Nach Empagliflozin

Senken auch Canagliflozin und Dapagliflozin die Mortalität?

Stuttgart - 23.03.2017, 07:05 Uhr

Empagliflozin und Dapagliflozin: Die in Deutschalnd verfügbaren SGLT-2-Inhibitoren. (Foto: Boehringer, BMS/Astra Zeneca / Montage DAZ)

Empagliflozin und Dapagliflozin: Die in Deutschalnd verfügbaren SGLT-2-Inhibitoren. (Foto: Boehringer, BMS/Astra Zeneca / Montage DAZ)


Empagliflozin reduziert bei Typ-2-Diabetikern nicht nur den Blutzucker, sondern auch das kardiovaskuläre Risiko und die Sterblichkeit. Klasseneffekt, ja oder nein? Bislang ist das nur für Empagliflozin gezeigt – nicht für Canagliflozin und Dapagliflozin. Es gibt neue Daten – die richtungsweisend für die künftige Therapie des Diabetes mellitus sein könnten.

Man hat es bereits vermutet: Die Reduktion der Sterblichkeit und kardiovaskulärer Risiken wie Herzinsuffizienz sind kein Alleinstellungsmerkmal von Empagliflozin. Auch andere SGLT-2-Inhibitoren reduzieren offenbar die kardiovaskuläre Sterblichkeit bei Typ-2-Diabetikern – die Auswertung von über 300.000 Patientendaten zeigt den kardiovaskulären Nutzen nun auch für Canagliflozin und Dapagliflozin.

Canagliflozin, Dapagliflozin und Empagliflozin – alle drei Wirkstoffe senken die Blutglucose bei Typ-2-Diabetikern, indem sie die renale tubuläre Reabsorption von Glucose hemmen. Sie gehören in die Gruppe der SGLT-2-Inhibitoren, der Natrium-Glucose-Cotransporter-2-Hemmstoffe. Gewünschter Haupteffekt: Diabetiker scheiden Glucose vermehrt mit dem Urin aus, der Blutzucker sinkt. Positiver Nebeneffekt: Die meist übergewichtigen Typ-2-Diabetiker verlieren mehr oder weniger nebenbei ein paar Pfunde – im Durschnitt reduziert die Einnahme der SGLT-2-Inhibitoren das Körpergewicht der Patienten um zwei bis drei Kilogramm.

Empagliflozin-Patienten leben länger

Die EMPA-REG-OUTCOME-Studie zeigte außerdem für Empagliflozin eine zusätzliche und therapeutisch sowie prognostisch mehr als wertvolle Wirkung: Empagliflozin senkt bei Typ-2-Diabetikern das Risiko einer Herzinsuffizienz sowie die kardiovaskuläre Mortalität. Es ist seit Metformin das erste Antidiabetikum, für welches dieser Effekt belegt werden konnte. Für die aus der gleichen Wirkklasse stammenden Arzneistoffe Canagliflozin und Dapagliflozin fehlte dieser Nachweis bislang. Somit stand seither die Frage im Raum: Profitieren Diabetiker in kardiovaskulärer Hinsicht lediglich von Empagliflozin – oder ist die Senkung der kardiovaskulären Sterblichkeit ein Klasseneffekt?

Profitieren Patienten auch von Canagliflozin und Dapagliflozin?

Diese Daten interessierten auch AstraZeneca. In der von Astra gesponserten CVD-REAL-Studie untersuchten Wissenschaftler den Einfluss aller drei SGLT-2-Inhibitoren auf kardiovaskuläre Erkrankungen. Hierfür beurteilten sie die Daten von über 300.000 Typ-2-Diabetikern unter Real-Life-Bedingungen aus insgesamt sechs Ländern: Dänemark, Norwegen, Schweden, dem Vereinigten Königreich, Deutschland und den Vereinigten Staaten. Ein Großteil der eingeschlossenen Diabetiker – 87 Prozent – war zum Zeitpunkt der Datenerhebung kardiovaskulär gesund. Die für die Therapie des Diabetes mellitus vielleicht wegweisenden Ergebnisse wurden am 19. März 2017 beim 66. Jahreskongress des American College of Cardiology (ACC) vorgestellt.

Canagliflozin und Dapagliflozin: Weniger Herzinsuffizienz, weniger Tod

Im Unterschied zur EMPA-REG-Studie, die lediglich Empagliflozin an kardiovaskulär vorerkrankten Diabetikern untersuchte, flossen in die CVD-REAL-Studie Daten von Canagliflozin, Dapagliflozin und Empagliflozin ein. 

