Europa, Deine Apotheken – Italien

Die schleichende Deregulierung

Berlin - 27.12.2016, 10:30 Uhr

Der durchschnittliche Umsatz einer italienischen Apotheke beträgt etwa 1,19 Millionen Euro. (Foto: dpa)

Der durchschnittliche Umsatz einer italienischen Apotheke beträgt etwa 1,19 Millionen Euro. (Foto: dpa)


Apothekenkonzerne kommen nach Italien

Auf diesen ersten Schritt folgten schon bald eine Reihe weiterer politischer Entscheidungen, die den Apothekenmarkt nachhaltig verändern sollten: 2005 griff die italienische Regierung erstmals in die Preisbindung ein und erlaubte es Apothekern, Boni von bis zu 20 Prozent auf nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel (OTC) zu gewähren. Damals boykottierten die Apotheker das Gesetz aber und einigten sich darauf, die Preise nicht abzusenken. Nur ein Jahr später wurde mit dem „Bersani-Gesetz“ (benannt nach dem damaligen Minister für wirtschaftliche Entwicklung Pier Luigi Bersani) diese 20-Prozent-Grenze aber ganz gekippt. Seitdem sind Boni jeglicher Art in Italien gang und gäbe. Noch viel gravierendere Auswirkungen auf die Apotheker hatte allerdings die Neuregelung, dass OTC-Arzneimittel auch außerhalb von Apotheken in Einkaufsstraßen und –zentren verkauft werden dürfen. Einzige Bedingung: Ein Apotheker muss anwesend sein.

Mit dieser Entscheidung gründete sich im italienischen Gesundheitswesen ein komplett neuer Industriezweig: Innerhalb weniger Monate eröffneten insbesondere in den Zentren großer Städte hunderte OTC-Shops („Parafarmacia“). Doch Bersani hatte 2006 noch weitere Überraschungen für die Apotheker bereit: Er hob das Mehrbesitzverbot auf. Seitdem dürfen Apotheker insgesamt vier Apotheken besitzen und sich auch in Gesellschaften zusammenschließen, um neue Standorte zu eröffnen.

Die Preisbindung wird gelockert

2007 fiel dann die Preisbindung für alle Arzneimittel, die nicht der Rezeptpflicht unterliegen. Im gleichen Jahr erlaubte es der Gesetzgeber auch, für fast alle Produkte im Apothekensortiment – Rx-Arzneimittel inklusive – Werbung zu betreiben. Vier Jahre später entließ die Arzneimittelbehörde AIFA eine ganze Reihe von Arzneimitteln aus der Rezeptpflicht und ermöglichte es den OTC-Shops somit, ihr Sortiment zu erweitern. Im gleichen Jahr folgte der erste Angriff auf die sogenannte „Fascia C“. Zu dieser Medikamentenliste gehören alle Präparate, die zwar der Rezeptpflicht unterliegen, aber nicht erstattungsfähig sind. In Italien sind das fast alle Antibiotika, Analgetika, aber auch starke Beruhigungsmittel, etwa Lorazepam. Der Gesetzgeber erlaubte es erstmals, für solche Arzneimittel Boni anzubieten.

In dieser Zeit musste sich der Apothekenmarkt nicht nur gegen die politischen Kräfte wehren, sondern auch gegen das Einwirken der großen Pharmahandelskonzerne. Gegen die italienische Apothekenregulierung wurde gleich mehrfach Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht, auch der Stuttgarter Pharmahändler Celesio beschwerte sich über Niederlassungsbeschränkungen. Angegriffen wurde auch ein Vertikalisierungsverbot, das der italienische Gesetzgeber 2005 erlassen hatte. Demnach durften zwischen Apothekenbetreibern und Großhändlern keine Interessenskonflikte mehr entstehen. Wie im Fall „Deutschland“ bestätigte der EuGH aber im Jahr 2009 sowohl die italienische Bedarfsplanung als auch das Fremdbesitzverbot. 



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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