Interview Günther Hanke

„Es kann nicht in allen Gemeinden eine Apotheke geben“

Berlin - 22.02.2017, 11:30 Uhr

Neuer Vorschlag: Weil es in Baden-Württemberg immer mehr Ortschaften ohne Apotheke gibt, schlägt Kammerpräsident Dr. Günther Hanke eine Bedarfsanalyse vor. (Foto: LAK BW)

Neuer Vorschlag: Weil es in Baden-Württemberg immer mehr Ortschaften ohne Apotheke gibt, schlägt Kammerpräsident Dr. Günther Hanke eine Bedarfsanalyse vor. (Foto: LAK BW)


Im Apothekenmarkt schauen derzeit viele Beobachter nach Baden-Württemberg: Dort kämpft die Apothekerkammer gegen die Eröffnung eines Video-Automaten von DocMorris und die Medien berichten über mehrere Orte, in denen die letzte Apotheke schließen musste. Im Interview mit DAZ.online schlägt Kammerpräsident Dr. Günther Hanke nun unkonventionelle Wege vor, wie man die Versorgung verbessern könnte.

Wenn in der Gesundheitspolitik über Versorgungsengpässe in ländlichen Regionen gesprochen wird, kommen zumeist Gegenden in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern als Beispiele auf den Tisch. Das wirtschaftlich starke und gut strukturierte Baden-Württemberg müsste doch nach wie vor eine funktionierende Arzneimittelversorgung in der Fläche anbieten können, müsste man meinen.

In den vergangenen Monaten wurden jedoch einige Einzelfälle bekannt, in denen eine Ortschaft im Südwesten der Bundesrepublik ihre einzige Apotheke verlor. Das wohl bekannteste Beispiel ist Hüffenhardt, wo der Bürgermeister monatelang einen neuen Apotheker suchte und irgendwann aus Verzweiflung DocMorris damit beauftragte, eine Video-Apotheke zu errichten. Kürzlich berichtete der SWR über Tannhausen, eine Ortschaft im Ostalbkreis, die bereits seit zwei Jahren einen neuen Apotheker sucht. Alles Einzelfälle? Blickt man auf die Zahlen, muss man diese Frage klar mit „Nein“ beantworten. Denn zuletzt gab es im Ländle 2547 Apotheken, das sind 250 weniger als noch vor zehn Jahren.

In einem Interview erklärte Kammerpräsident Hanke kürzlich, dass er sich aufgrund dieser Entwicklung eine „Bedarfsanalyse“ vorstellen könne. DAZ.online wollte genau wissen, was Hanke damit meinte: Ist das der erste Schritt zu einer Bedarfsplanung im Apothekenmarkt? Ist Hanke gegen die Niederlassungsfreiheit?

DAZ.online: Sehr geehrter Herr Hanke, in den vergangenen zehn Jahren ist die Apothekenzahl um fast zehn Prozent gesunken. Hat Baden-Württemberg ein handfestes Problem mit der Arzneimittelversorgung?

Hanke: Nein, denn trotz sinkender Apothekenzahlen stellen die Apotheken in Baden-Württemberg die flächendeckende Versorgung sicher. Natürlich bedeutet das für die verbleibenden Apotheken mehr Aufwand und für die Bevölkerung teilweise weitere Wege.  So steigt die Notdienstbelastung, aber auch der Betrieb von Rezeptsammelstellen, von denen es bei uns über hundert gibt, ist mit Aufwand verbunden. Meine Erfahrung zeigt aber, dass den Apothekerinnen und Apothekern die Versorgung der Bevölkerung so wichtig ist, dass sie diesen zusätzlichen Aufwand in Kauf nehmen.

„Wir haben die Politik davor gewarnt“

DAZ.online: Sind Dörfer wie Hüffenhardt, wo DocMorris jetzt einen Apotheken-Automaten eröffnen will, denn ein Einzelfall? Der SWR hatte im Fernsehen kürzlich über ein weiteres Dorf berichtet, in dem die Apotheke weggefallen ist…

Hanke: Es ist nichts Neues, dass sich Apotheken schwer tun, wenn im Ort die letzte Arztpraxis schließt. Es kann leider auch nicht in allen über 1000 baden-württembergischen Städten und Gemeinden eine Apotheke geben, das ist abhängig von einer ausreichenden Frequenz und einem entsprechenden Umsatz.  Aber es stimmt natürlich: Es kommt vor, dass in manchen Orten die einzige Apotheke schließt und kein Nachfolger in Sicht ist. Da kann sich die Versorgung schon mal verschlechtern. Das ist aber die logische Konsequenz aus der Politik der vergangenen Jahre. Es tritt genau das ein, wovor wir die Politik gewarnt haben, wenn die Rahmenbedingungen für Apotheken immer schlechter werden.

