Warnung der Versandapotheken

ABDA hält Staatshaftung für „dummes Zeug“

Berlin - 20.01.2017, 11:00 Uhr

Man solle sich keiner Illusion hingeben, warnte Tisch: Die EU-Kommission sei „hoch motiviert, unser System zu schleifen“. (Foto: wes / DAZ)

Man solle sich keiner Illusion hingeben, warnte Tisch: Die EU-Kommission sei „hoch motiviert, unser System zu schleifen“. (Foto: wes / DAZ)


Ein Rx-Versandverbot würde dazu führen, dass Deutschland „in Staatshaftung genommen“ werde und Schadenersatz leisten müsse, meint der Versandapotheken-Verband BVDVA. Die ABDA sieht diese Drohung gelassen. Da werde „dummes Zeug geredet“, sagte Justiziar Tisch auf dem Pharmacon.

Am Dienstag dieser Woche hatte der Bundesverband der Versandapotheken BVDVA in einer Pressemitteilung geschrieben, Deutschland drohe „gegenüber internationalen Marktteilnehmern in Staatshaftung genommen zu werden“, sollte ein Verbot des Versands mit verschreibungspflichtigen Medikamenten hierzulande umgesetzt werden.“ Es drohten hohe Schadenersatzzahlungen an die betroffenen Versandapotheken, die Klagen vorbereiten würden. Der Verband habe ein Rechtsgutachten erstellen lassen, das er den Bundestagsabgeordneten „in Kürze“ vorstellen werde.

Am gestrigen Donnerstagabend nutzten der Präsident der Bundesapothekerkammer, Dr. Andreas Kiefer, und der ABDA-Justiziar Lutz Tisch die traditionelle „Berufspolitische Veranstaltung“ auf dem noch bis heute in Schladming stattfindenden Pharmacon-Kongress, um ihre Sicht auf diesen Aspekt zu äußern. Und die ist eindeutig: Für Kiefer handelt es sich um das „Werfen von Nebelkerzen“, für Tisch ist es „dummes Zeug, das da geredet wird“. Voraussetzung für eine Staatshaftung sei, dass ein Mitgliedstaat offen gegen Gemeinschaftsrecht verstoße. Das sei aber beim Rx-Versandverbot keineswegs der Fall. Schließlich habe der Europäische Gerichtshof 2003 selbst geurteilt, dass der Versand verschreibungspflichtiger Arzneimittel untersagt werden könne. Dazu komme, dass aktuell 21 von 28 EU-Staaten den Rx-Versand untersagt haben.

Gefahren aus Europa

Doch Tisch machte in Schladming auch klar, dass er sehr wohl große Gefahren für das deutsche Apotheken- und Gesundheitswesen und für die Freien Berufe insgesamt von der EU ausgehen sieht. Durch die Globalisierung und den Einfluss großer internationaler Kapitalgesellschaften habe sich die Einstellung durchgesetzt, nur durch Liberalisierungen könne Europa wettbewerbsfähig bleiben. Dazu komme, dass der Einfluss der in Süd- und Mitteleuropa vorherrschenden römisch-rechtlichen Rechtstradition zugunsten der angelsächsischen zurückgedrängt worden sei. Diese Rechtstradition kenne aber das Konstrukt der Freien Berufe gar nicht und sei generell nicht so sehr vom Gedanken der Gefahrenabwehr geprägt wie die römisch-rechtliche. Deswegen fehle es oft am grundsätzlichen Verständnis für den Sinn und Zweck deutscher Regulierungen.

Man solle sich keiner Illusion hingeben, warnte Tisch: Die EU-Kommission sei „hoch motiviert, unser System zu schleifen“. Das zeige beispielsweise das Dienstleistungspaket, in dem sich viel von der Argumentation des jüngsten EuGH-Urteils zur Arzneimittelpreisbindung wiederfinde.

In drei Jahren wieder vor dem EuGH

Ebenfalls keine Illusionen macht sich Tisch über die zu erwartenden Reaktionen auf ein Rx-Versandverbot. „Dieses Gesetz wird sowieso beklagt werden“, so der ABDA-Justiziar. Die betroffenen Versandapotheken werden die neue Regelung wieder vor den Europäischen Gerichtshof bringen wollen. Tisch rechnet damit, dass sich die höchsten europäischen Richter innerhalb von etwa drei Jahren nach Inkrafttreten mit dem Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel beschäftigen werden.