Dabei zeigte sich Folgendes: Eine Therapie mit SGLT-2-Inhibitoren reduzierte die Hospitalisierungsrate aufgrund von Herzinsuffizienz um 39 Prozent. Auch die Sterblichkeit der Diabetiker sank: Unabhängig von der Todesursache starben 51 Prozent weniger bei den Gliflozin-Patienten. Die kombinierte Auswertung der Krankenhausbehandlung wegen Herzinsuffizienz und Tod jeglicher Ursache ergab eine Risikoreduktion um insgesamt 46 Prozent unter Canagliflozin-, Dapagliflozin- oder Empagliflozin-Therapie.

Positiver kardiovaskulärer Klasseneffekt der SGLT-2-Inhibitoren

Die meisten Diabetiker in der Untersuchung nahmen Canagliflozin (52,7 Prozent) oder Dapagliflozin (41,8 Prozent) ein. Nur 5,5 Prozent der Patienten entfielen auf die Empagliflozin-Gruppe. In den Vereinigten Staaten war die Population der Canagliflozin-Diabetiker am stärksten – Canagliflozin war der erste zugelassene SGLT-2-Inhibitor in den USA. Die Patienten der in der Studie vertretenen europäischen Länder nahmen vorwiegend Dapagliflozin ein. 

Eine Aufsplittung des Benefits auf die einzelnen Wirkstoffe nahmen die Wissenschaftler nicht vor. Die bemerkenswerte Tatsache, dass die Ergebnisse länderübergreifend konsistent seien – unabhängig davon, welcher Wirkstoff bevorzugt eingenommen wurde – deute auf einen Klasseneffekt der SGLT-2-Inhibitoren hin, sagt Mikhail Kosiborod vom Saint Luke`s Mid America Heart Institute in Kansas City. Kosiborod ist Hauptautor der Studie.

Auch wenn die Ergebnisse der Datenerhebung durchaus optimistisch klingen, hatte die CVD-REAL-Studie Beobachtungs-Charakter. Somit lassen sich Störfaktoren, die die Datenerfassung, -auswertung und das Ergebnis beeinflusst haben können, nicht vollständig ausschließen.

G-BA: Kein Zusatznutzen für Canagliflozin und Dapagliflozin

In Deutschland sind nur noch zwei Wirkstoffe aus der Gruppe der SGLT-2-Inhibitoren auf dem Markt: Dapagliflozin und Empagliflozin. AstraZeneca vertreibt Dapagliflozin als Monopräparat unter dem Handelsnamen Forxiga®. Als Fixkombination mit Metformin steht Dapagliflozin Typ-2-Diabetikern im Fertigarzneimittel Xigduo® zur Verfügung.

Dapagliflozin war der erste Vertreter der neuen Substanzklasse, der in Deutschland zugelassen wurde. Bereits seit 2012 geben Apotheken den SGLT-Inhibitor an ihre Patienten ab. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sah im Rahmen der Nutzenbewertung aber keinen Zusatznutzen in der Therapie mit dem Wirkstoff. AstraZeneca nahm daraufhin Forxiga® zeitweise aus dem Verkehr – bis sich der Pharmakonzern und die GKV schließlich auf einen Erstattungspreis einigten.

Zusatznutzen für Empagliflozin

Zuletzt bereicherte Boehringer Ingelheim den Pharmamarkt um einen SGLT-2-Inhibitor. Empagliflozin ist der Inhaltsstoff von Jardiance®. Als bislang einziger SGLT-2-Inhibitor bestand Empagliflozin die kritische Prüfung des G-BA. Dieser attestierte dem Wirkstoff im September 2016 einen beträchtlichen Zusatznutzen – allerdings nur für Diabetiker mit bereits bestehenden kardiovaskulären Begleiterkrankungen und in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Arzneimitteln.

Die Entscheidung des G-BA sorgte damals für Erstaunen: Er folgte mit seiner positiven Bewertung nämlich weder seiner ersten Einschätzung noch den Empfehlungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Das IQWiG hatte in der Therapie mit Empagliflozin keinen zusätzlichen Nutzen gesehen.

