Europa, Deine Apotheken – Italien

Die schleichende Deregulierung

Berlin - 27.12.2016, 10:30 Uhr

Der durchschnittliche Umsatz einer italienischen Apotheke beträgt etwa 1,19 Millionen Euro. (Foto: dpa)

Der durchschnittliche Umsatz einer italienischen Apotheke beträgt etwa 1,19 Millionen Euro. (Foto: dpa)


Italiens Apotheker sind Teil der Primärverorgung

In vielen ländlichen Regionen Italiens ist die ärztliche Versorgung zudem ausgedünnt. Oft betreibt ein niedergelassener Mediziner mehrere Ambulatorien in verschiedenen Ortschaften, ist in jeder aber nur wenige Stunden pro Woche anwesend. 2009 hat der Gesetzgeber den Apothekern daher wichtige Aufgaben der Primärversorgung übertragen. So können Patienten bei ihren Apothekern beispielsweise Facharzt- und Krankenhaustermine vereinbaren. Die Pharmazeuten dürfen Blutzucker-Tests anbieten, im Auftrag der Ärzte regelmäßig den Blutdruck überprüfen und andere Präventionsleistungen durchführen. In vielen Regionen hakt es aber noch an der Umsetzung, weil sich die dortigen Apothekerverbände mit den Regionen und den Krankenversicherern nicht auf eine Vergütung einigen können. Auch die Digitalisierung des Gesundheitswesens und die Einbindung der Apotheker ist in Italien weiter fortgeschritten als in Deutschland: Mehr als 80 Prozent aller Verordnungen werden in Italien elektronisch abgewickelt. Den gesamten Digitalisierungsprozess hat der Apothekerverband mit eigenen Subunternehmen begleitet und organisiert.

Die nächste Liberalisierungs-Welle droht

Schon in Kürze droht den Apothekern aber der nächste Schritt auf der Deregulierungs-Leiter. Das Parlament steht kurz vor dem Beschluss des „Konkurrenz-Gesetzes“, mit dem das Fremdbesitzverbot nach jetzigem Stand fallen würde. Auch das Mehrbesitzverbot steht auf der Streichliste. Allerdings sollen die Apothekenketten in jeder Region maximal 20 Prozent der Apotheken kontrollieren dürfen. Ganz ungebremst würden sich Celesio, Walgreens Boots Alliance, Phoenix und Co. aber nicht verbreiten können. Denn jede Apotheke muss sich weiterhin einer Bedarfsprüfung unterziehen. Die Wettbewerbsbehörde, die sich in vergangenen Jahren mehrfach für eine Deregulierung im Apothekenmarkt stark gemacht hat, wird beauftragt, den Einfluss der Ketten kritisch unter die Lupe zu nehmen.

Dabei hätte es noch schlimmer kommen können für die Pharmazeuten: In einigen Änderungsanträgen ging es darum, den OTC-Shops und In-Store Apotheken in Supermärkten zu ermöglichen, auch fast alle Rx-Arzneimittel zu verkaufen. Doch im letzten, beschlussfähigen Gesetzentwurf ist davon keine Rede mehr. Vielleicht liegt es auch an dieser Abmilderung des Gesetzes, dass der Apothekerverband in den vergangenen Monaten kaum noch gegen die Deregulierungspläne protestiert hat.

Hört man sich in der Apothekerschaft um, ist die neue Ketten-Regelung gar nicht das am meisten gefürchtete Szenario. Vielmehr wollen die Apotheker die Bedarfsplanung nicht verlieren. Denn wenn auch die strengen Niederlassungskriterien fallen, sind den Kettenkonzernen Tür und Tor geöffnet.

Die italienische Krankenversicherung

Ähnlich wie im britischen Gesundheitssystem ist auch die italienische Krankenversicherung über Steuergelder finanziert. Allerdings stammt in Italien nur ein Drittel der Gesundheits-Finanzierung aus öffentlichen Mitteln. Weitere 40 Prozent der Kosten übernehmen die Arbeitgeber, die regelmäßig Versicherungsbeiträge für ihre Angestellten abführen müssen. Die restlichen Gesundheitskosten müssen die Arbeitnehmer über die verschiedensten Zuzahlungen tragen. Es gibt einen nationalen Gesundheitsdienst, den Servizio Sanitario Nazionale (SSN), der die Gelder sammelt und national gültige Verträge mit den Leistungsverbringern aushandelt. Auch in Italien werden die meisten Verhandlungen mit Leistungserbringern aber auf regionaler Ebene geführt. Dort heißen die Ableger des SSN Aziende Sanitarie Locali (ASL). In der Vergangenheit ist es insbesondere in Süditalien immer wieder zur Zahlungsunfähigkeit der regionalen Gesundheitsdienste gekommen. Oftmals konnten die ASL ihre Rechnungen bei den Apothekern nicht vollständig oder gar nicht begleichen. Die Pharmazeuten in Süditalien sind daher meistens hochverschuldet und nehmen immer wieder Kredite auf, um ihre Bestellungen beim Großhandel zu finanzieren. 

Angst bereitet den Apothekern jedoch eine fast in Vergessenheit geratene Regelung aus dem Jahr 1968, die die Gemeindeapotheken betrifft. Demnach haben die Kommunen noch vor den Apothekern ein Recht auf die Eröffnung neuer Apotheken. Wenn die Arzneimittelbehörde in der Bedarfsplanung also einen „offenen“ Apotheken-Sitz erkennt, kann rein theoretisch die Kommune als erstes zuschlagen. In der Vergangenheit ist das selten passiert, weil die Kommunen nicht genügend Geld hatten, um zu investieren. Fällt nun das Fremdbesitzverbot komplett, könnten die Kommunen massenweise ihr Recht auf Apothekengründung ausüben und die Apotheken nach ein paar Jahren an die Kettenkonzerne gewinnbringend verkaufen. Die Kommunen könnten sich so die Staatskasse aufbessern und die Konzerne hätten einen neuen Standort ohne Ausschreibungsteilnahme gewonnen.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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