Europa, Deine Apotheken – Schweden

Missglückte Deregulierung?

30.12.2016, 11:00 Uhr

In Schweden versorgt eine Apotheke im Schnitt etwa 7.000 Bürger. (Foto: dpa)

In Schweden versorgt eine Apotheke im Schnitt etwa 7.000 Bürger. (Foto: dpa)


2009 wurde der schwedische Apothekenmarkt innerhalb kürzester Zeit auf den Kopf gestellt: Zuvor hatte der Staat die alleinige Kontrolle über die etwa 1.000 Apotheken im Land. Nach dem Liberalisierungs-Gesetz wurde das Staatsmonopol zerschlagen, die einzelnen Apotheken an Kettenunternehmen verkauft. Doch insbesondere in den ersten Jahren nach diesem Markteingriff waren weder die Politik noch die Patienten zufrieden.

Das schwedische Gesundheitssystem ist ähnlich aufgebaut wie das britische: Die Finanzierung des Systems ist staatlich organisiert. In den 21 einzelnen Regionen haben die Landtage die Kontrolle über die Töpfe der staatlichen Krankenversicherung. Finanziert wird die Versicherung durch Steuergelder – ein Teil der Einkommenssteuer fließt direkt in die Gesundheitskassen. Alle Leistungserbringer müssen ihre Dienstleistungen daher mit den regionalen Krankenversicherungen abrechnen. Ähnlich wie im Vereinigten Königreich ist insbesondere die ambulante, ärztliche Versorgung in Schweden zentralisiert organisiert. Oft arbeiten Mediziner aus verschiedenen Fachgebieten in größeren Gesundheitszentren zusammen. Für Arzneimittel und Arztbesuche müssen Schweden relativ hohe Zuzahlungen leisten. Die Höhe der einzelnen Zuzahlungen für Medikamente variiert je nach Rezeptwert. Pro Jahr dürfen die Arzneimittel-Zuzahlungen aber nicht höher liegen als umgerechnet 230 Euro, danach greift eine Befreiung.

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Schweden

Ähnlich staatlich reguliert war in Schweden bis zum Sommer 2009 auch der Apothekenmarkt. Die schwedische Apothekenkette „Apoteket“ war zu 100 Prozent in Staatshand. An dieser Lösung mehrten sich in den Jahren vor dem Deregulierungs-Prozess aber die Kritiker: Denn im Europa-Vergleich hatte Schweden eine geringe Apothekendichte. 2009 gab es rund 930 Apoteket-Standorte, jede Apotheke musste als rein rechnerisch mehr als 10.000 Bürger versorgen. Die damalige schwedische Regierung beauftragte daher eine Kommission, die eine Deregulierung des Marktes prüfen sollte. Die Ziele waren edel: Man wollte insbesondere die Versorgung im ländlichen Norden des Landes dichter gestalten, Öffnungszeiten verlängern, Anfahrtswege verkürzen, Preise durch Wettbewerb sinken lassen und Arzneimittel-Lieferzeiten verkürzen.

Geplante Liberalisierung

2008, also ein Jahr vor dem Gesetz, legte die Kommission ihre Ergebnisse vor und empfahl der Regierung, möglichst großen Unternehmen den Eintritt in den schwedischen Markt zu erlauben, damit diese gegenüber den Großhändlern und Pharmaunternehmen bessere Verhandlungschancen hätten. Dieser Empfehlung folgte der Gesetzgeber weitestgehend: Seit dem Sommer 2009 dürfen leidglich Ärzte und Pharmaunternehmen keine Apotheken gründen – sonst ist jede private und juristische Person dazu berechtigt. Auch die Anforderungen für die Leitung an eine Apotheke wurden herabgesenkt: Das große, fünfjährige Pharmaziestudium ist dazu nicht mehr notwendig, sondern nur noch ein Bachelor-Abschluss mit dem Titel „Rezeptionist“.

Beim Verkauf der Apoteket-Standorte setzte der Gesetzgeber jedoch auf Vielfalt: Etwa die Hälfte der 930 Apotheken wurde sofort an große Kettenunternehmen verkauft. Apotek Hjärtat übernahm mehr als 200 Apotheken, ein Joint Venture des finnischen Großhandelskonzerns Oriola KD mit der Betreibergesellschaft der Coop-Supermärkte Kooperativa Förbundet (KF) übernahm 171 Apotheken und nannte seine Kette „Kronans Droghandel“.

