Interpharm 2017

Von Autoimmunerkrankungen und Hühnern

Bonn - 31.03.2017, 18:00 Uhr


Warum brauchen Patienten mit Autoimmunerkrankungen einen Apotheker? Warum sollten diese Patienten schleichen können? Außerdem: Was hat eine Autoimmunerkrankung mit „Wer wird Millionär zu tun?“? Und mit Hühnern? Dr. Verena Stahl hat es spannend gemacht auf der diesjährigen Interpharm: „Autoimmunerkrankungen in der Apothekenpraxis“.

Warum sollten Patienten mit Autoimmunerkrankungen schleichen können?

Nicht weil sie besonders gerne Indianer spielen, aber weil eine immunsuppressive Therapie auch teilweise wieder beendet werden soll. „Topische Glucocorticoide bei Psoriasis sollen die Läsionen platt machen, an der Haut wirken, aber nicht unter die Haut gehen“, erklärt Verena Stahl. Die gewünschte Wirkung der entzündungshemmenden Topika setzt meist sehr zügig ein – innerhalb von einer bis drei Wochen lindern sich die Beschwerden der Patienten. Das Problem hierbei: Patienten neigen dann dazu, diese dauerhaft anzuwenden. Als unerwünschte Wirkungen drohen dann Hautatrophien, eine unliebsame Steroidakne und Superinfektionen der Haut. Auch wenig schöne Dehnungsstreifen des Gewebes treten nicht nur in der Schwangerschaft auf, sondern können auch Folge einer längerfristigen Cortisontherapie sein.

Wie beraten Apotheker gut bei einer Cortisontherapie?

Banale Tipps – bei der Ersttherapie und immer mal wieder auffrischend zwischendurch – seien bereits hilfreich, sagt Verena Stahl. Also: Corticoide gehören nur auf die Psoriasis-Läsionen und die Randbereiche. Auch sollten Apotheker ihre Patienten daran erinnern, die Hände zu waschen, nachdem sie die cortisonhaltige Creme appliziert haben. Genauso wichtig sei allerdings: „Nicht schlagartig aufhören!“, sagt Verena Stahl. Das klinische Bild sei zwar besser, „aber im Inneren brodelt es noch!“ ermahnt die Apothekerin. Die Gefahr – ein Rebound.

Wie schleichen Patienten ihre Cortisontherapie richtig aus?

Haben sich die Läsionen gebessert, sollten Psoriasis-Patienten eine Woche lang nur jeden zweiten Tag, dann eine Woche lang nur jeden dritten Tag das Corticoid anwenden. Erst dann können sie die Therapie beenden. Stahl weist auch auf die maximale Therapiedauer einer topischen Glucocorticoid-Behandlung hin, nur in Ausnahmefällen sollte diese drei Monate übersteigen.

Ob unerwünschte Arzneimittelwirkungen und in welchem Ausmaß diese Auftreten, hängt nicht nur von der Stärke des Glucocorticoids ab, sondern eben auch von der Anwendungsdauer und vor allem dem Applikationsort. Insbesondere das Gesicht, der Hals und die Genitalregion sind empfindlich, während die behaarte Kopfhaut zum Beispiel robuster sei, erklärt die Apothekerin. Durch die Hornhaut der Handinnenflächen und der Fußsohlen sei es hier sogar teilweise nötig, selbst mit dem „superstark wirksamen Clobetasol“, zusätzlich okklusiv zu arbeiten, um eine befriedigende Wirksamkeit zu erreichen.

Warum brauchen Patienten mit Autoimmunerkrankungen einen Apotheker?

In der Regel sind Patienten mit Autoimmunerkrankungen von ihren behandelnden und spezialisierten Ärzten gut versorgt. Warum also sollten diese Patienten zusätzlich auf Apotheker angewiesen sein – außer, dass dieser ihnen ihr Immunsuppressivum aushändigt? AMTS – Arzneimitteltherapiesicherheit wird hier gerne als Schlagwort in den Raum geworfen. Und meist assoziieren wir dies mit der Polypharmazie bei geriatrischen Patienten, versteifen uns gar darauf. „Warum?" fragt Verena Stahl. „Schauen Sie als Apotheker auch auf die jungen Patienten."

Diabetes mellitus, Pubertät und Apotheker

Junge Typ 1-Diabetiker haben – normalerweise und gezwungenermaßen – gelernt, mit ihrer Erkrankung umzugehen. Doch es kommt meist die Zeit, in der „Eltern schwierig werden“. Die jungen Patienten rebellieren – auch gegen ihre Krankheit. Physiologische Veränderungen- Wachstumshormone, Stress tragen ihren Teil zu einer schlechteren glykämischen Kontrolle bei. Gut gemeinte elterliche Erinnerungen „Hast du schon gemessen heute?“ bewirken in dieser Phase bei den Jugendlichen auch eher das trotzige Gegenteil. Dass sich Apotheker hier gut als neutrale Berater positionieren können, zeigt eine Untersuchung an 70 jugendlichen Diabetikern. Die Jugendlichen, die zusätzlich zur diabetischen Ambulanz in der Apotheke betreut wurden, verbesserten – ausgehend von einem HbA1c-Wert größer 7 – diesen um 1 Prozent.

Warum sollten Patienten mit Autoimmunerkrankungen ihren Impfpass suchen?

