Vorsitzender der Wirtschaftsweisen

Wettbewerb soll Arzneimittelversorgung sichern

Stuttgart - 08.03.2017, 14:50 Uhr

Mehr Wettbewerb hilft der Arzneimittelversorgung, meint der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen Christoph M. Schmidt. Er ist auch Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung RWI. (Foto: RWI)

Mehr Wettbewerb hilft der Arzneimittelversorgung, meint der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen Christoph M. Schmidt. Er ist auch Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung RWI. (Foto: RWI)


Im aktuellen Jahresgutachten fordert der Wirtschafts-Sachverständigenrat erneut die Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzes. Gegenüber DAZ.online präzisiert der Wirtschaftsweisen-Vorsitzende Christoph M. Schmidt nun die Forderungen – und verlangt einen „sanften Preiswettbewerb“. Nichts hält er vom Rx-Versandverbot.

Für den „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ ist das Fremd- und Mehrbesitzverbot schon lange ein Dorn im Auge. Aufgabe des Rates ist die Erstellung jährlicher Gutachten – sowie die Beratung der Bundesregierung in wirtschaftlichen Fragen. Im aktuellen Jahresgutachten 2016/2017, das die Wirtschaftsweisen unter dem Titel „Zeit für Reformen“ Ende vergangenen Jahres veröffentlichten, führten sie darüber hinaus auch das EuGH-Urteil zu Rx-Boni als Möglichkeit für mehr Wettbewerb im Apothekenmarkt an.

Während ABDA-Präsident Friedemann Schmidt am heutigen Mittwoch durch eine von SPD-Politikern vorgeschlagene Freigabe von Rx-Boni in Höhe von einem Euro die Arzneimittelversorgung in Gefahr sieht, hilft nach Ansicht der Wirtschaftsweisen Wettbewerb beim Gesundheitsschutz. DAZ.online fragte beim Vorsitzenden Christoph M. Schmidt schriftlich nach, ob Apothekenketten und Rx-Boni aus seiner Sicht tatsächlich nicht mit Risiken verbunden sind – oder wo er die Grenzen des Wettbewerbs sieht. Schmidt ist Professor für Wirtschaftspolitik und Ökonometrie an der Ruhr-Universität Bochum und gleichzeitig Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung

DAZ.online: Sie fordern deutlich mehr Wettbewerb im Apothekenmarkt. Wo sehen Sie hierbei für den Staat wie auch für Patienten die größten Möglichkeiten und Chancen – sowie Grenzen und Risiken, Herr Schmidt?

Christoph M. Schmidt: Ich sehe hierin vor allem Chancen: Der zunehmende Wettbewerb im Apothekenmarkt ermöglicht sinkende Arzneimittelpreise und kommt damit den Verbrauchern zugute. Mehr Spielraum für Wettbewerb erhöht vor allem die Wahlfreiheit auf Seiten der Verbraucher. Durch den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln können zum Beispiel chronisch kranke und weniger mobile Menschen ihre Medikamente bequem online bestellen. Das Risiko, der steigende Kostendruck könnte Apotheker veranlassen, ihre Vorhalte- und Beratungsleistungen zu reduzieren, dürfte relativ gering sein. 

DAZ.online: Die Aufhebung des Fremdbesitzverbots würde dazu führen, dass nicht nur Pharmazeuten, sondern auch Kapitalgesellschaften an der Arzneimittelversorgung in Deutschland teilnehmen – und die Aufhebung des Mehrbesitzverbots zu Apothekenketten. Gerät durch die Ökonomisierung nicht sowohl die Arzneimittelsicherheit als auch die Versorgung in Gefahr, beispielsweise in ländlichen Gebieten?

Schmidt: Relevant ist, dass die Patienten gut mit Arzneimitteln versorgt werden. Wer diese Leistung erbringt, ob Apothekenketten oder kleine Betriebe, ist dabei unerheblich. Das Risiko, dass es zu einem Rückzug aus weniger profitablen Gebieten kommt, mag bestehen. Die Frage ist dann aber, wie man diesem Risiko entgegenwirkt: durch Fremd- und Mehrbesitzverbot oder durch andere regulierende Eingriffe, wie zum Beispiel die Finanzierung von Vorhalteleistungen in strukturschwachen Regionen oder eben durch den Ausbau des Versandhandels. Das Fremd- und Mehrbesitzverbot ist ja keineswegs ein Vehikel, um die Versorgung in ländlichen Gebieten aufrechtzuerhalten. Im Gegenteil, eine Apothekenkette oder der Versandhandel könnte die Versorgung in ländlichen Gebieten vielleicht sogar günstiger anbieten und sie damit eher aufrechterhalten als der Pharmazeut in Eigenregie. Zudem hängt die Existenz von Apotheken im ländlichen Raum stark an der Existenz von Arztpraxen vor Ort.

