Apothekerverband Mecklenburg-Vorpommern

„Unser Regelungssystem steht auf der Kippe“

Rostock - 06.04.2017, 16:00 Uhr

Das EuGH-Urteil im Hinterkopf: Aus Sicht von Axel Pudimat, Apothekerverbands-Vorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern, behindert das EuGH-Urteil viele Apotheker bei Investitionsentscheidungen. (Foto: tmb)

Das EuGH-Urteil im Hinterkopf: Aus Sicht von Axel Pudimat, Apothekerverbands-Vorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern, behindert das EuGH-Urteil viele Apotheker bei Investitionsentscheidungen. (Foto: tmb)


Die Unsicherheit über die Zukunft der Apotheken, das Potenzial von Cannabis in der Medizin und das Medikationskonsil in Greifswald waren die wichtigsten Inhalte der jüngsten Mitgliederversammlung des Apothekerverbandes Mecklenburg-Vorpommern.

Bei der Mitgliederversammlung des Apothekerverbandes Mecklenburg-Vorpommern gestrigen am Mittwoch in Rostock ging es überwiegend um bundesweit relevante Themen. Obwohl sich die Apotheken 2016 im Durchschnitt wirtschaftlich gut entwickelt hätten, sei die Stimmung häufig schlecht, konstatierte der Verbandsvorsitzende Axel Pudimat. Denn die Zukunftsaussichten seien ungewiss. Um die erwartete Zuverlässigkeit, Kontinuität und Sicherheit bei den Gemeinwohlaufgaben bieten zu können, bräuchten die Apotheken Planungssicherheit. Was nütze kurzfristiger Erfolg, „wenn man bei jeder Investitionsentscheidung im Hinterkopf hat, dass unser wichtigstes Regelungssystem gerade auf der Kippe steht“, fragte Pudimat. 

Preiswettbewerb führe dazu, dass häufig erst einmal über Preise oder Rabatte gesprochen werde. Mit Blick auf das EuGH-Urteil zur Preisbindung konstatierte Pudimat: „Eine patientenfreundliche, geregelte, flächendeckende Versorgung ist offensichtlich nicht das Ziel des Gerichtshofs.“ Zu den politischen Reaktionen auf das Urteil erklärte Pudimat: „Sozial reden und etwas ganz anderes tun - das können manche in der SPD gut.“ Ein offener Markt führe zwar vordergründig zu billigeren Preisen, aber auch zu Großunternehmen. Kleinbetriebe vor Ort würden dann nicht selten wegrationalisiert, so Pudimat.

Pudimat: Apotheker sollen weiter mit Politikern reden

Pudimat forderte die Apotheker auf, weiterhin Kontakte zu Politikern zu suchen. Zur Unterschriftensammlung der ABDA berichtete er, dass in Mecklenburg-Vorpommern mehr als doppelt so viele Unterschriften wie im Bundesdurchschnitt gesammelt worden seien. Dies zeige, dass die Apotheke vor Ort in einem solchen Flächenland besonders wichtig sei. Pudimat warnte vor „Kompromisslösungen, die sich möglicherweise interessant anhören, aber praktisch meistens nichts taugen.“ Dazu verwies er auf den Brief von ABDA-Präsident Schmidt an alle Apothekenleiter mit der Aufforderung, jetzt nicht aufzugeben und nicht irgendwelche halben Lösungen zu diskutieren. Stattdessen solle weiter gegen den Rx-Versand argumentiert werden.

Rechtsanwalt Michael Jung, ABDA-Abteilung Recht, erklärte zum Verfahren vor dem EuGH, die Argumente, die man dort für die Position der Apotheken bringen konnte, seien gebracht worden. Es sei jetzt spannend, ob das Urteil eine dauerhafte Wende in der EuGH-Rechtsprechung zum Vorsorgeprinzip darstelle. Offenbar wolle die EU-Kommission sich bei ihren neuen Regelungen für freie Berufe an dieser Sichtweise orientieren. Jung bekräftigte, dass die Beschränkung des Versands auf OTC-Arzneimittel die einzige wirksame Option sei, um das System zu sichern. Anderenfalls könne es relativ schnell zu erheblichen Umsatzverlagerungen und Folgen für die flächendeckende Versorgung kommen.

Cannabis als Wundermittel?

Eine Besonderheit bei der Mitgliederversammlung war der Vortrag von Dr. Franjo Grotenhermen, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin, der per Skype aus seiner Praxis in Rüthen zugeschaltet war. Grotenhermen beschrieb das Endocannabinoid-System als ein wichtiges Signalsystem, das die Überaktivität aller anderen Neurotransmitter im Nervensystem und allen Organen hemme. Allerdings müssten die Unterschiede zwischen den über 120 Cannabinoiden betrachtet werden, von denen in jeder Varietät der Pflanze meist höchstens sechs in nennenswerter Konzentration vorkämen. Zur Spastik bei Multipler Sklerose, zu chronischen Schmerzen sowie zu Übelkeit und Erbrechen bestünden zahlreiche Studien. 

Doch zu den enorm vielfältigen anderen Anwendungsmöglichkeiten gebe es oft nur Fallberichte. Insgesamt sieht Grotenhermen das Potenzial, dass bis zu 1,4 Prozent der Bevölkerung mittelfristig von Cannabis profitieren könnten. Wenn Cannabis initial gut vertragen werde, sei dies meist auch langfristig sicher, erklärte Grotenhermen. Allerdings müssten die Einstiegsdosen niedrig sein. Dagegen verweis Dr. Marko Walkowiak, Beratungsapotheker bei der Kassenärztlichen Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern, auf die Gefahr von Angststörungen und Abhängigkeit. Walkowiak beschrieb die neuen Regularien zur Cannabis-Verordnung und erklärte, dass die Ärzte großen Aufwand mit der Indikationsstellung und der vorgeschriebenen Begleiterhebung hätten.

Medikationskonsil Greifswald

Doch es ging bei der Mitgliederversammlung auch um ein spezielles Thema des Landes. Pudimat berichtete, dass das Medikationskonsil in Greifswald jetzt evaluiert werde. Dabei geht es um ärztlich verordnete Medikationsanalysen in Apotheken. Das Projekt sei von den beteiligten Ärzten und Apothekern praktisch durchgängig positiv aufgenommen worden. Es seien etwa 200 Verordnungen ausgestellt worden, erklärte Pudimat. Die Apotheker hätten die Ärzte über Anwendungsprobleme und ungeeignete Selbstmedikation informiert und den Patienten Sicherheitshinweise gegeben. Den größten Nutzen habe der Patient. Über die Medikation reden zu können und mehr Vertrauen dazu zu bekommen, werde sehr positiv wahrgenommen. Die größten Herausforderungen dagegen seien die praxisgerechte Organisation und der Umgang mit Skepsis und Vorurteilen bei allen Beteiligten, erklärte Pudimat.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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