Mordversuch mit Rizin

Wie wirkt das Gift aus dem Weimarer Tatort?

Stuttgart - 06.02.2017, 15:30 Uhr


Der kakaosüchtige und Rosen-liebende Schutzpolizist Lupo im Weimarer Tatort vom gestrigen Sonntag wird mit Rizin vergiftet. Der Todgeweihte überlebt am Ende überraschenderweise. Doch was ist Rizin eigentlich für ein Gift? Wir haben es uns einmal genauer angeschaut. 

Rizin wird im Endosperm der Samen des Wunderbaums, von Ricinus communis, gebildet. Den sogenannten Castorbohnen. Es handelt sich bei Rizin um ein Lektin. Lektine, die von Tieren, Pflanzen oder Mikroorganismen gebildet werden können, sind in der Lage an eine Vielzahl von Zellstrukturen zu binden und so Einfluss auf diverse biochemische Reaktionen zu nehmen, zum Beispiel die Zellteilung, die ribosomale Proteinbiosynthese. Das von Influenzaviren gebildete Hüllprotein Hämagglutinin zählt beispielsweise zu den Lektinen. Pharmazeutisch verwendet werden Mistellektine in der Tumortherapie. Sie scheinen die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Im Tierversuch und in Zellkulturen wurden zudem immunstimulatorische Wirkungen nachgewiesen. 

Oral, per Injektion oder über die Lunge 

Rizin besteht aus zwei annähernd gleich großen Proteinketten, die über eine Disulfidbrücke verbunden sind. Die B-Kette bindet an zellwandständige Glykoproteine und Glykolipide und bewirkt die Aufnahme des Rizins in die Zelle über Endozytose. Später trennt sich die Kette an der Disulfidbrücke. Die A-Kette, eine hochspezifische N-Glucosidase, spaltet aus der 28S-ribosomalen RNA einen Adeninrest ab und blockiert so die Proteinbiosynthese. Ein einziges Rizin-Molekül soll ausreichen um eine Zelle zu zerstören.

Welche Körperzellen betroffen sind, die in der Folge auch die Symptome der Vergiftung bestimmen, richtet sich nach der Aufnahmeart des Giftes. Meist wird Rizin durch den versehentlichen Verzehr von Samen oral aufgenommen und greift dann primär die Zellen des Verdauungssystems, der Leber und der Nieren an. Nach rund vier bis acht Stunden tritt dann hohes Fieber, Brechdurchfall und Husten auf. Dem Brechdurchfall liegt eine hämorrhagische Gastroenteritis zugrunde. Zusätzlich treten als Symptome Koliken und eine allgemeine Schwäche auf. In der Folge verfällt der Betroffene ohne Behandlung ins Koma oder erleidet einen Kollaps. Der Tod tritt nach 36 bis 72 Stunden als Folge eines allgemeinen Organ- und Kreislaufversagens ein.

Das Gift kann auch als Aerosol eingeatmet oder injiziert werden. Die Symptome ändern sich dementsprechend: Lungenödem und Atemstillstand beziehungsweise schwere Lähmungen sind dann die Folge. Auch Fälle, in denen eine Aufnahme über die Haut erfolgte, sind beschrieben. Über gesunde Haut können aber nur geringe Mengen aufgenommen werden. Bei sehr intensivem Kontakt sind dann auch Erbrechen und Bauchschmerzen möglich. Vor  allem kommt es zu allergischen Reaktionen mit Juckreiz, Urtikaria und Blasenbildung. 

In dem ebenfalls aus den Samen gewonnenen und pharmazeutisch eingesetzten Rizinusöl ist kein Rizin enthalten, dazu ist ein spezielles Vorgehen erforderlich. Das Öl wird durch Auspressen der Samen bei Temperaturen unter 40 Grad gewonnen, um zu verhindern, dass das Rizin ins Öl übergehen kann. Anschließend wird das so gewonnene Öl mit heißem Wasserdampf behandelt, um eventuell noch vorhandene Spuren des hitzeempfindlichen Rizins zu entfernen. 

Kein spezifisches Antidot

Gegen eine Vergiftung mit Rizin gibt es kein spezifisches Antidot – wie es auch im Tatort richtig dargestellt wurde. Die Mortalitätsrate ist allerdings heute unter rechtzeitiger, adäquater (intensivmedizinischer) Therapie nur noch sehr gering – das Robert-Koch-Institut schätzt sie auf 0,4 Prozent. Unbehandelt liegt sie bei 8 Prozent.

Nach oraler Aufnahme wird empfohlen, innerhalb einer Stunde eine Magenspülung durchzuführen. Außerdem sollte so früh wie möglich Aktivkohle gegeben werden, gegebenenfalls auch Abführmittel. Tödliche Verläufe werden ab einem Verzehr von drei Samen beschrieben. Daraus lässt ich eine letale Dosis ab 1 mg Rizin pro Kilogramm Körpergewicht ableiten. Da der Rizingehalt der Samen sehr schwankend ist, unter anderem abhängig vom Reifegrad, ist die Zahl der geschluckten Bohnen kein Prädiktor für den Schweregrad der Vergiftung.

Werden ganze Bohnen geschluckt, treten übrigens keine Symptome auf. Die harte Schale verhindert, dass Rizin freigesetzt wird. Da Rizin kurze Zeit nach der Resorption via Endozytose in die Zellen aufgenommen wird, ist der direkte Nachweis im Blut nicht möglich. Das Robert-Koch-Institut schreibt Rizin ein hohes terroristisches Potenzial zu, da es leicht verfügbar, leicht zu gewinnen und gut bekannt ist. Rizin könnte somit als Aerosol verteilt oder injiziert werden. Auch die Vergiftung von Wasser oder Lebensmitteln wäre möglich.

Biowaffe, „Regenschirm-Attentat" und Antikörper

Rizin war Bestandteil des Biological Warfare-Programms der USA und wurde zur Entwicklung der sogenannten W-Bombe (W als Codewort für Rizin) im 2. Weltkrieg genutzt. Eingesetzt wurde sie dann letztendlich aber nicht. Aber auch Morde oder Mordversuche mit Rizin – neben dem im Tatort –  sind beschrieben. Zum Beispiel der Anschlag auf den bulgarischen Schriftsteller und Dissidenten Georgi Markov 1978 in London. Mittels einer präparierten Regenschirmspitze (sogenannter Bulgarischer Regenschirm) wurde ihm eine Metallkugel mit Rizin ins Bein injiziert. Der Vorfall ist auch als Regenschirm-Attentat bekannt. Die Möglichkeiten für einen Großeinsatz von Rizin erscheinen laut RKI jedoch eher begrenzt. Für einen Einsatz in Aerosolform wären außerordentlich große Mengen nötig, um einen flächendeckenden Effekt zu erzielen, heiß es dort.

Im Tatort gab es übrigens ein Happy End. Das Opfer überlebte, weil er spezifische Antikörper entwickelte. Wird eine Rizin-Exposition überlebt, sind diese tatsächlich nachweisbar. Über die klinische Bedeutung dieser Antikörper gibt es allerdings laut Robert-Koch-Institut keine Daten. 



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


Cornelia Neth, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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