Beratungs-Quickie

Off Label - Alprazolam als Schlafmittel

München / Stuttgart - 01.12.2016, 07:00 Uhr

Schlaflosigkeit: Wenn Schäfchen zählen nicht hilft, greifen viele Ärzte bei ihren Patienten auf Benzodiazepine zurück. (Foto: Dmitry Pichugin / Fotolia)

Schlaflosigkeit: Wenn Schäfchen zählen nicht hilft, greifen viele Ärzte bei ihren Patienten auf Benzodiazepine zurück. (Foto: Dmitry Pichugin / Fotolia)


Welche Informationen sind bei einem Beratungsgespräch in der Apotheke für den Patienten wichtig? Welche hilfreichen Tipps kann der Apotheker zu Arzneimitteln und Therapien geben? Diesmal geht es um eine Verordnung über das Benzodiazepin Alprazolam für eine alte Dame.

Für die Stammkundin ist es die zweite Packung infolge. Seit ihr Mann verstorben ist, könne sie abends sehr schlecht einschlafen.

Formalien-Check

Verordnet sind 50 Tabletten Tafil® 0,5 mg, Packungsgröße N3, unter Angabe der PZN und dem Herstellernamen.

Das Rezept ist eindeutig, aber nicht vollständig. Die Betriebsstätten-Nummer (BSNR) und der Status fehlen. Die BSNR ist auf Rezepten bereits unten rechts in der Codierzeile aufgedruckt. Sie dient als zusätzliches Sicherheitsmerkmal des Rezeptvordrucks. Die Apotheke muss die BSNR telefonisch mit der Arztpraxis abgleichen und handschriftlich ergänzen. Der Status muss nicht nachgetragen werden.

Der Arzt erlaubt den Aut-idem-Austausch. Somit sind Rabattverträge zu beachten. Die Kundin ist gebührenpflichtig. Ab Ausstellungsdatum ist die Verordnung einen Monat gültig.

Beratungs-Basics

Das Benzodiazepin Alprazolam wirkt angstlösend, beruhigend und muskelentspannend. Der Wirkstoff passiert die Blut-Hirn-Schranke und bindet im Gehirn an den GABA-Rezeptor. Dadurch verstärkt Alprazolam die hemmende Wirkung des Neurotransmitters GABA im Zentralnervensystem (ZNS).

Alprazolam wird zur symptomatischen Kurzzeitbehandlung von akuten und chronischen Spannungs-, Erregungs- und Angstzuständen angewandt. Bei Angsterkrankungen ist Alprazolam nicht als alleinige Maßnahme einzusetzen, vor allem nicht, wenn Depressionen mit einhergehen. Andernfalls kann eine depressive Symptomatik unter Umständen verstärkt und dadurch das Risiko eines Suizids erhöht werden.

Die Kundin nimmt seit drei Wochen abends eine Tablette vor dem Schlafen ein. Die Verordnung als Schlafmittel bei Schlafstörungen ist zwar häufig, allerdings hat Alprazolam dafür keine Zulassung. Es handelt sich somit um einen Off-Label-Use.

Für die Behandlung mit Benzodiazepinen gilt der Grundsatz, die Dosis so gering und die Anwendungsdauer so kurz wie möglich zu halten. Die übliche Tagesdosis liegt bei 0,5 - 4 mg Alprazolam, aufgeteilt in mehrere Einzelgaben. Bei älteren Patienten ist eine Dosisreduktion erforderlich. Oft reicht bei dieser Patientengruppe eine Dosierung von 0,25 bis 0,5 mg Alprazolam vor dem Schlafengehen aus. Die Tabletten sind teilbar. Die Dosis ist zusammen mit ausreichend Flüssigkeit einzunehmen. Eine Toleranzentwicklung ist möglich.

Die Behandlung mit Alprazolam muss aufgrund möglicher Rebound-Effekte, die zwei bis vier Tage nach abruptem Absetzen auftreten können, auf jeden Fall ausgeschlichen werden. Bereits ab einer Anwendungsdauer von mehr als einer Woche sollte zur Vermeidung von Entzugssymptomen das Absetzen schrittweise erfolgen (maximal 0,5 mg alle drei Tage).