Hürde Notifizierung

Auch zum Notifizierungsverfahren, das ein Rx-Versandverbot durchlaufen muss, äußerte sich Tisch auf Nachfrage aus dem Auditorium. Es sei richtig, dass in der zugrundeliegenden EU-Richtlinie „schwarz auf weiß“ nur von „technischen Vorschriften“ die Rede sei, deren Einführung angezeigt werden muss. Es habe sich auf Basis dieser Vorschrift aber eine Rechtsprechung dahingehend entwickelt, dass alle Vorschriften, die den freien Warenverkehr beeinträchtigen könnten, das Notifizierungsverfahren durchlaufen müssen.

Diese Szenarien drohen dem Rx-Versandverbot während des EU-Notifizierungsverfahrens. (Grafik: DAZ.online)

Entscheidend sei aber ohnehin, dass das Bundesgesundheitsministerium das Rx-Versandverbot nur mit der Notifizierung für möglich hält. Für Tisch stellt das Notifizierungsverfahren auch keine grundsätzliche Hürde für ein Rx-Versandverbot dar. Der entsprechende Gesetzentwurf müsse drei Monate auf einer Online-Plattform veröffentlicht werden, bevor er in Kraft treten kann (Stillhaltefrist). Wenn es in dieser Zeit qualifizierte Stellungnahmen gibt, verlängert sich die Zeit bis zur Einführung des Gesetzes, weil der Mitgliedstaat erläutern muss, welche Maßnahmen er aufgrund der Stellungnahme zu ergreifen gedenkt. Befürchtungen, das Notifizierungsverfahren sei nur ein Trick, um das Rx-Versandverbot doch noch scheitern zu lassen, wiesen Tisch und Kiefer zurück. „Das ist kein politisches Manöver“, so Kiefer. Das BMG sei entschlossen, das Verbot umzusetzen.



Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Kiefer, Tisch, Schmitz stellen sich Fragen der Apotheker zum Rx-Versandverbot

Nebelkerze Staatshaftung

Die Apotheken-Woche in Bildern

Was ist passiert?

Veto des Bundesfinanzministeriums

Schäuble blockiert das Rx-Versandverbot

Das Rx-Versandverbot bleibt umstritten – ABDA und BVDVA zum Gespräch geladen

Rückt eine gemeinsame Lösung näher?

Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

SPD-Fraktion im NRW-Landtag für Gröhes Pläne – EU-Kommissar: Verbot ist rechtlich möglich

Unterstützung für Rx-Versandverbot

EU-Kommissar Vytenis Andriukaitis

„Jeder EU-Staat kann den Rx-Versand verbieten“

Weiter Streit um Rx-Versandverbot - Unterstützung aus NRW – Monopolkommission pro Boni

Fronten bleiben verhärtet

4 Kommentare

Diskussion...naja...

von gabriela aures am 22.01.2017 um 14:08 Uhr

Die diesjährige "Diskussion" hat ihren Namen leider nicht verdient und viele Anwesende eher verwirrt und unbefriedigt entlassen, wie ich aus manchen Gesprächen im Anschluß mitbekommen habe .
Und daß völlig wertfreie Nachfragen manchen Verbandschef völlig entgleisen lassen ...(oder er mag mich nur einfach nicht, kann ja auch sein)

Den Löwenanteil der Zeit durften zuerst Herr Tisch juristische Hintergründe erläutern und dann hat der HGF Dr. Schmitz einen Vortrag gehalten, der sich zwischen
Widerlegen der Vorwürfe der Basis ( sorry, aber so wenig Kritik, sondern vielmehr so viel Unterstützung und Ruhe wie seit dem 19. Oktober hat die ABDA doch seit Jahren nicht mehr erleben dürfen !) und einer Nachhilfestunde in Sozialkunde mit dem Titel "Der Weg von der Idee zum fertigen Gesetz" bewegte.
Ja, danke, jetzt wissen wir, daß die ABDA viel tut, sich nicht nur mit sich selbst beschäftigt, der Entscheidungsprozeß einer der demokratischsten überhaupt ist und das Ringen der 17+17 Kammern und Verbände zwar dauern kann, aber auch ein Ausdruck der transparenten Demokratie ist. Und wie lang und unter Umständen steinig der Weg vom Entwurf zum Gesetz ist und wo die ABDA da beratend ihre Meinung kundtun darf.

Diskutiert wurde mangels Zeit, Gelegenheit oder auch Thema recht wenig und bevor es "interessant" werden konnte, war's auch schnell vorbei.