Schmidt: Wettbewerb verbessert Versorgung auf dem Land

DAZ.online: Das Beispiel Schweden zeigt doch aber eindeutig, dass die Liberalisierung nicht die erhofften Preissprünge mit sich brachte. Hinzu kommt, dass es zwar mehr Apotheken in Schweden gibt, die Landversorgung hat sich aber keineswegs verbessert. 

Schmidt: Internationale Erfahrungen zur Aufhebung des Mehr- und Fremdbesitzverbotes weisen darauf hin, dass die Versorgungssicherheit dadurch nicht gefährdet wird. Im Gegenteil hat die Aufhebung des Mehr- und Fremdbesitzverbotes beispielsweise in Norwegen sogar zu einer erhöhten Versorgungsdichte, zu einer besseren Erreichbarkeit und zu Serviceverbesserungen geführt. Der Europäische Gerichtshof merkt außerdem an, dass eine Förderung des Wettbewerbs, wie mit der Aufhebung des Mehrbesitzverbotes erreicht, gerade positive Auswirkungen auf die Verteilung der Apotheken haben könnte: Durch den Wettbewerb werden Anreize zur Niederlassung in Gegenden gesetzt, in denen wegen der geringeren Anzahl an Apotheken höhere Preise verlangt werden können. 

DAZ.online: Wie stehen Sie zu Rabatten für rezeptpflichtige Arzneimittel, wie sie der Europäische Gerichtshof für europäische Versandapotheken erlaubt hat? Sollten sie in Deutschland generell erlaubt werden? 

Schmidt: Ja, Rabatte für rezeptpflichtige Arzneimittel sollten meiner Einschätzung nach auch in Deutschland erlaubt werden. Die Preise sollten aber nicht vollständig freigegeben werden, weder nach oben noch nach unten. Das wäre unter den momentan geltenden Regelungen nicht sinnvoll. Denn durch die Zuzahlungsregeln in Deutschland sind die Verbraucher wenig preissensitiv. Zuzahlungen zu verschreibungspflichtigen Arzneimitteln belaufen sich auf zehn Prozent des Arzneimittelpreises, mindestens aber fünf und höchstens zehn Euro. Durch eine vollständige Preisfreigabe bei gleichzeitig fortbestehender Deckelung der Zuzahlung auf zehn Euro würden gegebenenfalls einige Apotheken deutlich höhere Preise nehmen, ohne dass die Verbraucher davon etwas merken. Das wäre volkswirtschaftlich nicht sinnvoll.

Apotheker sollen „Service-Pauschalen“ vom Kunden verlangen

DAZ.online: Wie sollte denn Ihrer Einschätzung nach die teilweise Freigabe der Preise ausgestaltet sein? 

Schmidt: Sinnvoll wäre ein sanfter Preiswettbewerb, wie ihn die Monopolkommission in ihren Gutachten der Jahre 2006 und 2010 vorgeschlagen hat. Nach diesem Modell würden die Krankenkassen den Apotheken nur noch den Großhandelseinkaufspreis erstatten. Das bisherige Packungshonorar und Zuzahlungen fielen weg. Die Apotheken würden selbst bestimmen, welche „Service-Pauschale“ sie vom Kunden verlangen. Die Service-Pauschale könnte zum Beispiel zwischen null und zehn Euro liegen und damit im Bereich der heutigen Zuzahlungen. Das ist nicht nur für die Krankenkassen gut, die weniger bezahlen müssen, sondern auch für die Apotheken: Wer gut berät, könnte eine höhere Pauschale nehmen. Schließlich profitieren die Patienten, die gegebenenfalls sparen könnten, je nachdem wie hoch die Pauschale ist.

DAZ.online: Steht nicht zu befürchten, dass Patienten zukünftig bei Notlagen – beispielsweise Lieferengpässen – stärker zur Kasse gebeten werden? 

Schmidt: Wenn es ausreichend lokalen Wettbewerb gibt, sollte diese Gefahr gering sein. Diesem Problem wird zudem gerade durch die Möglichkeit des Versandhandels begegnet. Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten dürften überdies die Krankenkassen einen nennenswerten Teil höherer Preise tragen.

DAZ.online: Wie stehen Sie zu den Plänen des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe, den Versand rezeptpflichtiger Arzneimittel zu verbieten?

