Neue Rolle für Apotheker

Der Apotheker im Altenheim

29.03.2017, 14:45 Uhr

Welche Tablette nimmt der Patient wogegen? Apotheker helfen, den Wechselwirkungs-Überblick zu behalten. (Foto: Gundolf Renze / Fotolia)

Welche Tablette nimmt der Patient wogegen? Apotheker helfen, den Wechselwirkungs-Überblick zu behalten. (Foto: Gundolf Renze / Fotolia)


Altenheime, geriatrische Patienten, Multimedikation: Dieser Mix birgt Potenzial für schwere Arzneimittelinteraktionen – und für innovative Apotheker, sich beratungsstark zu positionieren. Geriatrie als Zukunftsthema für Apotheken?

Einmal in der Woche geht Apothekerin Karina Esser in ein Altenheim. Es ist eine von fünf Pflegeeinrichtungen, die sie regelmäßig betreut. Mit den Pflegekräften dort diskutiert sie den Zustand der Patienten. Sie hinterfragt Auffälligkeiten, wie etwa Schwindelattacken und häufigere Stürze, Müdigkeit oder Orientierungslosigkeit – immer vor dem Hintergrund der Krankengeschichte und der aktuellen Medikation.

„Als Pharmazeutin habe ich einen anderen Blick,“ sagt sie. Aus Erfahrung weiß sie, dass Stürze auch durch falsch dosierte Blutdrucksenker provoziert werden können – was nicht zuletzt das Ergebnis von Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln sein kann. Viele alte Patienten in Pflegeheimen leiden an mehreren Erkrankungen gleichzeitig. Entsprechend hoch ist die Zahl der verabreichten Medikamente.

Apotheker haben als Arzneimittel-Generalisten den Überblick

Für Altenheime zählt die Multimedikation seit Jahren zu den gravierendsten Problemen im Pflegealltag. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen wie Stürze, Verwirrtheit, Inkontinenz oder Magenbluten zählen inzwischen zu den häufigsten und teuersten Erkrankungskomplexen im Alter.

In deutschen Altenheimen mit durchschnittlich 100 Heimbewohnern entstehen nach einer Studie der Apothekerkammer Nordrhein monatlich acht Neuerkrankungen durch Arzneimittel. Hochgerechnet komme es demnach in Nordrhein-Westfalen (NRW) jährlich rund 140.000 Mal zu sogenannten unerwünschten Arzneimittelereignissen, deutschlandweit seien es rund 700.000 Fälle. Annähernd 70 Prozent solcher Nebenwirkungen gelten als vermeidbar. „Ärzte haben vornehmlich die eigenen Verordnungen im Blick. Und sie betrachten die auftretenden Symptome vielfach nicht vor dem Hintergrund möglicher arzneibedingter Erkrankungen,“ sagt Apothekerin Karina Esser.

Für die Pflege und Heime bedeutet das: eine Mehrbelastung von rund 3 000 Stunden – erhöhter Pflegeaufwand und steigende Personalkosten. Auf das Gesundheitssystem insgesamt schlagen Mehrkosten für vermeidbare Krankenhauseinweisungen, Notarzteinsätze und die Arzneimittel selbst durch. „Bis zu zehn Prozent der heutigen Pflegeleistungen gehen zurück auf eine ineffiziente oder schädliche Pharmakotherapie,“ argumentiert Dr. Frank-Christian Hanke. Er ist Vorsitzender der Prüfungskommission „Geriatrische Pharmazie“ der Apothekerkammer Nordrhein. „Arzneimittel-assoziierte Erkrankungen werden in der Geriatrie noch nicht als eigene Einflussgröße erkannt.“



Sabine Rössing, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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