Beratungs-Quickie

Komplementäre Krebsbehandlung mit einer Misteltherapie

München / Stuttgart - 02.02.2017, 11:00 Uhr


Welche Informationen sind bei einem Beratungsgespräch in der Apotheke für den Patienten wichtig? Welche hilfreichen Tipps kann der Apotheker zu Arzneimitteln und Therapien geben? Im Beratungs-Quickie stellen wir jeden Donnerstag einen konkreten Patientenfall vor. Diesmal geht es um eine Verordnung über ein anthroposophisches Arzneimittel mit Mistelextrakt für eine Krebspatientin Mitte fünfzig.

Formalien-Check

Die Dame legt das Rezept einige Tage nach der Ausstellung mit den Worten vor: „Sie werden es mir sowieso bestellen müssen. Können Sie es mir nach Hause bringen?“

Verordnet sind zwei Packungen Iscador® P c. Hg 0,1 mg mit je sieben Ampullen à 1 ml, Packungsgröße N1. Das Rezept ist vollständig, aber nicht eindeutig. Die Stärke 0,1 mg ist nicht als Sortenpackung im Handel, jedoch in der Serienpackung Iscador® P c. Hg Serie I enthalten. Die Rücksprache mit dem Arzt ergibt, dass es sich um einen Schreibfehler handelt. Die Patientin benötigt Iscador® P c. Hg 1,0 mg Ampullen. Seit dem 1. Juni 2016 (Neufassung § 3 Rahmenvertrag) muss die Apotheke keine Retaxationen mehr befürchten, wenn sie nach Rücksprache mit dem Arzt Angaben nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 – 7 AMVV entsprechend korrigiert oder ergänzt. Hierzu zählt auch die Wirkstärke. Die Änderung ist mit Vermerk und Datum abzuzeichnen.

Die gesetzlichen Krankenkassen können das anthroposophische apothekenpflichtige Arzneimittel zu jedem Zeitpunkt der Krebserkrankung erstatten, sind aber nur bei nicht heilbaren Krebserkrankungen dazu verpflichtet: Das Bundessozialgericht entschied, dass die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in der Anlage I zum Abschnitt F der AM-RL (OTC-Übersicht) vorgenommene Anwendungsbeschränkung für Mistelpräparate „in der palliativen Therapie von malignen Tumoren zur Verbesserung der Lebensqualität“ auch für Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen gelte. Eine Kostenübernahme für die adjuvante Therapie, wenn die Krebserkrankung heilbar zu sein scheint sowie zur Verhinderung eines Rückfalls, muss der Versicherte bei seiner Krankenkasse erfragen. Die Apotheke hat diesbezüglich keine Prüfpflicht.

Die Kundin ist darüber zu informieren, dass die Iscador® Ampullen nach der Lieferung im Kühlschrank zu lagern sind.

Die Kundin ist gebührenpflichtig. Die Zuzahlung wird pro Packung fällig.

Ab Ausstellungsdatum ist die Verordnung einen Monat gültig. 

Beratungs-Basics

Die Misteltherapie wird zur Verstärkung der autoregulativen Wirkung zur Unterstützung der Krebstherapie eingesetzt. Sie kann die unerwünschten Wirkungen einer Chemo- und Strahlentherapie abmildern. Für Mistelextrakte sind zellzerstörende und wachstumshemmende Wirkungen auf Tumorzellen sowie eine allgemein immunmodulierende Wirkung beschrieben. Die wichtigsten arzneilich wirksamen Bestandteile sind die Mistellektine und die Viscotoxine.

Iscador® P(ini) c(um) H(ydrar)g(yrum sulfuricum) enthält Kiefernmistelkraut-Extrakt und potenziertes (D4) Quecksilbersulfat. Das Arzneimittel wird angewendet gemäß der anthroposophischen Menschen- und Naturerkenntnis. Iscador® P cum Hg ist in der Iscadortherapie das Standardmittel zur Supportivbehandlung des Mammakarzinoms nach der Menopause.

Ein Therapiebeginn ist zu jedem Zeitpunkt der Krebserkrankung möglich. Optimalerweise beginnt eine Misteltherapie direkt nach der Diagnose (und nicht erst als palliative Maßnahme). So soll der Körper durch die abwehrsteigernde Wirkung des Mistelextraktes für die Operation zu gestärkt werden..