Schmidt: Was soll dabei der Vorteil für Patienten sein? Manche Patienten bevorzugen die Bestellung über Versandhandel, manche suchen lieber den Weg in die Apotheke. Warum sollte man den unterschiedlichen Wünschen der Menschen nicht Rechnung tragen dürfen? Wichtig ist dabei nur, dass alle Anbieter die gleichen regulatorischen Voraussetzungen zu erfüllen haben. Zum Beispiel sollten herkömmliche Apotheken durch regulatorische Vorgaben nicht höhere Vorhaltekosten haben als Versandapotheken. Statt den Versandhandel deswegen zu verbieten, sollte man vielmehr bei Apotheken die vorhandene Regulierung hinterfragen und prüfen, ob alle Vorschriften noch zeitgemäß sind.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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5 Kommentare

???

von Peter Lahr am 13.03.2017 um 8:54 Uhr

Komisch, wenn man sich so die Zahlen der deutschen Apotheken anschaut wären in Kombination mit den gesetzlichen Einkaufspreisen 90% davon auch als Kette bloss kostenneutral zu betreiben. Inhaber weg, Fililalleiter rein. Wenn man sich die Gehälter in liberalisierten Märkten anschaut würde ein großer Teil davon aber sogar eher Abschreibungsobjekte mit negativem Betriebsergebnis. Skalierung bei Preisen ist nach wie vor in Deutschland nicht möglich und ginge erst, wenn diese UND auch die Rabattverträge abgeschafft würden. Dann aber kämen die Krankenkassen und würden die Rabatte für sich in Anspruch nehmen, also wieder nichts gewonnen wenn man überlegt dass heute mancher Rabatvertrag 80% Rabatt bringt. Es würde also zwangsläufig darin münden, dass der PATIENT für die Gewinne eines Konzerns zu sorgen hat, in Form eines Mehrpreises mit Kostensteigerungen von 60-100% wie Stefan schön an Schwedens Beispiel beschrieben hat. Wir sind durch die Preispolitik der vergangenen Jahre in einer Sackgasse aus der auch eine Kette nicht herauskommen würde da mit den heutigen Rahmenbedingungen im Einkauf Gewinne, wenn überhaupt, in Deutschland nicht in lohnenswerter Höhe zu erzielen sind.

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Irgenwas verstanden ?

von Ratatosk am 09.03.2017 um 9:26 Uhr

Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Klappe halten oder eine paar direkte Fälle anschauen, Lesen bildet bekanntlich.
Gilt leider nicht mehr für solche Herren als sog. Experten, Zu allem eine bezahlte Meinung haben, aber keine Expertise im Einzelfall.
Ende Buchpreisbindung in Frankreich, sofortiger Zerfall der örtlichen ländlichen Buchhandungen ? Nix von gehört ? - überrascht auch nicht.

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Hätte ,könnte,würde....

von Reinhard Rodiger am 09.03.2017 um 0:51 Uhr

Es findet sich im Gutachten EIN Satz zu Apotheken:
"Das jüngste Urteil des EuGH, das die Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente in Deutschland im Widerspruch zu EU-Recht sieht, könnte mehr Wettbewerb unter Apotheken ermöglichen."

Nicht einmal Sicherheit zu der angebotenen These zu stehen findet sich.Wo ein "könnte" verwendet wird gehört ein "Was passiert,wenn nicht"? Wenn nur der Friedhof grösser wird?
Und der Service schlechter und teurer?

Wo wurde abgewogen? (schon in den vorherigen Berichten nicht)

Die Beispiele sind Legion, dass in asymmetrischen Märkten mit einseitiger willkürlicher Beeinflussbarkeit kein Wettbewerb stattfindet, sondern Selektion.Es ist doch eine groteske Annahme, dass Apotheken mit ihrem geringen Anteil an den Arzneimittelpreisen nennenswert die Arzneimittelpreise senken können.Sie können das ohne Abstriche beim Service wirtschaftlich nicht.Das können vorübergehend nur Kapitalfirmen.
Hierzu und den massiven Preissteigerungen,die stattfinden könnten,findet sich nichts.

Es ist immer einfach, desaströse Thesen in die Welt zu pusten und keinerlei Verantwortung zu übernehmen. Nichtmal für vollständige Analyse.Ein Trauerspiel,das auch noch zu bezahlen.

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Was so alles Experte ist

von Stefan Haydn am 08.03.2017 um 19:41 Uhr

Hat dieser sogenannte Experte die Untersuchung der Schweden verpasst?

Von wegen nach der Liberalisierung alles günstiger. Die Preise sind zwischen 60 und 100% gestiegen.
Für die Versorgung auf dem Land zahlt der Staat nun eine Prämie, vorher hat er die Versorgung selbst sichergestellt. Was war wohl günstiger?
Dennoch gibt es Versorgungslücken auf dem Land.

Schwachsinn wird auch beim xten wiederholen nicht besser.

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Wettbewerb

von Karl Friedrich Müller am 08.03.2017 um 16:52 Uhr

Wie der "Wettbewerb" die AM Versorgung sichert, sieht man jetzt schon: es ist immer weniger lieferbar.
Es funktioniert nur noch schlecht und wir sind vom Ausland abhängig.
Gut gemacht, liebe SPD und KK.

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