Interview Dr. Ulrich Schleicher (Mannschaftsarzt Hertha BSC)

Nehmen Profifußballer exzessiv Schmerzmittel ein?

Berlin - 20.03.2017, 11:45 Uhr

Schmerzmittel sind Ultima Ratio: Dr. Ulrich Schleicher, Mannschaftsarzt des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC meint, dass in den meisten Vereinen so viele Kontrollmechanismen installiert sind, dass ein Schmerzmittel-Missbrauch bei Spielern schnell bemerkt werden könnte. (Foto: dpa)

Schmerzmittel sind Ultima Ratio: Dr. Ulrich Schleicher, Mannschaftsarzt des Fußball-Bundesligisten Hertha BSC meint, dass in den meisten Vereinen so viele Kontrollmechanismen installiert sind, dass ein Schmerzmittel-Missbrauch bei Spielern schnell bemerkt werden könnte. (Foto: dpa)


Was ist mit der Selbstmedikation?

DAZ.online: Sie sprachen vorhin von Kontrollmechanismen. Wie kommen denn die Spieler an ihre Arzneimittel?

Schleicher: Nur über uns. Wenn ein Spieler ein Schmerzmittel benötigt, erhält er das jeweilige Präparat – ob nun verschreibungspflichtig oder nicht – nur über die medizinische Abteilung. Außerdem müssen die Spieler uns bis ins letzte Detail mitteilen, welche Medikamente sie im Rahmen der Selbstmedikation zu Hause zu sich nehmen. Das ist schon alleine wegen der Doping-Vorschriften notwendig. Wir müssen gegenüber den Behörden für jeden Spieler ganz genau auflisten, welche Medikamente er einnimmt. Alleine deswegen ist ein Arzneimittelmissbrauch schon sehr schwierig.

DAZ.online: Trotzdem ist es möglich, dass Spieler Ihnen verheimlichen, dass sie nebenbei noch selbst Ibuprofen oder Diclofenac einschmeißen…

Schleicher: Das lässt sich niemals ausschließen. Allerdings messen wir regelmäßig bei jedem Spieler alle Nieren- und Leberwerte und würden es, so hoffe ich, schnell mitbekommen, wenn Analgetika in zu hohem Maße eingenommen werden.

Jeder Bundesliga-Arzt hat sein eigenes Rezept für Schmerzspritzen

DAZ.online: Wenn Sie dann doch mal ein Schmerzmittel verordnen, welche sind das denn?

Schleicher: In erster Linie die klassischen nicht-steroidalen Antirheumatika, die sowohl als Tablette als auch in Spritzen verabreicht werden. Zusätzlich kommen Spritzen mit homöopathischen Wirkstoffen zum Einsatz, die die Heilung der Verletzung an sich beschleunigen sollen. Kortison kommt aufgrund der Nebenwirkungen und der damit verbundenen Doping-Problematik (nur lokale Anwendung erlaubt) nur sehr selten zum Einsatz. Die genaue Zusammensetzung der Spritzen möchte ich aber nicht preisgeben, da hat jeder Arzt sein eigenes Vorgehen. Zu den moderneren Therapieverfahren gehört übrigens auch die Eigenbluttherapie.

DAZ.online: Ist es denn richtig, dass Spieler vor den Partien grundsätzlich Ibuprofen oder Diclofenac einnehmen, damit sie Schläge oder Tritte während des Spiels weniger spüren?

Schleicher: Auch da will ich nicht unehrlich sein. Natürlich kommt das vor. Aber auch das haben wir im Blick und kontrollieren das. Wobei ich glaube, dass das bei vielen Spielern auch eine psychologische Wirkung hat. Schließlich ist der Adrenalin-Ausstoß während eines Spieles so hoch, dass Schmerzen ohnehin weniger wahrgenommen werden als sonst.

DAZ.online: Verordnen Sie denn parallel zu den Analgetika auch gleichzeitig Pantoprazol oder Ähnliches?

Schleicher: Nur in den seltensten Fällen nehmen Spieler bei uns länger als ein paar Tage hintereinander Schmerzmittel ein. Wenn das aber der Fall ist, bekommen die natürlich gleichzeitig Protonenpumpenhemmer.

DAZ.online: Und wo bekommen Sie die Arzneimittel her?

Schleicher: Wir haben eine Kooperation mit einer Berliner Apotheke. Alle meine Verordnungen wandern da hin, wir beziehen auch Verbandsmaterialien und Tapes über diese Apotheke. Die Ware wird dann zu uns geliefert. Die Spritzen ziehe ich mir aber selbst auf und lasse sie mir nicht fertig anliefern.

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Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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