Pläne der EU-Kommission

VdPP kritisiert EU-Harmonisierung von Nutzenbewertungen

Stuttgart - 22.02.2017, 09:00 Uhr

Bei der Frage, welchen Nutzen zugelassene Arzneimittel haben, plant die EU-Kommission weitere Harmonisierungen. (Foto: megaflopp / Fotolia)

Bei der Frage, welchen Nutzen zugelassene Arzneimittel haben, plant die EU-Kommission weitere Harmonisierungen. (Foto: megaflopp / Fotolia)


Der Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten sieht Pläne der EU-Kommission als „höchst problematisch“ an, Nutzenbewertungen in Europa zu vereinheitlichen. Dies sei wirtschaftspolitisch motiviert und könne zu Qualitätsabsenkungen in Deutschland führen, kritisiert der Verband.

Die Europäische Union unterstützt schon seit mehr als 20 Jahren die Harmonisierung von Nutzenbewertungsverfahren zwischen ihren Mitgliedstaaten, doch Pläne zur Ausweitung der Vereinheitlichung nach Ablauf der aktuellen Förderphase im Jahr 2020 führen nun zu Kritik. Die Arbeit läuft beispielsweise über das Netzwerk „Health Technology Assessment“ (HTA), wie die englische Bezeichnung für das Nutzenbewertungsverfahren lautet. Beim Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) stößt ein Initiativpapier der EU-Kommission zur Stärkung der HTA-Kooperation nun auf erheblichen Widerspruch, zu dem der Verband in einem nicht-öffentlichen Anhörungsverfahren bereits Stellung bezogen hat.

Der VdPP halte die „offensichtlich wirtschaftspolitisch motivierten Vorschläge für höchst problematisch“, heißt es in einer Stellungnahme. „Ein EU-weit vereinheitlichtes HTA-Verfahren, eine zentrale EU-Behörde, eine Teilfinanzierung durch Industriegebühren – das alles birgt die Gefahr der Aufweichung der hohen Qualitätsanforderungen in Deutschland bei der Bewertung neuer Arzneimittel“, kritisiert der Verein, der sich gleichzeitig für eine Weiterführung der bestehenden, nationalen Nutzenbewertungen ausspricht.

 „Enorme wirtschaftliche Interessen“

„Die Kooperation im EU-HTA-Netzwerk muss freiwillig bleiben“, erklärt der VdPP und fordert, die Zusammenarbeit solle anders als von der Kommission angedacht weiterhin durch eine gemischte Finanzierung durch EU und EU-Mitgliedsländer getragen werden. Brüssel will doppelte Nutzenbewertungen verhindern und dabei zukünftig offenbar vermehrt auf eine verpflichtende Kooperation setzen, da die bisherige Zusammenarbeit hier zu wenig erreicht habe. 

Dabei setze sie den Fokus sehr auf einen Effizienzgewinn für die nationalen Gesundheitswesen und auf einen früheren Zugang der Patienten zu neuen Therapien – was nur dann positiv wäre, wenn diese auch einen Nutzen haben, betont der VdPP. Auch die von der Kommission angeführte Aussage, das Initiativpapier sei konsistent mit zwei wirtschaftspolitischen Zielen der zehn politischen Prioritäten von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, sieht der Verband als bezeichnend an. Insgesamt werde deutlich, welche „enormen wirtschaftlichen Interessen“ in diesen Verfahren tangiert sind, schreibt der VdPP – und dass die Hersteller von Arzneimitteln die Initiative nicht nur begrüßen, sondern mit auf den Weg gebracht haben.

Laut VdPP werden Gefahren verharmlost

„Zu potenziellen Gefahren findet sich lediglich der Hinweis, dass eine EU-weite negative Nutzenbewertung existenzielle Auswirkungen für kleine und mittelständische Unternehmen haben könnte“, bemängelt der VdPP in seiner Erklärung. Das „gemeinsame Ringen um hohe Qualität von HTA-Berichten“ diene zwar der bestmöglichen Patientenversorgung in den europäischen Gesundheitssystemen wie auch der Erhaltung der Finanzierbarkeit, erklären die Pharmazeuten. Doch erwecke die Initiative der EU-Kommission den Verdacht, dass mit der Hauptzielrichtung einer verpflichtenden Harmonisierung im HTA-Bereich der Zugang neuer Technologien in die EU-Gesundheitssysteme vereinfacht werden soll – und dieser als „Bürokratieabbau“ verharmlost werde, wie der VdPP kritisiert.

Der Verband lehnt verpflichtende gemeinsame HTA-Berichte mit einer zentralen Leitung auf EU-Ebene ab, heißt es in der Pressemitteilung. „Dies würde den in Deutschland erreichten Qualitätsstandard insbesondere im Bereich der Bewertung von Arzneimitteln gefährden“, betont der Verband. Denn Differenzen bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln innerhalb der EU seien nicht willkürlich, wie die Kommission behaupte – sondern basierten auf unterschiedlichen Gesundheitssystemen. So beruhe die Nutzenbewertung in Deutschland auf der Auswertung von Originaldaten, berücksichtige fast ausschließlich patientenrelevante Endpunkte und sei sehr transparent, was in anderen Ländern deutlich anders sei.

Wie weit soll der Einfluss der EU reichen?

Die aktuelle Diskussion um die Harmonisierung von Nutzenbewertungen berührt auch eine generelle Frage: Inwieweit darf sich die EU in Aspekte der Gesundheitsvorsorge der Mitgliedstaaten einmischen? Eigentlich ist diese nach den Lissabonner Verträgen „prinzipiell Angelegenheit der einzelnen EU-Mitgliedsländer“, wie auch der VdPP betont. Im Bereich gemeinsamer Sicherheitsanliegen im Bereich der öffentlichen Gesundheit gibt es jedoch Ausnahmen – so bei der Zulassung von Arzneimitteln oder Medizinprodukten.

Nach Ansicht von Kritikern dehnen sich die Ausnahmen immer mehr aus – oft mit dem Argument des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs, wie es beim EuGH-Urteil zu Rx-Boni der Fall war. Auch im Rahmen einer EU-Initative für einen besseren Zugang zu Arzneimitteln – die es auf hohe Preise wie auch Lieferengpässe abgesehen hat – soll die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten ausgeweitet werden.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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