Bundesverwaltungsgericht

Recht auf Suizid-BtM im „extremen Einzelfall“

Berlin - 03.03.2017, 17:45 Uhr

Recht auf BtM zum Suizid? Diese Entscheidung möchte das BfArM verständlicherweise nicht treffen. (Foto: Photographee.eu / Fotolia)

Recht auf BtM zum Suizid? Diese Entscheidung möchte das BfArM verständlicherweise nicht treffen. (Foto: Photographee.eu / Fotolia)


Ein schwer und unheilbar kranker Patient hat das Recht zu entscheiden, wie und wann er sein Leben beendet. Im extremen Einzelfall kann das bedeuten, dass ihm der Staat nicht den Zugang zu einem tödlichen Betäubungsmittel verwehren darf. Das hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Mediziner kritisieren die Entscheidung.

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz) umfasst auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Patienten, zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt er sein Leben beendet. Dies stellt das Bundesverwaltungsgericht in einem aktuellen Urteil fest. Voraussetzung ist allerdings, dass er seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln kann. Dies hat erhebliche Konsequenzen: Im „extremen Einzelfall“ könne sich ergeben, dass der Staat den Zugang zu einem Betäubungsmittel nicht verwehren darf, das dem Patienten eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht.

Einen solchen Einzelfall sahen die Verwaltungsrichter in dem jetzt entschiedenen Fall gegeben. Geklagt hatte ein Mann, dessen Ehefrau seit einem Unfall im Jahr 2002 unter einer fast kompletten Querschnittslähmung litt. Sie war vom Hals abwärts gelähmt, musste künstlich beatmet werden und war auf ständige medizinische Betreuung und Pflege angewiesen. Hinzu kamen schmerzhafte und häufige Krampfanfälle.

BfArM lehnt Antrag auf tödliche Dosis ab

Die Frau empfand ihre Lebenssituation als unerträglich und entwürdigend und wollte daher aus dem Leben scheiden. Diesen Wunsch besprach sie mit ihrem Ehemann, der gemeinsamen Tochter, den behandelnden Ärzten, einem Psychologen, dem Pflegepersonal und einem Geistlichen. Im November 2004 beantragte sie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Erlaubnis zum Erwerb einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels. Das BfArM lehnte den Antrag im Dezember 2004 ab. Die Begründung: Eine Erlaubnis mit dem Ziel der Selbsttötung sei nicht vom Zweck des Betäubungsmittelgesetzes gedeckt.

Daraufhin suchte sich die Frau Hilfe im Ausland – beim Schweizer Sterbehilfeverein Dignitas. 2005 nahm sie sich das Leben – und ihr Mann stritt für sie vor Gericht mit dem BfArM. Er wollte festgestellt wissen, dass der Versagungsbescheid rechtswidrig und das BfArM zur Erlaubniserteilung verpflichtet gewesen sei. Doch das Verwaltungsgericht Köln wies die Klage im Februar 2006 als unzulässig ab. Es hielt ihn nicht für klagebefugt, da es um seine Frau ging – und nicht um seine eigenen möglicherweise verletzten Rechte. 

EU-Gerichtshof für Menschenrechte ermöglicht neue Entscheidung

Das Rechtsmittel vor dem Oberverwaltungsgericht Münster sowie eine  Verfassungsbeschwerde blieben ohne Erfolg. Sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wurde eingeschaltet. Und dieser entschied im Juli 2012, dass der Ehemann durchaus einen Anspruch habe, dass auch die Begründetheit seiner Klage geprüft wird. Dies ergebe sich aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

Daraufhin wurde das Verfahren wieder aufgenommenen – und von den Vorinstanzen diesmal als unbegründet abgewiesen. Das BfArM habe zu Recht angenommen, dass die beantragte Erlaubnis nach den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes zu versagen sei. Darin liege auch weder ein Verstoß gegen Grundrechte noch gegen Rechte und Freiheiten nach der EMRK.