Um die Gefahr einer psychischen und physischen Abhängigkeit zu minimieren, ist die maximale Anwendungsdauer einschließlich der Absetzphase auf acht bis zwölf Wochen zu begrenzen.

Ältere Kunden, die zum ersten Mal ein Benzodiazepin einnehmen, sind auf die erhöhte Sturzgefahr während der Einnahme von Alprazolam (durch Schwindel, Benommenheit und Bewegungs- und Gangunsicherheit) hinzuweisen.

Insbesondere bei älteren Patienten kann es zu psychiatrischen sowie „paradoxen“ Reaktionen wie Unruhe, Reizbarkeit, Aggressivität, Halluzinationen, Psychosen und anderen Verhaltensstörungen kommen, die einen Therapieabbruch erforderlich machen.

Weitere mögliche Nebenwirkungen sind unter anderem Sedierung (in diesem Fall erwünscht), Ataxie, Kopfschmerzen, Depressionen, Gewichtsveränderungen und selten Atemdepression bei Patienten mit chronischer Atemwegserkrankung. 

Die Reaktionsfähigkeit kann unter der Behandlung eingeschränkt sein.

Der Kundin ist die Gefahr der psychischen und physischen Abhängigkeit mit Entzugs- und Reboundphänomenen zu vermitteln. Feinfühlig ist sie darauf hinzuweisen, dass ihr das Präparat nur kurzfristig bei Angstsituationen, die durch die Trauer ausgelöst werden, eine Hilfe sein kann. 

Auch noch wichtig

Alprazolam hat eine Halbwertszeit von 12 bis 15 Stunden. Patienten sind deshalb auf einen möglichen Hangover mit morgendlicher Müdigkeit und Abgeschlagenheit hinzuweisen.

Die Notwendigkeit einer Fortsetzung der Behandlung ist regelmäßig vom Arzt zu überprüfen.

Bei der Behandlung mit dem Arzneimittel sind Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln sowohl in der Selbstmedikation als auch nach ärztlicher Verordnung zu beachten.

Die gleichzeitige Einnahme von Johanniskraut-Präparaten ist nicht zu empfehlen, da Johanniskraut-Extrakte zu einer verminderten Wirksamkeit von Alprazolam führen können.

Bei gleichzeitiger Einnahme von Alkohol oder zentraldämpfenden Arzneimitteln verstärken sich die Wirkung und mögliche Nebenwirkungen von Alprazolam. Unter der Behandlung ist daher auf Alkohol zu verzichten.

Darf`s ein bisschen mehr sein?

•    Schlafstörungen im Alter sind weit verbreitet und können vielfältige Ursachen wie Einsamkeit, psychische Störungen oder körperliche Erkrankungen haben. Oft sind die Grenzen zwischen altersbedingten Veränderungen des Schlafes und krankhaften Veränderungen fließend.

•    Einen Ratgeber „Schlaf im Alter“ der DGSM für Ihre Kunden finden Sie hier.

•    Bei Schlafproblemen ist auf eine gute Schlafhygiene zu achten: Die Schlafumgebung angenehm gestalten, Zimmertemperatur höchstens 18 Grad Celsius, eine geeignete Matratze, möglichst kein Lärm (notfalls Ohrstöpsel benutzen), im Bett nicht lesen oder fernsehen.

•    Schlaffördernde Gewohnheiten können hilfreich sein: Regelmäßige Schlafzeiten einhalten, Zubettgehrituale etablieren, Entspannungsmethoden üben, den Mittagsschlaf einschränken sowie koffeinhaltige Getränke, Alkohol und reichhaltige Speisen nach 16 Uhr vermeiden.

Die Kundin weiß, dass das Arzneimittel keine Dauerlösung ist. Sie erklärt, dass es ihr auch schon etwas besser gehe: Tagsüber komme sie mit dem Verlust einigermaßen zurecht. Nur nachts noch nicht. Immerhin habe ihr Mann jahrelang laut schnarchend neben ihr geschlafen. Diese plötzliche nächtliche Ruhe werde sie wohl noch eine gewisse Zeit beunruhigen.



Manuela Kühn, Apothekerin
redaktion@daz.online


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