Evidenz-Sprechstunde

Blinder Fleck Nebenwirkungen

Stuttgart - 12.12.2016, 07:50 Uhr

Nebenwirkungen werden oft nur unzureichend erfasst. (Foto: gioiak2 / Fotolia)

Nebenwirkungen werden oft nur unzureichend erfasst. (Foto: gioiak2 / Fotolia)


Viele Nebenwirkungen werden nie veröffentlicht

Auch ist bekannt, dass Nebenwirkungen nicht immer zuverlässig publiziert werden. Die Informationen sind dann zwar in den Studienberichten enthalten, die den Herstellern und in der Regel den Zulassungsbehörden vorliegen. In den öffentlich zugänglichen Artikeln in medizinischen Fachzeitschriften fehlen sie jedoch. Zwar gibt es bereits seit 2014 Vorgaben, wie wissenschaftliche Veröffentlichungen über unerwünschte Wirkungen berichten sollten. Allerdings werden diese Vorgaben nicht konsequent eingehalten. Darauf weist auch ein Positionspapier hin, das kürzlich im British Medical Journal erschienen ist. Darin werden Vorschläge unterbreitet, wie die Situation verbessert werden könnte. Das Problem setzt sich dadurch fort, dass fehlende Informationen in den einzelnen Publikationen auch in systematischen Übersichtsarbeiten nicht enthalten sein können, die solche Veröffentlichungen zusammenfassen.

Stützen sich die systematischen Übersichtsarbeiten dann ausschließlich auf veröffentlichte Daten, fehlt ein wesentlicher Teil der Erkenntnisse zu Nebenwirkungen. Deshalb sollten sich systematische Übersichtsarbeiten besonders zu unerwünschten Wirkungen auch konsequent um den Zugang zu bisher unveröffentlichten Daten bemühen. 

Begleitende Beobachtung ist wichtig

Weil die Erkenntnisse zu Nebenwirkungen aus den Zulassungsstudien also begrenzt sind, stehen Arzneimittel auch nach der Markteinführung weiter unter Beobachtung. Pharmazeutische Unternehmen müssen regelmäßig neue Erkenntnisse, etwa aus laufenden Studien, an die Behörden melden und in manchen Fällen auch weitere Sicherheitsstudien durchführen. Sehr wichtige Instrumente für die Erfassung von Nebenwirkungen sind darüber hinaus Spontanmeldesysteme.

Hier sammeln die zuständigen Behörden Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und werten diese fortlaufend auf. Diese Systeme haben allerdings entscheidende Einschränkungen: In der Regel werden nicht alle Verdachtsfälle auch tatsächlich gemeldet (under-reporting). Hier können auch Apotheker aktiv werden. Umgekehrt kann aber auch beispielsweise eine aktuelle mediale Berichterstattung dazu führen, dass Spontanmeldungen überproportional zunehmen.



Iris Hinneburg, freie Medizinjournalistin und Pharmazeutin
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Gratulation!

von Cornelia Stolze am 02.01.2017 um 14:05 Uhr

Sehr guter und wichtiger Artikel, liebe Frau Hindenburg! Allen Ärzten und Patienten sollte viel mehr bewusst sein, dass gerade neue Medikamente besondere, weil noch wenig bekannte Risiken bergen. Neu ist eben nicht immer gleichbedeutend mit "besser" - auch wenn genau das häufig suggeriert wird.
Zum Kommentar von Herrn Theurer: Ihre Kritik verstehe ich nicht. Die "Forderung", die Sie beschreiben, hat Frau Hindenburg doch gar nicht erhoben. Das, was Sie erläutern, versteht sich im Übrigen von selbst.
Merkwürdig ist umgekehrt nur, dass viele Ärzte Krankheiten diagnostizieren, obwohl sie - wie etwa im Fall der "Alzheimer-Demenz" - diese Krankheit gar nicht nachweisen können. Das Perfide daran: Kein Betroffener kann beweisen, dass er die Krankheit NICHT hat...
Mehr darüber unter www.cornelia-stolze.de

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Beleg, dass Nebenwirkungen fehlen

von Christoph Theurer am 14.12.2016 um 14:32 Uhr

... ein Beleg, dass Nebenwirkungen fehlen, kann nicht erbracht werden. Es ist erkenntnistheoretisch nicht möglich, das Nicht-Vorhandensein einer Sache zu beweisen. Diese oft gehörte Forderung ist abwegig.

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AW: Beleg, dass Nebenwirkungen fehlen

von Dr. Iris Hinneburg am 10.01.2017 um 9:25 Uhr

"Es ist erkenntnistheoretisch nicht möglich, das Nicht-Vorhandensein einer Sache zu beweisen." Damit haben Sie vollkommen recht, deswegen fordere ich auch nicht, dass die Nicht-Existenz von Nebenwirkungen belegt werden soll.

Umgekehrt muss man aber die Schlussfolgerung ziehen: Wenn man in diesem Dilemma einigermaßen brauchbare Informationen zu Nebenwirkungen haben will, benötigen wir einen ausreichend großen Erfahrungsumfang und sorgfältiges Monitoring. Wenn das nicht gewährleistet ist, darf man nicht den Fehlschluss ziehen, dass Nebenwirkungen nicht auftreten - vielleicht konnten sie nur aus statistischen Gründen (noch) nicht bemerkt werden.

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