BtMG: Keine Grundlage für Arzneimittelerwerb zur Selbsttötung

Doch dann war das Bundesverwaltungsgericht am Zug – und entschied anders. Es hielt den Versagungsbescheid des BfArM für rechtswidrig. Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor. In seiner Pressemitteilung verweist das Gericht jedoch darauf, dass es nach den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes grundsätzlich nicht möglich ist, den Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung zu erlauben. Allerdings sei hiervon im Lichte des Selbstbestimmungsrechts in Extremfällen eine Ausnahme für schwer und unheilbar kranke Patienten zu machen. Jedenfalls dann, „wenn sie wegen ihrer unerträglichen Leidenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen, und ihnen keine zumutbare Alternative – etwa durch einen palliativmedizinisch begleiteten Behandlungsabbruch – zur Verfügung steht“. Deshalb hätte das BfArM prüfen müssen, ob hier ein solcher Ausnahmefall gegeben war.

Mehr als späte Genugtuung bringt dies dem Kläger nicht. Nachdem seine Frau nun tot ist, lässt sich die geforderte Prüfung nun nicht mehr nachholen. Eine Zurückverweisung der Streitsache an die Vorinstanz zur weiteren Sachverhaltsaufklärung scheidet daher ebenso aus wie die Feststellung, dass das BfArM zur Erlaubniserteilung verpflichtet gewesen wäre.

Montgomery: Unverantwortliche Bürokratieethik

Bundesärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery fehlt bereits vor Kenntnis der genauen Urteilsgründe das Verständnis für die Entscheidung. „Dass eine so grundsätzliche ethische Frage wie die der ärztlich assistierten Selbsttötung auf einen bloßen Verwaltungsakt reduziert werden soll, ist mir völlig unverständlich“. Man müsse sich fragen, ob das Bundesverwaltungsgericht die grundlegenden Diskussionen und Beschlüsse im Deutschen Bundestag zur Sterbebegleitung wahrgenommen habe. Montgomery fürchtet Verwerfungen in der Praxis. Welcher Beamte im BfArM soll entscheiden, wann eine „extreme Ausnahmesituation“ vorliegt? „Eine solche Bürokratieethik ist unverantwortlich“, meint der Ärztepräsident.

Palliativmediziner verweisen auf andere Wege

Auch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e.V. (DGP) spricht von einem Schritt in die falsche Richtung. Schon der zugrunde liegende Fall zeige deutlich die Probleme solcher Regelungen auf. „Die querschnittsgelähmte Patientin hätte jederzeit die Beendigung der künstlichen Beatmung – unter angemessener Sedierung zur Symptomkontrolle – einfordern und damit das Sterben zulassen können“, sagt DGP-Präsident Lukas Radbruch und fragt: „Warum war hier die Not so groß, dass ein tödliches Medikament eingefordert wurde?“ Der DGP weist darauf hin, dass Palliativmediziner immer wieder mit Sterbewünschen ihrer Patienten konfrontiert würden. Die tägliche Praxis zeige aber, dass dies oft der Wunsch nach einem Gespräch sei, nach alternativen Angeboten und nach einem gemeinsamen Aushalten der bedrückenden Situation.

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2017, Az.: 3 C 19.15



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Medizinisch begleitete Sterbehilfe als Alternative

Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung bleibt tabu

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen

Suizidhilfe ist möglich – aber nicht durch den Staat

Bundesverwaltungsgericht: Es gibt alternative Wege zur Selbsttötung

Kein Recht auf Natrium-Pentobarbital

Verwaltungsgericht ruft Bundesverfassungsgericht an

Ist das Verbot des Erwerbs von Suizid-Arzneimitteln verfassungswidrig?

Öffentliche Anhörung

Suizid-BtM im Gesundheitsausschuss

Warten auf ein nächstes Urteil aus Karlsruhe?

Spahn will BfArM weiterhin nicht über Sterbehilfe entscheiden lassen

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.