum des in Besitz befindlichen Adrenalin-Autoinjektors nahe ist.

3. Eine Medikation fand gar nicht statt:
Auch muss der Verordner im Falle des Adrenalin-Autoinjektor-Austausches nicht wegen einer fehlerhaften oder unwirksamen Medikation die Behandlung umstellen, da der Pen ja nicht ausgelöst wurde, folglich eine Behandlung nicht stattgefunden hatte.

4. Telos ist Risikoprävention bei Nicht-Fachkreisangehörigen:
Der Verweis auf den Sinn und Zweck des § 48 Abs. 1 AMG geht hier fehl, da der Sinn und Zweck des § 48 Abs. 1 AMG vor allem ist, einen Patienten vor Risiken und Gesundheits-Beeinträchtigungen durch Arzneimittel mit einem nicht unerheblichen Gefahrenpotential zu bewahren, die durch unkontrollierte und nicht durch die fachliche Expertise eines approbierten Arztes abgesicherte Anwendung auftreten können. Diese fachliche Einschätzung über die nach ärztlichem Ermessen sichere Anwendbarkeit des Adrenalin-Autoinjektors durch den konkreten Patienten liegt hier jedoch vor, nachgewiesen durch die Kausalkette, dass der Patient den defekten Adrenalin-Autoinjektor in der Apotheke vorlegt, den er ja aufgrund einer ärztlichen Verschreibung in der Vergangenheit erhalten haben muss.

5. Fokus des AMG ist ordnungsgemäße Versorgung:
Der Sinn und Zweck des Arzneimittelgesetzes ausweislich des § 1 AMG ist u.a. die Gewährleistung "[..] einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung [..]" mit dem Fokus auf "[..] die Qualität, Wirksamkeit [..] der Arzneimittel [..]". Ordnungsgemäß versorgt ist der Patient nach landläufiger Auffassung, wenn er einen funktionsfähigen Adrenalin-Autoinjektor besitzt, den er während seines Osterspaziergangs mitführen kann und im Notfall die Gewähr einer schnellen Nothilfe bietet.

6. AMVV ist nur für Abgabe relevant, nicht jedoch bei Austausch:
Der Verweis auf die Arzneimittelverschreibungsverordnung, egal, ob auf § 1 AMVV oder § 4 AMVV, geht hier in's Leere, denn ein Austausch einer defekten Sache gegen eine mängelfreie Sache ist keine Abgabe im Sinne des Arzneimittelrechts.
6.a) Zur Verdeutlichung: Der Patient erhält eben nicht eine Zweitpackung, damit er sich noch 'ne weitere Ladung Adrenalin "reinbrummen" kann oder an die werten Herren in dunklen Ecken eines Großstadtbahnhofs als "krassen Trip" verschachern kann. Er erhält ein potentiell lebensrettendes Arzneimittel, das nun jedoch, im Gegensatz zum zurückgebrachten, in der Lage ist sein bedrohtes Leben auch zu retten.
6.b) Und nein, es handelt sich eben nicht um eine "[..] wiederholte Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels auf dieselbe Verschreibung [..]", da es erstens keine Abgabe ist und zweitens der Charakter einer Wiederholungshandlung nicht gegeben ist: Der Patient muss zwingend den defekten Adrenalin-Autoinjektor dem Apotheker aushändigen, erst dann erhält er die nicht-defekte Sache im Austausch.

7. Ergebnis:
Im Sinne einer ordnungsgemäßen und zweckdienlichen Arzneimittelversorgung ist beim Austausch eines defekten Adrenalin-Autoinjektors zu einem mängelfreien Adrenalin-Autoinjektor eine erneute ärztliche Verschreibung nicht zwingend erforderlich. Die "Berechtigung" des Patienten, einen solchen Adrenalin-Autoinjektor zu besitzen, ist durch die Vorlage der mängelbehafteten Sache nachgewiesen. Ein Schaden, der einen Arztbesuch zwingend erforderlich machen würde, ist dem Patienten bis zu diesem Zeitpunkt nicht entstanden, denn er hat den Adrenalin-Autoinjektor noch nicht angewendet. Im Lichte der Verpflichtung der Apotheke, einem Sachmangel durch Nacherfüllung im Sinne des § 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB unverzüglich abzuhelfen (unverzüglich hier wegen der potentiellen Gefahr für Leib und Leben des Patienten), kommt sogar eine Verpflichtung zum Austausch ohne erforderliche Verschreibung in Frage, wobei eine vorauseilend ausgestellte Verschreibung hier nicht schädlich wäre.
Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzestext in solchen Fällen der Sachmängel-Gewährleistung planwidrig zu weit geraten ist. Deshalb ist hier die Anwendung der "teleologischen Reduktion" angebracht, entgegen des Wortsinnes von Vorschriften mit dem Sinngehalt "Die Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels erfordert das Vorliegen einer gültigen Verschreibung", die im Übrigen hier wie dargelegt nur ein scheinbarer Wortsinn ist, da der Austausch des Adrenalin-Autoinjektors keine Abgabe im Sinne des Arzneimittelrechts darstellt.

Rechtsanwendung muss nicht notwendigerweise formalistisch-lebensfern verliebter Selbstzweck sein, oft ist idealerweise, wie hier im Kleinen gezeigt, eine pragmatische und sachgerechte Entscheidung im Rahmen des bestehenden Rechts möglich.

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AW: Chapeau

von Holger am 18.04.2017 um 8:19 Uhr

einer der besten, sachlichsten, konstruktivsten Kommentare, den ich hier seit langem gelesen habe - danke!

Warum so umständlich

von Ratatosk am 13.04.2017 um 18:40 Uhr

Ein sinnloses Verfahren in diesem Fall, da der Patient nicht umgestellt wird oder so - und das Medikament für Notfälle bereithält.

Aber so ist eben Deutschland ! bei kleinen Dingen.

Wenn die EU sich über ihre Grenzen per Richterspruch zum Wohle der Großkonzerne hinwegsetzt - " legai - Illegal - Ikearega " , alter 68 Spruch, das ist heute unser Niveau.

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