Evidenz-Sprechstunde

Blinder Fleck Nebenwirkungen

Stuttgart - 12.12.2016, 07:50 Uhr

Nebenwirkungen werden oft nur unzureichend erfasst. (Foto: gioiak2 / Fotolia)

Nebenwirkungen werden oft nur unzureichend erfasst. (Foto: gioiak2 / Fotolia)


Zusammenhänge sind kaum zu entschlüsseln

Deshalb ist eine zuverlässige Quantifizierung von unerwünschten Wirkungen anhand von Spontanmeldungen nicht möglich. Und: In vielen Fällen ist es schwierig, manchmal sogar unmöglich, tatsächlich einen kausalen Zusammenhang zwischen der Einnahme des Arzneimittels und dem aufgetretenen Problem herzustellen. Häufig ist die Dokumentation von Verdachtsfällen unvollständig, etwa was Vorerkrankungen oder die Begleitmedikation angeht.

Die Bewertung kann auch dann schwierig sein, wenn die verdächtigen, aber unspezifischen Symptome auch häufig bei Menschen vorkommen, die nicht mit dem Arzneimittel behandelt werden, beispielsweise Kopfschmerzen. Gleiches gilt auch, wenn die Beschwerden bei der eigentlichen Erkrankung gehäuft auftreten. So ist es etwa bekannt, dass Patienten mit einem Typ-2-Diabetes allein schon durch die Erkrankung ein erhöhtes Risiko für eine Pankreatitis aufweisen. Lässt ein Antidiabetikum die Wahrscheinlichkeit für eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse nur leicht ansteigen, kann dieses leicht erhöhte Risiko im „Grundrauschen“ der Erkrankung untergehen. 

Unsicherheit wird zunehmen

Die Beschreibung zeigt: Bei der sicheren Erfassung von Nebenwirkungen gibt es noch zahlreiche Baustellen. Und das Problem könnte sich noch weiter verschärfen, wenn mehr Arzneimitteln im Rahmen der geplanten beschleunigten Zulassung („adaptive pathways“) bereits auf den Markt kommen, wenn erst relativ wenige Patienten über relativ kurze Zeit in Studien untersucht wurden. Fazit: Die Floskel „gut verträglich“ heißt oft nur: „Bisher sind nur wenige Nebenwirkungen aufgefallen“. Dann gilt es aber immer zu bedenken: Ein fehlender Beleg für Nebenwirkungen ist nicht das gleiche wie ein Beleg, dass Nebenwirkungen fehlen.



Iris Hinneburg, freie Medizinjournalistin und Pharmazeutin
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Gratulation!

von Cornelia Stolze am 02.01.2017 um 14:05 Uhr

Sehr guter und wichtiger Artikel, liebe Frau Hindenburg! Allen Ärzten und Patienten sollte viel mehr bewusst sein, dass gerade neue Medikamente besondere, weil noch wenig bekannte Risiken bergen. Neu ist eben nicht immer gleichbedeutend mit "besser" - auch wenn genau das häufig suggeriert wird.
Zum Kommentar von Herrn Theurer: Ihre Kritik verstehe ich nicht. Die "Forderung", die Sie beschreiben, hat Frau Hindenburg doch gar nicht erhoben. Das, was Sie erläutern, versteht sich im Übrigen von selbst.
Merkwürdig ist umgekehrt nur, dass viele Ärzte Krankheiten diagnostizieren, obwohl sie - wie etwa im Fall der "Alzheimer-Demenz" - diese Krankheit gar nicht nachweisen können. Das Perfide daran: Kein Betroffener kann beweisen, dass er die Krankheit NICHT hat...
Mehr darüber unter www.cornelia-stolze.de

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Beleg, dass Nebenwirkungen fehlen

von Christoph Theurer am 14.12.2016 um 14:32 Uhr

... ein Beleg, dass Nebenwirkungen fehlen, kann nicht erbracht werden. Es ist erkenntnistheoretisch nicht möglich, das Nicht-Vorhandensein einer Sache zu beweisen. Diese oft gehörte Forderung ist abwegig.

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AW: Beleg, dass Nebenwirkungen fehlen

von Dr. Iris Hinneburg am 10.01.2017 um 9:25 Uhr

"Es ist erkenntnistheoretisch nicht möglich, das Nicht-Vorhandensein einer Sache zu beweisen." Damit haben Sie vollkommen recht, deswegen fordere ich auch nicht, dass die Nicht-Existenz von Nebenwirkungen belegt werden soll.

Umgekehrt muss man aber die Schlussfolgerung ziehen: Wenn man in diesem Dilemma einigermaßen brauchbare Informationen zu Nebenwirkungen haben will, benötigen wir einen ausreichend großen Erfahrungsumfang und sorgfältiges Monitoring. Wenn das nicht gewährleistet ist, darf man nicht den Fehlschluss ziehen, dass Nebenwirkungen nicht auftreten - vielleicht konnten sie nur aus statistischen Gründen (noch) nicht bemerkt werden.

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