Auch die Investmentkonzerne Segulah und Investor und Priveq Investment übernahmen weitere Pakete. Allerdings war im Liberalisierungsgesetz vorgeschrieben, dass ein Teil der Apoteket-Standorte an ehemalige angestellte Pharmazeuten gehen sollte. Etwa 150 Apotheker erhielten im Rahmen eines Franchise-Modells staatliche Unterstützung bei der Weiterführung ihrer Apotheke. Apoteket selbst behielt etwa ein Drittel aller Apotheken.

DocMorris und Co. gehen nach Schweden

Doch die Aufteilung der Staatskette hatte einen geringeren Effekt auf die Versorgung als die Aufhebung des Fremdbesitzverbotes. Denn in den kommenden Jahren stiegen mehrere Unternehmen in den schwedischen Markt ein. Celesio eröffnete DocMorris-Apotheken, die inzwischen „Lloydsapotek“ heißen. Etwa 100 Apotheken kontrolliert der Stuttgarter Pharmahändler in Schweden. Der Supermarktkonzern ICA eröffnete bis 2014 weitere 70 Apotheken. Der Weltkonzern Walgreens Alliance Boots startete überraschenderweise erst sehr spät mit einem Franchise-Konzept, hatte mit seinen Boots-Apotheken aber nicht allzu viel Glück im Markt. Außerdem ist es inzwischen zu weiteren Marktkonzentrationen gekommen: ICA hat im vergangenen Jahr die Kette Apotek Hjärtat übernommen und ist nunmehr Marktführer in Schweden.

Nach der Deregulierung beobachteten die Schweden ihren Apothekenmarkt sehr genau. Nicht mit allen Entwicklungen ist die Politik zufrieden. Denn die reine Apothekenzahl hat sich zwar innerhalb von zwei Jahren um 300 gesteigert (1.242 Apotheken im Jahr 2011). Auch die Apothekendichte ist nicht mehr so gering: Inzwischen versorgt eine Apotheke im Schnitt etwa 7.000 Bürger. Allerdings zeigt sich, dass die Unternehmen die neuen Standorte insbesondere in den städtischen Regionen im Süden des Landes eröffnet haben.

Fast keine Apotheke eröffnete im schlecht versorgten Norden. Auch von Vielfalt ist keine Spur: Von den wenigen unabhängigen, neuen Apotheken mussten einige wieder schließen. Hinzu kam, dass sich schon 2011 eine gewisse Marktsättigung im Süden zeigte, als die Kettenunternehmen ein paar ihrer Standorte wieder schlossen. Celesio gab schon 2011 16 seiner neuen Apotheken wieder auf. In den vergangenen Jahren ist die Apothekenzahl daher auch weniger rasant angestiegen. Insbesondere Celesio hatte außerdem Probleme mit der Personalbeschaffung: Obwohl die Regierung die Bedingungen zur Apothekenleitung herabgesetzt hatte, finden die Unternehmen bis heute nur schwer genügend Mitarbeiter.

Auch die Apotheker selbst sind von Entwicklungen nicht überzeugt: Eine Studie der Universitäten in Kopenhagen und Uppsala führte repräsentative Umfragen unter Apothekenangestellten durch. Eine Befragung fand vor der Liberalisierung statt, zwei danach (2012 und 2013). Unter dem Strich kommt das neue System beim Apothekenpersonal nicht besonders gut weg. Dies gilt vor allem für die Sicherheit der Patienten. Innerhalb des früheren Staatsmonopols sei großer Wert auf Qualitätsmanagement und Sicherheitsaspekte gelegt worden, stellen die Autoren fest. Als Grund hierfür wurde der Druck des Managements angegeben, Zusatzprodukte verkaufen zu müssen und Marketingkampagnen zu fahren. Mehrere Verbraucher-Umfragen zeigten ein ähnliches Bild.

Seit dem Deregulierungs-Gesetz dürfen in Schweden bestimmte OTC-Arzneimittel auch außerhalb von Apotheken verkauft werden. Der Gesetzgeber hatte sich durch diese Maßnahme erhofft, dass die Preise in diesem Bereich durch den Wettbewerb sinken. Mehr als 5.000 Supermärkte, Drogerien, Tankstellen oder andere Geschäfte haben seitdem eine Konzession zum OTC-Verkauf erhalten. Eine Studie der schwedischen Aufsichtsbehörde aus dem Jahr 2014 hatte ergeben, dass die OTC-Preise tatsächlich bis zu 40 Prozent gefallen seien. Aber auch hier fällt auf: Nur 4 Prozent dieser Abgabestellen sind in dünn besiedelten Gebieten etabliert worden. Eine positive Entwicklung zeigt die Studie der Aufsichtsbehörde in Sachen Öffnungszeiten: Im Schnitt haben die schwedischen Apotheken nach der Deregulierung nun mehr als 50 Stunden pro Woche ihre Pforten geöffnet, die Anzahl der am Sonntag geöffneten Apotheken hat sich demnach fast verdreifacht.

