Neues Gesetzespaket

Weichen die USA zukünftig Zulassungsstandards auf?

Stuttgart - 02.01.2017, 16:00 Uhr

Die Standards für Arzneimittelzulassungen könnten in den USA sinken, fürchten Kritiker. (Foto: science photo / Fotolia)

Die Standards für Arzneimittelzulassungen könnten in den USA sinken, fürchten Kritiker. (Foto: science photo / Fotolia)


Der von US-Präsident Barack Obama verabschiedete „21st Century Cures Act“ enthält groß angelegte Initiativen zur Hirn- und Krebsforschung. Ein Aspekt lässt Kritiker aufhorchen: Zukünftig soll die US-Arzneimittelbehörde FDA vermehrt Daten abseits von klinischen Studien nutzen. Diese könnten schlimmstenfalls zu inkorrekten Ergebnissen führen, fürchtet die Behörde selber.

Neben dem „Affordable Care Act“, mit dem der US-Präsident Barack Obama Millionen Bürger eine Krankenversicherung ermöglichen wollte, ist die Verabschiedung des „21st Century Cures Act“ der vielleicht zweitgrößte gesetzgeberische Erfolg des scheidenden Präsidenten. Im Dezember unterzeichnete er das Gesetzespaket, das den Nationalen Gesundheitsinstituten NIH über zehn Jahre hinweg 4,8 Milliarden US-Dollar zukommen lässt – für Forschungsinitiativen zur individualisierten Medizin, die Entwicklung neuer Krebstherapien oder Verfahren zum Einsatz adulter Stammzellen für die regenerative Medizin.

Doch ab Seite 165 des fast tausendseitigen Gesetzestextes findet sich eine stark umstrittene Neuerung: Zukünftig soll die US-Arzneimittelbehörde FDA prüfen, inwiefern sich Daten für den Zulassungsprozess eignen, die nicht im Rahmen klinischer Studien erhoben wurden. Diese so genannte „real world evidence“ kann beispielsweise im Rahmen von Anwendungsbeobachtungen anfallen, oder durch Big-Data-Auswertungen erhoben werden. Im Normalfall genügen die Daten jedoch nicht den gängigen Anforderungen einer doppelten Verblindung sowie einer Placebo-Kontrolle.

Inkorrekte Schlussfolgerungen

In einem Artikel im Fachmagazin „New England Journal of Medicine“ hatte auch FDA-Chef Robert Califf ein kritisches Auge auf diese „Daten aus dem echten Leben“ geworfen. Sie könnten zwar Daten aus klinischen Studien ergänzen, doch sei sowohl der Begriff „schwer zu fassen“, als auch schwer zu beurteilen, wie gut die Evidenz der jeweiligen Ergebnisse der Daten „von unsicherer Qualität und Herkunft“ sei.

Da nur wenige Wissenschaftler die richtige Methodik beherrschten, drohten „inkorrekte oder unzuverlässige Schlussfolgerungen“, warnt Califf zusammen mit 14 weiteren ranghohen Mitarbeitern der FDA. Die Behörde werde sich jedoch der Herausforderungen annehmen und Leitlinien entwickeln, wie „real world evidence“ sinnvoll berücksichtigt werden können, wie das neue Gesetz es von der FDA für die nächsten Jahre verlangt. 

Wichtige Fragen zur Datenqualität und zum Datenschutz

Wenn es um die Auswertung von elektronischen Gesundheitsakten oder um Daten geht, die von Gesundheitsapps erfasst werden, haben die FDA-Mitarbeiter jedoch erhebliche Bedenken – da die Erfassung dieser Daten nicht zu Forschungszwecken erfolgte. „Die Verwendung von Daten aus diesen Quellen – auch inklusive den sozialen Medien – wirft wichtige Fragen zur Qualität der Daten auf, wie auch zum Datenschutz“, schreiben sie.

Für Kritiker riskiert die Verwendung von Daten, die nicht über klinische Studien erfasst wurden, einen Bruch mit der bisherigen, bewährten Zulassungspraxis. Auch die europäische Arzneimittelagentur EMA will diese zukünftig stärker berücksichtigen. Der stellvertretende Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Stefan Lange, bezeichnete schon den Begriff als Euphemismus. „Man muss davon ausgehen, dass ‚Real World Data‘ für die Frage nach einem Nutzen potenziell hoch verzerrt Ergebnisse liefern, diese also kaum mehr interpretiert werden können“, sagte er gegenüber DAZ.online.

Im Versorgungsalltag – wo die „real world data“ erhoben werden – richte sich die Wahl der Therapie typischerweise danach, welche Prognose die Patienten haben. „Den neuen Wirkstoff bekommen dann diejenigen Patienten, die eine besonders schlechte oder besonders gute Prognose haben“, erklärte Lange. „Die Verzerrung, die dadurch entsteht, lässt sich mit statistischen Methoden nachträglich aber kaum noch korrigieren.“



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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