Offenes Deckungsplanverfahren

Hilfsmittel, aber kein Wundermittel gegen Niedrigzinsen

Stuttgart - 03.03.2017, 11:30 Uhr

(Foto: Zerbor / Fotolia)

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Das offene Deckungsplanverfahren gilt als typische Antwort der Versorgungswerke auf Nullzinsen. Wie das Verfahren helfen kann, welche neuen Fragen sich dabei stellen und wo seine Grenzen sind, zeigt diese Analyse von Thomas Müller-Bohn.

Das Versorgungswerk der Apothekerkammer Nordrhein plant, das offene Deckungsplanverfahren für die ab 2018 zu zahlenden Beiträge einzuführen. Das hat die Diskussion über den Umgang mit niedrigen Zinsen angeheizt. Dabei sollten zwei Aspekte unterschieden werden. Erstens müssen alle, die mit kapitalgedeckten Systemen vorsorgen, die Folgen der Nullzinsen bedenken. Und zweitens sind die finanzmathematischen Verfahren für kapitalbildende Versicherungssysteme zu unterscheiden. 

Umgang mit Nullzinsen

Das wesentliche Problem liegt im ersten Punkt. Bisher haben die berufsständischen Versorgungswerke in Deutschland und einige andere kapitalbildende Versicherungssysteme primär darauf gesetzt, dass sich das Kapital mit einem attraktiven praktisch risikolosen Zins langfristig erheblich vermehrt. So entstehen viel höhere Renten als in umlagefinanzierten Systemen. Doch die Nullzinspolitik der Zentralbanken durchkreuzt dieses Konzept. Da das „billige Geld“ gegen eine Finanzkrise nötig erscheint und die Staaten sich damit komfortabel finanzieren können, arbeiten maßgebliche politische Kräfte für den Erhalt dieser Situation. Falls diese noch lange andauert, werden Versorgungswerke zwei Optionen haben. Wenn sie nur sehr risikoarm investieren, könnten sie langfristig kaum höhere Renten zahlen als ein Umlagesystem.

Berufseinsteiger müssten sich dann darauf einstellen, dass ihre Rente deutlich geringer als in der vorherigen Rentnergeneration ausfallen wird. Letztlich muss sich jede Generation den Herausforderungen ihrer Zeit stellen. Dies könnte langfristig das Ende der Versorgungswerke bedeuten, weil sie keine Vorteile mehr bieten würden. Das käme einigen politischen Kräften wohl gelegen. Die andere Option wäre, einen größeren Teil des Kapitals risikoreicher anzulegen, um eine höhere Rendite zu erzielen.

Viele ausländische Pensionskassen arbeiten schon immer so und sogar bei deutschen Lebensversicherungen lag schon vor Jahrzehnten großer Charme in den nicht planbaren Überschussbeteiligungen. Immobilien und Aktien müssen keine Zockerinstrumente sein, sondern gelten anderswo längst als solide Grundlagen einer vernünftigen Altersvorsorge mit ansehnlichen Erträgen. Die unvermeidlichen Schwankungen relativieren sich auf lange Sicht. Die Renten sind dann zwar nicht genau planbar, aber solche Pläne sind ohnehin nur eine Illusion. Denn auch wer genau weiß, wieviel Euro er in zwanzig oder viel mehr Jahren bekommt, hat keine Ahnung, was man dann dafür kaufen kann.

Die jungen Apotheker von heute und morgen werden also damit leben müssen, dass ihre Rente anders entstehen wird als die ihrer Eltern – zumindest etwas anders, denn langfristig besteht durchaus Aussicht auf die Rückkehr „normaler“ Zinsen. Im US-Dollar-Raum hat der Trend bereits gedreht. 

Anwartschaftsdeckungsverfahren

Vor diesem Hintergrund müssen die Versorgungswerke über den finanzmathematischen Umgang mit ihrem Kapital entscheiden. Eine besonders strenge Form der Kapitaldeckung ist das Anwartschaftsdeckungsverfahren. Dabei hat jedes Mitglied einen individuellen Anteil am Kapitalstock. Die künftige Rente kann dann aus den gezahlten Beiträgen errechnet werden. Nach diesem Verfahren arbeitet die Apothekerversorgung in Nordrhein bisher.