Klar ist, wie Herr Tisch verdeutlicht hat, daß die Gefahren für unser System und somit auch unsere Betriebe in den nächsten Jahren eher größer werden und das Urteil des EuGH wohl mehr ein erster "Gruß aus der Küche" denn der Hauptgang ist.

Darum frage ich eben HIER und JETZT :
Wie bereitet sich unsere Standesvertetung darauf vor ?
Wird nur die Bedrohung konstatiert und dann mal sehen was kommt und ob es schlimmer hätte kommen können ?
Oder wird jetzt bereits daran gearbeitet, die deutsche Gesetzgebung noch VOR einem weiteren Eingriff der EU rechtssicher zu gestalten ?
Jetzt ist das vermutlich ohne großes mediales Getöse möglich, tritt der Schadensfall ein, dann gerät die Journaille wieder außer Rand und Band - erleben wir ja seit dem 19. Oktober nahezu tagtäglich.
Vergleichen wir das doch mal mit einer Stadtverwaltung eines Ortes in einem Hochwasser-Risikogebiet mit entsprechenden dramatischen Fluterfahrungen:
Man kann entweder
aus der letzten Flut lernen und vorsorglich entsprechende (bauliche) Schutzmaßnahmen für den Ort anpacken, solange alles sicher ist
oder einfach feststellen, daß es in Zukunft sicher nochmal Überschwemmungen geben wird und den Bürgern zum Kauf von Gummistifeln raten.

Welchen Weg geht die Standesvertretung ?
Warten wir auf die nächsten Einschnitte und verfallen dann in schockstarre Hoffnung oder versuchen wir heute vorsorglich, unser System abzusichern ?

Auch die Thematik und vor allem Problematik des eRezeptes und der Umgang der Standesvertretung damit vermisse ich in der Standes(-Informations-)Politik.

Für unseren BAK Präsidenten ist das Thema Digitalisierung vor allem in Labor und Rezeptur von Interesse, um hier Prozesse zu vereinfachen (so zumindest seine Äußerungen in der Runde).
Ähh..
Nö, Herr Dr. Kiefer, das sind beileibe nicht die Knackpunkte bei Digitalisierung und eRezept, sonder vielmehr absolut nachrangig -da stehen ganz andere Gefahren vor der Tür !

Im kurzen privaten Gespräch im Anschluß wurde mir erklärt, daß die Standesvertretung das eRezept natürlich auf dem Schirm hat und ich solle mich halt (gefälligst) bei Fragen an meinen Verband wenden .
Danke für DEN Tip aus Thüringen !

HALLO !
Herrschaften, wir leben im digitalen Informationszeitalter, es verbreiten sich via Social Media Informationen, Meinungen und daraus resultierend auch Stimmungen im Nano-Sekunden-Takt und ihr denkt immer noch in den mittelalterlichen Mustern der Standesfürsten ?
Wir können lesen und schreiben, die Erde ist keine Scheibe und sogar Weibsvolk darf studieren und wählen !

Schon mal daran gedacht, daß genau diese Mentalität seit Jahren für den Unmut zwischen gefühlt "Oben" und "Unten" führt ?
Schon mal darüber nachgedacht, daß die "Basis" Eure Entscheidungen umsetzen muß und Euch kein Zacken aus der Krone bricht, Euch mal Meinungen und auch Ideen von außerhalb Eures exklusiven 17+17 Clubs durch den Kopf gehen zu lassen -
und manche Informationen bereits im Vorfeld zu kommunizieren ?
Schon mal darüber nachgedacht, daß nicht jede Frage, jede "Einmischung von unten" darauf abzielt, Euch in die Pfanne zu hauen, sondern aus dem Interesse an unserem Beruf und seiner Zukunft !!! resultiert ?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

"Justitiar" Tisch

von Bernd Küsgens am 21.01.2017 um 10:51 Uhr

Wenn schon argumentieren, dann doch ETWAS differenzierter.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

"Justitiar" Tisch

von Heiko Barz am 20.01.2017 um 18:52 Uhr

War das nicht jener Herr, der noch im letzten Frühjahr behauptete, keinen Plan B zu brauchen, als es um den Versandhandelsmißbrauch ging.
Wenn man sich nun dessen Einlassung zur "Staatshaftung" antut, dann sollten wir das Gegenteil erwarten müssen.
Und "Sowas" verdient sein Geld durch unsere Beiträge und verbringt auch noch ein schönes Wochenende in Davos.
Es schüttelt mich!!

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Dummes Zeug

von Frank ebert am 20.01.2017 um 11:26 Uhr

Wenn das unser Superanwalt Lutz Tisch sagt, bin ich ja beruhigt

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.