Europäisches Parlament

Das sind die neuen EU-Regeln für Medizinprodukte

Berlin - 05.04.2017, 16:27 Uhr

Endlich geregelt: Nach langwierigen Verhandlungen hat das EU-Parlament am heutigen Mittwoch neue Regulierungen für Medizinprodukte beschlossen. (Foto: fotolia/Klick61)

Endlich geregelt: Nach langwierigen Verhandlungen hat das EU-Parlament am heutigen Mittwoch neue Regulierungen für Medizinprodukte beschlossen. (Foto: fotolia/Klick61)


Nach langem und zähem Ringen ist der Weg für den neuen Europäischen Rechtsrahmen für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika endlich frei. Die entsprechenden Verordnungen wurden heute im Europäischen Parlament in zweiter Lesung verabschiedet.

Viele Jahre hatten die EU-Gesetzgeber mit den sogenannten „Stakeholdern“ intensiv um das mehrere Hundert Seiten lange Mammutwerk gerungen. In einer Pressemitteilung hat die Europäische Kommission die Zustimmung des Europäischen Parlaments zu ihren Vorschlägen zu Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika nun ausdrücklich begrüßt. Die beiden neuen Verordnungen enthalten eine Reihe von Verbesserungen für diesen Marktsektor:

  • Unter anderem sehen sie schärfere Kontrollen für besonders risikoträchtige Produkte wie Implantate vor und verlangen, dass vor dem Inverkehrbringen eines solchen Produkts auf EU-Ebene ein Sachverständigenpool konsultiert werden muss.
  • Sowohl klinische Prüfungen mit Medizinprodukten als auch die Stellen, die befugt sind, das Inverkehrbringen von Medizinprodukten zu genehmigen, werden einer strengeren Aufsicht unterworfen.
  • Außerdem fallen nun auch bestimmte, ästhetischen Zwecken dienende und früher nicht regulierte Medizinprodukte unter die neuen Vorschriften, wie zum Beispiel gefärbte Kontaktlinsen, die keine Sehkorrektur bewirken.
  • Die Transparenz des Marktes und die Rückverfolgbarkeit der einzelnen Produkte sollen deutlich verbessert werden. So wird in Zukunft jedes Produkt eine einmalige Produktnummer tragen, damit es über die neue europäische Datenbank für Medizinprodukte EUDAMED identifiziert werden kann.
  • Last not least werden die Sicherheits- und Marküberwachung der Produkte intensiviert. Wenn ein Produkt auf dem Markt erhältlich ist, werden die Hersteller Daten über dessen Leistung erheben müssen. Die EU-Mitgliedstaaten werden sich bei der Marktüberwachung stärker koordinieren.

Bieńkowska: „Im Interesse unserer Bürger stärker kontrollieren“

Die Kommission gibt sich überzeugt, dass die beiden neuen Verordnungen dazu beitragen werden, dass sämtliche Medizinprodukte, von Herzklappen bis zu Heftpflastern und künstlichen Hüftgelenken, sicher und zuverlässig funktionieren. „Ich freue mich außerordentlich, dass die von uns angestrebte Verschärfung der Kontrollen von Medizinprodukten auf dem EU-Binnenmarkt nun tatsächlich eintritt.“ sagte die zuständige EU-Kommissarin Elżbieta Bieńkowska. „Wir müssen im Interesse unserer Bürger stärker kontrollieren, egal ob es sich um Medizinprodukte, Autos oder andere Waren handelt. Statt auf den nächsten Skandal zu warten, sollten wir darüber reden, wie die Marktüberwachungstätigkeiten der Mitgliedstaaten von der EU stärker beaufsichtigt werden können.“

Rechtsrahmen war überholt

Der derzeit geltende Rechtsrahmen stammt aus den 1990er-Jahren. Er besteht aus drei Richtlinien, die nun durch zwei EU-Verordnungen abgelöst werden. Probleme aufgrund abweichender Auslegungen und Anwendung der Vorschriften, der technische Fortschritt und Vorfälle durch fehlerhafte Medizinprodukte, allem voran der Skandal um die Brustimplantate, hatten eine Überarbeitung dringend nötig gemacht. Im September 2012 hatte die Kommission schließlich zwei Legislativvorschläge zu Medizinprodukten und zu In-vitro-Diagnostika vorgelegt. Mehr als viereinhalb Jahre brauchte es für die Verabschiedung.

Starke Belastung für KMUs

Die Industrie spricht überwiegend von recht guten Kompromissen – es hätte auch noch schlimmer kommen können –, sieht aber teilweise eine Lawine von neuen und erhöhten Anforderungen auf sich zukommen. Nach Ansicht des Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed) werden die neuen Vorschriften besonders kleine und mittelständische Unternehmen zusätzlich stark belasten. Der BVMed will sich deshalb für ein nationales Förderprogramm für MedTech-KMUs einsetzen.

Experten befürchten Engpässe bei den Benannten Stellen

Auch die Behörden haben bei Fachveranstaltungen in den letzten Monaten immer wieder eine gewisse Besorgnis zum Ausdruck gebracht, ob und wie die Regeln in dem vorgegebenen Zeitraum umgesetzt werden können. Besonders hart trifft es die Benannten Stellen, die für die Zertifizierung von Medizinprodukten zuständig sind. Sie müssen sich einem neuerlichen Legitimierungsprozess unterziehen. Experten befürchten, dass es hierdurch bei bestimmten Produkten, wie etwa den stofflichen Medizinprodukten, die auch in der Apotheke eine Rolle spielen könnten, zu Engpässen bei der Marktgenehmigung kommen könnte.

Umsetzung dauert noch

Jetzt heißt es aber erst mal „Durchatmen“. Die neuen Vorschriften gelten im Fall der Verordnung über Medizinprodukte erst drei Jahre und im Fall der Verordnung über In-vitro-Diagnostika fünf Jahre nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU, die noch in diesem Monat erfolgen könnte. Teilweise werden die Regelungen auch erst viel später in die Praxis umgesetzt, weil zunächst die entsprechenden Funktionalitäten geschaffen werden müssen. Außerdem wird die Verordnung über Medizinprodukte (MDR) durch 32 neue durchführende und weitere elf delegierte Rechtsakte ergänzt, deren Erarbeitung noch bevorsteht. Das Ende der „regulatorischen Fahnenstange“ für Medizinproduke ist demnach noch lange nicht abzusehen.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

.....neuen EU-Regeln für Medizinprodukte

von Gerhard Borchers am 06.04.2017 um 8:46 Uhr

"Na endlich" Ich würde es begrüßen, wenn auch die entsprechenden Kontrollen erfolgen und es nicht nur ein Schriftstück bleibt.
Mit herzlichen Grüßen
Gerhard Borchers Inh. & GF
Medizinprodukthandel
Handel-Dienstleistung-Wellness Wolmirstedt

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