Offenes Deckungsplanverfahren

Die Alternative ist das offene Deckungsplanverfahren, das nun in Nordrhein für künftige Beiträge eingeführt werden soll. Die Bayerische Versorgungskammer hat dies bereits Anfang 2015 getan. Auch das Versorgungswerk der Apothekerkammer Niedersachsen arbeitet damit und das Versorgungswerk der Apothekerkammer Schleswig-Holstein wendet es schon seit seiner Gründung an. Alle diese Einrichtungen betreiben kapitalgedeckte Systeme.

Anders als beim Anwartschaftsdeckungsverfahren gibt es beim offenen Deckungsplanverfahren jedoch keine „automatischen“ Ansprüche. Stattdessen fließt das Geld in einen gemeinsamen Topf, über dessen Verwendung die Gremien des Versorgungswerkes entscheiden. Das könnte auch so geregelt werden, dass ein Teil der Beiträge sofort zur Zahlung von Renten verwendet wird. In den ersten Jahrzehnten nach der Gründung stellt sich diese Frage nicht, aber später kann sie relevant werden. Dann bietet ein solcher kleiner Anteil von Umlagefinanzierung mehr Gestaltungsmöglichkeiten für ertragsschwache Zeiten.

Dann können auch risikoreichere Anlagen getätigt werden, die langfristig mehr Ertrag versprechen. Das macht das offene Deckungsplanverfahren in Nullzinszeiten so interessant. Damit ist das Verfahren keineswegs eine Abkehr von der Kapitaldeckung, sondern bei entsprechender Gestaltung ein Kompromiss, der die Idee der Kapitaldeckung durch eine längere Niedrigzinsphase retten kann. Das Attribut „offen“ drückt aus, dass die Rechnung den Neuzugang von Mitgliedern einplanen kann. Doch das muss nicht so sein und ist bei den letztlich immer noch „jungen“ Versorgungswerken nicht üblich. In seiner typischen Form behandelt das Verfahren alle Beiträge unabhängig vom Lebensalter des Mitglieds.

Doch in Nordrhein ist ein modifiziertes Verfahren geplant, das das Alter des Einzahlers berücksichtigt. Außerdem sind soziale Komponenten möglich. Beispielsweise können fiktive Beiträge für Erziehungszeiten von der Versichertengemeinschaft finanziert werden. Es gibt daher nicht das „eine“ offene Deckungsplanverfahren, sondern viele Varianten. Die Rente ist dann nicht mehr das Ergebnis einer einfachen Zinsformel, sondern sie ergibt sich aus Entscheidungen der Gremien sowie den verfügbaren Mitteln aus Kapitalstock, Erträgen und im Bedarfsfall auch aktuellen Beiträgen. Die Entscheidungen über die vielen Stellschrauben dieses Systems haben letztlich mehr Folgen für die Rente als der vermeintlich so bedeutende Übergang zum offenen Deckungsplanverfahren.

Handhabung in der Praxis

Damit fordert ein offenes Kapitaldeckungsverfahren viel mehr Verantwortung von den Gremien eines Versorgungswerkes. Denn diese entscheiden über die Verwendung der Mittel. Beispielsweise die Mitglieder der Kammerversammlung der Apothekerkammer Schleswig-Holstein sind dies gewohnt. Sie diskutieren immer wieder über die angemessene Balance zwischen den Generationen. Denn sie müssen entscheiden, ob bei Überschüssen bestehende Renten erhöht, Anwartschaften der aktiven Generation gesteigert oder Rücklagen für alle geschaffen werden.

Wer ein offenes Deckungsplanverfahren einführt, muss sich also genaue Gedanken über die Details machen und vor allem Vertrauen in die Gremien haben. Denn der Interessensausgleich zwischen den Mitgliedern findet nicht mehr „automatisch“ über eine Rentenformel, sondern durch politische Entscheidungen statt. Dann bietet das offene Deckungsplanverfahren mehr Optionen.

Erfahrene Praktiker dieses Verfahrens halten seine Einführung sogar für ein milderes Mittel als die Senkung des Rechnungszinses. Denn bei einem niedrigeren Zins ist letztlich für alle weniger zu verteilen. Doch unabhängig von allen finanzmathematischen Verfahren wird die Höhe der Rente bei einem kapitalgedeckten System zu einem großen Teil von der Entwicklung des Kapitalmarktes abhängen. Damit müssen heutige und künftige Mitgliedergenerationen leben. 



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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