Eingeleitet wird die Behandlung mit einer sehr niedrigen Dosis, die nach und nach gesteigert wird, bis an der Einstichstelle eine Rötung erkennbar ist. Es handelt sich um eine erwünschte Wirkung, da sie anzeigt, dass der Körper auf den Mistelextrakt reagiert. Auch eine Besserung des Allgemeinbefindens, der psychischen Befindlichkeit oder eine Linderung von Schmerzzuständen sollen anzeigen, dass im optimalen Bereich dosiert wurde. Die Behandlung wird mit der ermittelten individuellen Dosierung fortgesetzt. Die Anwendung erfolgt in der Regel zwei- bis dreimal wöchentlich als subkutane Injektion einer Ampulle (1 ml). Eine Rhythmisierung der Injektionsintervalle, zum Beispiel Injektion am Tag 1, 2 und 5 jeder Woche wird empfohlen. Bei fortgeschrittener Krankheit kann eine tägliche Anwendung sinnvoll sein.

Nach erfolgter Einweisung kann die Patientin die Injektionen unter die Haut selbst vornehmen. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für Spritzen und Nadeln. Die Verabreichung erfolgt nach Möglichkeit in Tumor-oder Metastasennähe, ansonsten an stets wechselnden KörpersteIlen, wie Bauchregion, Oberarm oder Oberschenkel. Es darf nicht in entzündete Hautareale, dem operierten Hautbereich oder in Bestrahlungsfelder injiziert werden.

Die Misteltherapie ist grundsätzlich eine langfristige Therapie. Die Behandlungsdauer sollte mehrere Jahre betragen, wobei in der Regel Pausen zunehmender Länge eingelegt werden. Sie richtet sich nach dem individuellen Befinden und dem jeweiligen Rezidivrisiko. Der Arzt überprüft alle drei bis sechs Monate die Erhaltungsdosis anhand der Patientenreaktion sowie des Tumorverhaltens.

Die vorsichtige Dosissteigerung ist essenziell, da durch die Misteltherapie kein Fieber über 38° C auftreten soll: Während einer Chemotherapie kann Fieber (über 38° C und über länger als drei Tage) ein Anzeichen für einen infektiösen Prozess oder Tumorfieber sein. Eine geringe Steigerung der Körpertemperatur, lokale entzündliche Reaktionen (Rötung, Juckreiz) an der Injektionsstelle sowie eine leichte Schwellung regionaler Lymphknoten sind unbedenklich. Auch leichte Kopfschmerzen und kurzzeitige Schwindelgefühle sind keine Zeichen von Unverträglichkeit, sondern sollen auf eine wirksame Dosierung hinweisen. Wie bei örtlichen Reaktionen mit größer als vier bis fünf Zentimeter Durchmesser, wird empfohlen, die nächste Injektion dann allerdings erst nach Abklingen dieser Symptome und in reduzierter Dosis oder Stärke zu verabreichen.

Ein Auftreten allergischer Reaktionen ist möglich. Bei Anzeichen einer Allergie muss das Arzneimittel abgesetzt werden, gegebenenfalls ist eine ärztliche Behandlung erforderlich.

Auch noch wichtig

Wechselwirkungen mit anderen Arzneimittel sind nicht bekannt. Ob sich eine Misteltherapie mit anderen immunmodulierenden Substanzen (zum Beispiel Thymusextrakten, Zytokine) verträgt, ist nicht ausreichend untersucht. Eine zeitnahe Anwendung entsprechender Präparate sollte nur durch einen Arzt mit entsprechender Erfahrung und unter vorsichtiger Dosierung und Kontrolle geeigneter Immunparameter erfolgen.

Zur Sicherheit sollte die Injektionslösung nicht zusammen mit anderen Arzneimitteln in einer Spritze aufgezogen werden. Angebrochene Ampullen sind sofort zu verwenden.

Da Iscador® Ampullen im Kühlschrank aufbewahrt werden, sind sie vor der Anwendung kurz in der Hand zu erwärmen. Die Einstichstelle soll vor der Injektion mit einem Alkoholpad desinfiziert werden. Mit der einen Hand wird eine Hautfalte gebildet, mit der anderen Hand die Kanüle in einem 45° Winkel in die Haut hineingeschoben. Gebrauchte Nadeln muss die Kundin kindersicher sammeln (zum Beispiel in einem alten Marmeladenglas) und dann mit dem Hausmüll entsorgen.

 

Darf´s ein bisschen mehr sein

•    Die S3-Leitlinien „Supportive Therapie bei onkologischen PatientInnen“ finden Sie hier

•      Die Abkürzungen der Iscador® Präparate stehen für den Wirtsbaum der Mistel: P für Pini (Kiefer), M für Mali (Apfelbaum), Qu für Quercus (Eiche), U für Ulmi (Ulme); sowie für die metallischen Zusätze: cum Arg. für „mit Silbercarbonat“, cum Cu. für „mit Malachit“ und cum Hg für „mit Quecksilbersulfat“.



Manuela Kühn, Apothekerin
redaktion@daz.online


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