Tote durch multiresistente Keime

Forscher und Politiker operieren mit falschen Zahlen

Berlin - 16.12.2016, 17:30 Uhr

Antibiotika-Resistenzen sind ein großes Problem – doch Vorhersagen sind teils deutlich übertrieben. (Foto jarun011 / Fotolia)

Antibiotika-Resistenzen sind ein großes Problem – doch Vorhersagen sind teils deutlich übertrieben. (Foto jarun011 / Fotolia)


Das Missverständnis: Antibiotikaresistenzen

Die Prognose von 10 Millionen bezieht sich auf Opfer resistenter, also nicht mit Medikamenten behandelbarer Keime. Dazu gehören neben den gefürchteten Erregern mit Antibiotikaresistenzen auch Keime, die keine Bakterien sind – etwa HIV oder die einzelligen Parasiten, die Malaria verursachen. Zwar machen die Autoren des Berichts das klar, doch das wichtige Detail geht oft in der Berichterstattung unter.

Erster Fehler: Die Kerndaten sind falsch

Wie häufig sind resistente Keime heute? Die britische Studie legt die Zahlen aus dem europaweiten Netzwerk EARS zugrunde, in dem resistente Keime gemeldet werden. Doch an diesem Netzwerk sind vor allem große Krankenhäuser beteiligt, das heißt solche, die überdurchschnittlich viel schwere Infektionen behandeln. Man darf von diesen Kliniken also keineswegs auf Infektionen schließen, die ein Hausarzt behandelt, oder auf alle europäischen Krankenhäuser – und schon gar nicht auf Krankenhäuser in wenig entwickelten Ländern. Doch die britische Studie macht genau diesen Fehler: Sie tut so, als seien die Resistenz-Quoten aus den großen Krankenhäusern des EARS-Netz der weltweite Maßstab.

Zweiter Fehler: Wie tödlich sind resistente Keime? 

Angenommen, es sterben 2000 Patienten am resistenten „Krankenhauskeim“ Staphylococcus aureus, gemeinhin als MRSA bekannt. Und 1000 Patienten an einem „gewöhnlichen“ Staphylococcus aureus-Erreger. Dann könnte man annehmen, dass die Tödlichkeit des resistenten Keims doppelt so hoch sei. Genau diese Annahme machen die Briten – und auch sie ist falsch. Denn die beiden Patientengruppen unterscheiden sich. Die 2000 MRSA-Toten sind im Schnitt älter und damit anfälliger als jene 1000, die sich mit dem gewöhnlichen Keim infiziert haben. Je älter ein Mensch ist, desto mehr Antibiotika hat er in seinem Leben wahrscheinlich genommen – und desto wahrscheinlicher trägt er resistente Keime. Nur wenige hochwertige Studien berücksichtigen den Faktor, wie unterschiedlich die jeweiligen Patienten sind. Und diese Studien ergeben eine deutlich niedrigere Sterblichkeit durch resistente Keime.

Die Briten rechnen in ihrem Report hoch, dass heute weltweit rund 700.000 Menschen an resistenten Erregern sterben, vor allem an resistenten Malaria-, HIV- und vier bakteriellen Erregern wie Tuberkulose. Auch diese Zahl dürfte eine ziemliche Übertreibung sein.

Dritter Fehler: Die Prognose

Wie kommt nun die Hochrechnung von 10 Millionen Toten pro Jahr ab dem Jahr 2050 zustande? Die Autoren der britischen Studie gehen davon aus, dass Keime in Zukunft deutlich mehr Resistenzen entwickeln. Und zwar gehen sie von einer Steigerung um 40 Prozentpunkte aus. Das wär für einen Keim, der heute zu 10 Prozent resistent ist, eine Verfünffachung der Resistenz. Sie würde von 10 auf 50 Prozent steigen. Zudem geht man in diesem Szenario von einer Verdopplung der Ansteckungsrate aus. Auch das ist schwer nachvollziehbar, wird doch die Hygiene weltweit immer besser. Dritte Annahme: Die Sterblichkeit bleibt gleich. Mit anderen Worten: Die Medizin wird bis 2050 keine substantiellen Fortschritte machen in der Entwicklung neuer Antibiotika.



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