Wie funktionert das Honorar in Schweden?

Bis heute drehen sich in Schweden viele Diskussionen um die sogenannte 24-Stunden-Regel. Demnach haben Patienten ein Anrecht darauf, ihre Arzneimittel innerhalb der ersten 24 Stunden nach Einreichen des Rezeptes zu erhalten. Das ist insbesondere im Norden, wo Großhändler teilweise sehr lange Strecken zurücklegen müssen, keine Selbstverständlichkeit.  Die Aufsichtsbehörde Statskontoret beschwert sich nach wie vor darüber, dass viele Apotheken diese Frist nicht einhalten können.

Wie so viele andere Länder sind uns auch die Schweden in Sachen Digitalisierung jedoch um einige Schritte voraus. Die ehemalige Staatskette Apoteket hat für die digitale Abwicklung der Rezepte ein Subunternehmen eröffnet. Apotekens Service AB regelt die elektronische Anbindung der Apoteket-Apotheker an deren Leistungserbringer und organisiert die Software-Systeme. Fast 90 Prozent aller eingereichten Rezepte sind in Schweden mittlerweile elektronisch. Sie gehen vom Arzt entweder direkt an die Apotheke oder werden auf einem zentralen Server zwischengespeichert. Auch die Kommunikation mit dem regionalen Gesundheitsdienst und die Abfrage der Zuzahlungen erfolgt elektronisch. Außerdem sind die meisten Apotheken an ein zentrales Interaktionssystem angeschlossen: So können die Pharmazeuten früh erkennen, ob bei dem Patienten Wechselwirkungen drohen.

Was das Apothekenhonorar betrifft, ähnelt das schwedische Vergütungssystem Österreich. Es gibt zwar kein Fixhonorar, dafür aber eine regressive, prozentuale Apothekenmarge, die im Schnitt bei 16 Prozent des Apothekeneinkaufspreises liegt.

Schweden gehört außerdem zu einem der sechs europäischen Länder, in denen der Versandhandel sowohl mit OTC- als auch mit Rx-Arzneimitteln erlaubt ist. Viele Schweden nutzen diese Möglichkeit allerdings nicht. Laut einer Umfrage der schwedischen Arzneimittelbehörde haben 76 Prozent der Einwohner schon einmal ein Produkt im Internet gekauft. Von diesen 76 Prozent gaben allerdings nur knapp 10 Prozent an, dass sie bereits Medikamente im Internet bestellt haben. Wie in Deutschland dürfen nur zugelassene Apotheken Arzneimittel versenden.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

Schweden ein Vorbild??

von Heiko Barz am 31.12.2016 um 18:50 Uhr

Mit Verlaub, solch eine unübersichtliche und auch von Arzneimittelkraken beherrschte Medikamentenversorgung kann doch wohl nicht mit der bei uns - noch - bestehenden Verbreitung auch nicht einmal andeutungsweise verglichen werden.
Wenn man dabei erkennt, dass, wahrscheinlich aus rein merkantilen Gründen der "Apo-bachelor" ins Spiel gebracht wird, dann mal gute Nacht Pharmazie!!
So wird ein Beruf systematisch durch unwissende, qulitätsnegierende und nur im Moment der politischen Wahrnehmung lebenden "Volksvertreter" zu deren Interessenlage verramschst.
Das alleine ist schon als katastrophal einzuschätzen, doch um Grade schlimmer ist die Situation der anscheinend völlig unwichtig gewordenen Patienten, um deren Wohl es im Grunde eigentlich geht.
Hauptsache die Konzerne können so agieren, wie sie für ihre Aktionäre zum Vorteil handeln.
War nicht Schweden einmal ein sozialer Vorzeigestaat?
Lauterbachs gibt es anscheinend überall und sie sind auch überall medial mit ihrem Schwachsinn vertreten.
Wer schwingt sich auf, diesen Vergiftern das Handerk zu legen?
Es ist - noch - fünf vor 12!! Herr Friedemann Sch.

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