Strukturaufklärung mit Neutronen

Präzisionswaffe statt Schrotflinte gegen Helicobacter 

Garching - 08.02.2017, 10:30 Uhr

Am Forschungsreaktor München II (links, rechts daneben der stillgelegte Vorgänger, das Atom-Ei ) werden Molekül-Strukturen für Forschungsgruppen aus aller Welt aufgeklärt. (foto: picture alliance/Sueddeutsche Zeitung Photo)

Am Forschungsreaktor München II (links, rechts daneben der stillgelegte Vorgänger, das Atom-Ei ) werden Molekül-Strukturen für Forschungsgruppen aus aller Welt aufgeklärt. (foto: picture alliance/Sueddeutsche Zeitung Photo)


Röntgenstrahlen reichten nicht

Im Fall MTAN war bekannt, dass eine Vorstufe des Vitamin K2 über Wasserstoffbrückenbindungen an das aktive Zentrum gebunden wird. Anschließend wird eine Seitengruppe abgespalten. Die Forscher waren dabei besonders daran interessiert, an welchen Positionen sich die Wasserstoffatome des Enzyms befinden und wie sie im Verlauf der Reaktion ihre Position verändern. „Positionen von Wasserstoffatomen lassen sich aber mit Röntgenstrukturanalyse nur in seltenen Fällen bestimmen“, erklärt der Forscher der zur Technischen Uni München gehörenden Neutronenquelle. „Röntgenstrahlen werden an der Elektronenhülle der Atome gestreut. Da Wasserstoff aber nur ein Elektron besitzt, beträgt die Streukraft hier nur einen Bruchteil der größeren Kohlenstoff-, Stickstoff- oder Sauerstoff-Atome. Nur bei höchster Auflösung, die man mit dafür kristallisierten Proteinen nur selten erreicht, kann man die Wasserstoff-Atome abbilden“, sagt der Experte.

An dieser Stelle kommt die Neutronenquelle ins Spiel. „Die Wechselwirkung der Neutronen findet mit dem Atomkern statt. Dabei zeigt Wasserstoff beziehungsweise das Wasserstoffisotop Deuterium die gleiche Streustärke wie Kohlenstoff, Stickstoff oder Sauerstoff“, sagt Ostermann. Daher ließe sich mit Neutronenstreuung bereits bei weit geringerer Auflösung die Position von Wasserstoffatomen darstellen.

In Garching stammen die Neutronen aus der Kernspaltung, die in Deutschlands größtem Kernreaktor, dem FRM-II, mit hochangereichertem Uran betrieben wird. Über Strahlrohre werden die im Reaktor entstehenden schnellen Neutronen in die benachbarten Experimentierhallen geleitet. An verschiedenen Forschungsinstrumenten, die von der TU München gemeinsam mit dem Forschungszentrum (FZ) Jülich betrieben werden, wird die Neutronenstrahlung dann für die unterschiedlichsten Forschungsansätze in der Physik, Chemie und im biologisch-medizinischen Bereich eingesetzt.

Neutronenquelle als Dienstleister für Forscher aus aller Welt

„Neutronen sind perfekte ‚Sonden‘ für die Untersuchung der Materie. Aber leider lassen sich derzeit keine so starken Neutronenstrahlen erzeugen, wie das mit Röntgenstrahlen der Fall ist. Während bei den Röntgenmessungen an Synchrotronen die Messung im Bereich von Minuten liegen, sind dies bei der Neutronenstrahlung leider mehrere Tage“, erklärt Ostermann. Die Forscher der TU München und die dort arbeitenden Forscher des FZ Jülich sind dabei sozusagen Dienstleister für Forscher aus aller Welt. „Viele unserer Gastwissenschaftler kommen mit Fragestellungen wie die der Gruppe von Professor Ronning“, sagt Ostermann. Solche Strukturaufklärungen, die zum Wirkstoffdesign genutzt werden könnten, seien für alle Prozesse denkbar, in denen Wasserstoffatome bei der enzymatischen Katalyse eine essenzielle Rolle spielten, sagt er.

Die „Kunden“ der Forschungsneutronenquelle stammten im Bereich der Biowissenschaften bislang hauptsächlich aus der Forschung. „Kunden aus der Industrie sind in der Regel nicht daran interessiert, ihre Ergebnisse zu veröffentlichen, was eine Grundvoraussetzung ist, um bei uns kostenlos messen zu können“, sagt der Forscher. Grundsätzlich sei das möglich. „Allerdings muss man dann etwa 6000 Euro pro Tag für die Messung aufbringen.“ Im Bereich der Aufklärung von Protein-Strukturen habe es noch keinen Kunden aus der pharmazeutischen Industrie gegeben. Bei den Materialwissenschaften sei das anders, dort würden häufiger Kunden aus der Industrie Messungen in Auftrag geben.

Die amerikanische Forschungsgruppe, deren Arbeit von verschiedenen US-Forschungsinstituten gefördert wird, hat ihre Ergebnisse zur Strukturaufklärung des MTAN jetzt im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht. 



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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