Bedarfsanalyse: ja, Bedarfsplanung: nein

DAZ.online: Als Reaktion auf diese verschlechterte Versorgungslage hatten Sie kürzlich in einem Interview eine Bedarfsanalyse für Landregionen vorgeschlagen. Bei den Worten „Bedarfsanalyse“ und „Bedarfsplanung“ läuten bei vielen Apothekern ja eigentlich die Alarmglocken…

Hanke: Zunächst habe ich in dem Gespräch die Entwicklungen seit der Einführung der Niederlassungsfreiheit 1958 nachgezeichnet. Vorher bestand nämlich eine Bedarfsprüfung, die durch höchst richterliche Entscheidung gekippt wurde. Danach gab es eine Welle von Neugründungen, natürlich sehen auch wir den Trend der Apothekenschließungen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts sehen wir uns in der Pflicht darauf zu achten, dass auch die Menschen auf dem Land angemessen versorgt werden. Die bereits angesprochenen Rezeptsammelstellen sind hier ein wichtiges Instrument. Wenn wir zu unseren ärztlichen Kollegen schauen, sehen wir, wie hier die Politik aktiv wird, um die flächendeckende Versorgung sicherzustellen.

Keine Bedarfsplanung, aber eine Bedarfsanalyse

DAZ.online: …und bei den Medizinern gibt es nun einmal eine Bedarfsplanung, die von den Kassen und Ärzten gemeinsam gestaltet wird. Welche Funktion könnte eine solche Bedarfsanalyse im Apothekenmarkt denn erfüllen?

Hanke: Eine Bedarfsanalyse könnte aufzeigen, wo es zusätzlichen Handlungsbedarf gibt. Derzeit erfahren wir in der Regel erst über die Kollegen vor Ort, dass es Engpässe gibt. Und das insbesondere dann, wenn uns ein Antrag zur Errichtung einer Rezeptsammelstelle erreicht. Damit übernehmen wir als Kammer eine sehr passive Rolle. Ich würde mir aber wünschen, dass wir die Probleme bereits erkennen, bevor sie eintreten. Dabei kann eine Bedarfsanalyse helfen.

DAZ.online: Aber der zweite Schritt nach einer Bedarfsanalyse ist doch in der Regel dann auch die Bedarfsplanung. Sie wollen also eine Analyse ohne anschließende Planung?

Hanke: Eine Bedarfsplanung gab es hierzulande ja bis 1958. Hier können die Uhren nicht einfach zurückgedreht werden. Einer strikten Bedarfsplanung kann ich als Freiberufler auch nicht viel abgewinnen. Was aber erlaubt sein muss, ist der Blick zu unseren ärztlichen Kollegen. Hier lässt sich die Politik viel einfallen und investiert, um Ärzte in den ländlichen Raum zu bringen. Das wäre auch für Apotheken denkbar.

Mehr finanzielle Hilfen vom Land

DAZ.online: Es geht Ihnen also darum, die unterversorgten Regionen ausfindig zu machen, um die Apotheken dort gezielt finanziell zu unterstützen?

Hanke: Zunächst halte ich eine Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für sinnvoll. Die Notdienstpauschale war eine sinnvolle Maßnahme. Dass demnächst auch Rezepturen und die BTM-Dokumentation besser bezahlt werden, ist ebenso unterstützenswert. Noch wichtiger ist aber Planungssicherheit. Deshalb ist das geplante Rx-Versandverbot so wichtig.

DAZ.online: Welche zusätzlichen Anreize sollte es denn für Landapotheker Ihrer Meinung nach geben?

Hanke: Viele Dinge sind heute schon möglich, wie zum Beispiel günstige Miete für die Räumlichkeiten oder die Hilfe bei der Wohnungssuche etc. Bei Ärzten gibt es darüber hinaus finanzielle Zuschüsse für eine Praxisgründung. Evaluiert sind diese Ansätze aber noch nicht ausreichend.

DAZ.online: Gesundheitsgesetze werden ja größtenteils im Bund gemacht. Erwarten Sie aber auch von der baden-württembergischen Landesregierung mehr Engagement?

Hanke: Im Jahr 2013 hat das Sozialministerium Baden-Württemberg das Aktionsprogramm „Landärzte“ gestartet und hierfür ein Förderprogramm in Höhe von 6,95 Millionen Euro aufgesetzt. Also auch auf Landesebene ist einiges möglich.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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3 Kommentare

Versorgungs- versus Sicherstellungsauftrag

von Uwe Hüsgen am 22.02.2017 um 19:29 Uhr

Die bei den (Vertrags-)Ärzten zwecks flächendeckender Sicherstellung der Versorgung in die Wege geleiteten Maßnahmen sind (noch) nicht ohne weiteres auf die Apotheken übertragbar, weil die Organisationsstrukturen (KV versus Verband mit freiwilliger Mitgliedschaft) zu unterschiedlich sind.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Versorgungs- versus

von Bernd Küsgens am 23.02.2017 um 11:44 Uhr

Herr Hüsgen hat Recht: Solange jeder Bürgermeister, jeder Krankenkassenangestellter und jeder Bundestagsabgeordneter sich zu diesem Thema äußern, bzw. seine persönliche Meinung absondern kann ohne unser System zu kennen, solange haben wir amerikanische Verhältnisse. Ich halte es mit Dieter Nuhr: "Wenn ich keine Ahnung habe, Schnauze halten". Aber das setzt voraus, dass ich erkannt habe, dass ich anerkenne, das ich weiß, das ich nichts weiß.

Aller Anfang ist schwer ...

von Christian Timme am 22.02.2017 um 14:52 Uhr

Da fehlen jetzt noch 16 ...

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