USA: Empgliflozin Zulassung für Reduktion Mortalität

In den USA geht man einen Schritt weiter. Nachdem die FDA Empagliflozin bereits 2014 die Zulassung erteilte, und zwar für Typ-2-Diabetiker, die durch Diät und körperliche Aktivität keine ausreichende Blutzuckerkontrolle erreichen, erweiterte die amerikanische Zulassungsbehörde das Indikationsgebiet im Dezember 2016: Seither dürfen Ärzte – zumindest in den Vereinigten Staaten – Empagliflozin auch zur Verringerung der Sterblichkeit bei kardiovaskulär vorerkrankten Diabetikern einsetzen.

Der dritte Wirkstoff im Bunde und der zweite, der auf den Markt kam, war Canagliflozin. Auch hier kam der G-BA zu einer negativen Bewertung im Rahmen der Nutzenbewertung im September 2014. Der pharmezeutische Unternehmer Janssen entschied sich daraufhin dazu, sein Präparat – Invokana® – in Deutschland vom Markt zu nehmen. Die Entscheidung des G-BA hatte damals zu heftiger Kritik seitens der Deutschen Diabetischen Gessellschaft (DDG) geführt. Sie sah in der darauf folgenden Marktrücknahme einen erheblichen Verlust an „effektiven und sicheren Wirkstoffen, die für die Versorgung von Menschen mit Typ-2-Diabetes benötigt werden“, erklärte der damals amtierende DDG-Präsident Erhard Siegel.

UAW der Gliflozine: Nierenversagen und Zehenamputationen

Frei von Nebenwirkungen sind die relativ neuen antidiabetischen Wirkstoffe aus der Gruppe der SGLT-2-Inhibitoren nicht. So lieferten zwei große Studien mit Canagliflozin – die CANVAS und die CANVAS-R – Hinweise darauf, dass es unter Einnahme von Canagliflozin gehäuft zu Zehenamputationen kommt. Der Pharmakovigilanzausschuss (PRAC) der EMA hat daraufhin im April 2016 ein Risikobewertungsverfahren für Canagliflozin eingeleitet. Dieses wurde noch im Sommer 2016 um die Wirkstoffe Dapagliflozin und Empagliflozin ergänzt – auch wenn es bei diesen bislang keine Hinweise auf vermehrte Extremitätenamputationen gab.

Erst im Februar dieses Jahres hatte der PRAC empfohlen, die Produktinformationen der Gliflozine mit einem entsprechenden Warnhinweis zu versehen, der auf die Bedeutung einer regelmäßigen und sorgfältigen Fußpflege aufmerksam machen soll. Der Vorschlag des PRAC wird nun an den Humanarzneimittelausschuss (CHMP) weitergeleitet zur Begutachtung. Folgt der CHMP der Empfehlung, landet sie bei der Europäischen Kommission, die dann eine rechtlich bindende Entscheidung trifft.

Nierenversagen durch Gliflozine

Die FDA sah zudem Handlungsbedarf bezüglich der nierenschädigenden Wirkung der SGLT-2-Hemmer. Daten hatten einen Zusammenhang zwischen akutem Nierenversagen und der Einnahme von Canagliflozin und Dapagliflozin offenbart. Die amerikanische Arzneimittelbehörde reagierte auf die verstärkten Meldungen dieser schwerwiegenden Arzneimittelwirkung mit ergänzenden Informationen in der Packung. Hinweise für den Patienten sollen das Arzneimittel sicherer machen. Charakteristische Anzeichen eines akuten Nierenversagens seien verminderte Urinbildung und geschwollene Beine. Darauf sollten Diabetiker verstärkt achten, rät die FDA.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Wesentliche Einschränkung der Aussagekraft nicht erwähnt

von Dr. Iris Hinneburg am 23.03.2017 um 9:04 Uhr

Leider fehlt in dem Beitrag ein Hinweis auf die wesentlichen Einschränkungen der Studie (die sogar in der Pressemitteilung von AstraZeneca erwähnt werden): "While CVD-REAL was a large study with a robust propensity-matching technique, given its observational nature the possibility of residual, unmeasured confounding factors cannot be definitively excluded." Ob die gefundenen positiven Effekte also tatsächlich auf die Medikation zurückgeführt werden können, lässt sich mit dieser Studie nicht zweifelsfrei belegen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Wesentliche Einschränkung der

von Celine Müller am 23.03.2017 um 9:44 Uhr

Liebe Frau Dr. Hinneburg,

vielen Dank für den wertvollen Hinweis. Ich habe den Text entsprechend ergänzt.

Schöne Grüße, Celine Müller

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