Dass Patienten mit einer immunsuppressiven Therapie eine höhere Anfälligkeit für bestimmte Infektionen haben, ist keine neue Erkenntnis. Insbesondere solche unter Mehrfachimmunsuppression leiden häufiger an Pneumonien und Influenza. Als Apotheker wissen wir das – doch wissen es auch die Patienten? Trotz des bekannten Risikos ist nicht bei jedem Immunsupprimierten der Impfstatus einwandfrei. „Das lässt sich verbessern“, findet Verena Stahl. Und wie der Impfstatus bei Pneumokokken, Herpes zoster und Influenza aussieht, sollte nicht nur der Arzt überprüfen. „Auch als Apotheker sollten wir den Eindruck erzeugen, dass wir gut Bescheid wissen – weil wir wissen gut Bescheid“, meint Stahl. „Patienten fehlt beim Arzt oft der Mut, nachzufragen, warum es wichtig ist geimpft zu sein, erklären Sie es in der Apotheke“.

Erst impfen, dann immunsupressive Therapie

Multiple Sklerose-Patienten, die mit Fingolimod – Gilenya – behandelt werden, leiden häufiger an Varizella zoster. Das Risiko ist zweifach erhöht. Das scheint zunächst viel. Doch was sagen diese Zahlen absolut? „Hier stehen elf Gürtelrosefälle unter Fingolimod versus sechs Fälle für Patienten, die kein Gilenya erhalten – bei 1000 Patienten pro Jahr. Das hört sich doch gleich anders an“, erklärt Verena Stahl. Das Schöne daran: Dieses Problem lässt sich einfach lösen. Es gibt klare Vorgaben, wie das Gürtelrose-Risiko in Schach gehalten werden kann. Seronegative MS-Patienten sollten die Varizellenimpfung nachholen – und zwar vor Beginn einer Therapie mit Fingolimod. Diese sollte vier bis sechs Wochen nach erfolgter, zweiter Impfung starten.

Warum spielen Patienten mit Autoimmunerkrankungen nicht gern „Wer wird Millionär?“?

Biologicals sind teuer – das stört die Krankenkassen. Patienten hingegen „wollen damit nichts zu tun haben“, sagt Verena Stahl. Ganz vermeiden lässt sich das allerdings nicht immer. Mittlerweile gibt es die ersten Biosimilars – Infliximab ist Remicade, Inflectra und Remsima und Flixabi enthalten. Und Biosimilars bergen ein enormes Einsparpotenzial bei den Arzneimittelkosten.

„Sind Biosimilars weniger wirksam oder schlechter wirksam als die Referenz-Arzneimittel?“

Diese Fragen beschäftigen Patienten und treffen somit auch Apothker in der Offizin. „Benutzen Sie ruhig das Wort ‚perfekte Kopie`, die EMA prüft ganz hart: Ist die Sicherheit gleich, ist die Wirksamkeit gleich? Es würde keine Zulassung geben, wäre dies nicht gegeben“, sagt Verena Stahl.

Was dürfen Apotheker austauschen?

Bioidentische Wirkstoffe dürfen gegeneinander ausgetauscht werden. Das sind im Falle von Infliximab Inflectra und Remsima. Diese werden in der gleichen Produktionsstätte hergestellt und einfach unterschiedlich verpackt. Hier sind Apotheker gar zum Austausch verpflichtet, wenn entsprechende Verträge bestehen. Biosimilars dürfen hingegen nicht ausgetauscht werden – folglich kein Flixabi oder Remsima oder infelctra bei einer Remicade-Verordnung.

Wirkstoffverordnung bei Biologicals – was tun?

Verordnet ein Arzt ein Biological lediglich unter dem Wirkstoffnamen, verordnet er ungenau. „Der Arzt muss genau spezifizieren, welches Arzneimittel der Patient bekommen soll“. Apotheker sollten ein solches Rezept nicht beliefern, „sonst haben Sie direkt die Retaxation im Haus“, warnt die Stahl.

Warum können Biosimilars günstiger sein?

Auch das eine Frage, die Patienten bewegt. Da das Biosimilar lediglich eine perfekte Kopie des Referenzarzneimittels ist, müssen die Unternehmer „nur" versuchen, das Produkt nachzubauen, ein Teil der Forschungskosten entfällt. Manche Patienten fürchten auch, mehr Antikörper gegen das Biosimilar zu produzieren. „Bleiben Sie gelassen und verweisen auf die harten Kriterien der Zulassung“, rät Stahl. Auch die Antikörperbildung werde im Rahmen der Zulassung überprüft.

Warum sollten Patienten mit Autoimmunerkrankungen keine Tauben und Hühner füttern?

Kein Urlaub in Venedig, Cappuccino und Tauben füttern am Markusplatz. Zumindest Letzteres nicht für immunsupprimierte Patienten. Der Grund: Cryptococcus neoformans. Dieser Pilz ist ursächlich für Kryptokokkose, eine Erkrankung, die man früher nur bei HIV-Patienten fand. Als Reservoir sucht sich Cryptococcus bevorzugt Vogelkot – inhalieren Patienten unter Immunsuppression diese pilzhaltigen Vogelkotstäube, kann eine unerkannte Infektion unter Umständen tödlich verlaufen. Als Therapie erhalten Patienten dann zunächst Amphotericin und Flucytosin intravenös – gefolgt von peroralem Fluconazol, was teilweise lebenslänglich eingenommen werden muss. Verena Stahl schließt: „Keine Tauben füttern und keine freilaufenden Hühner für Patienten mit Autoimmunerkrankungen – diese Haustiere müssen dran glauben“.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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