Die Evidenz-Sprechstunde

Ist die Randomisierung das Allheilmittel?

Stuttgart - 11.11.2016, 07:00 Uhr

Die Würfel müssen fallen: Der Zufall hilft bei medizinischen Studien erheblich – doch es gibt auch Tücken. (Foto: henryn0580 / Fotolia)

Die Würfel müssen fallen: Der Zufall hilft bei medizinischen Studien erheblich – doch es gibt auch Tücken. (Foto: henryn0580 / Fotolia)


Randomisierte kontrollierte Studien haben zu Recht eine Vorreiterrolle, wenn es um Untersuchungen zum Nutzen von Therapien geht. Trotzdem kann auch bei solchen Studien noch einiges schief gehen – und dann sinkt die Aussagekraft erheblich.

Der gute Ruf, der randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) vorauseilt, ist auch in der Werbung angekommen. Immer öfter finden sich in Anzeigen Bemerkungen, dass die Wirksamkeit des Mittels schließlich in einem oder mehreren RCTs untersucht sei. Gerne wird das auch mit einem triumphierenden Hinweis auf eine „Goldstandardstudie“ unterlegt. Gibt es dann keine Zweifel mehr an der überzeugenden Wirksamkeit? Wie so häufig im Leben lohnt auch hier ein genauerer Blick: Denn auch in RCTs können einige Faktoren zu systematischer Verzerrung – dem so genannten Bias – führen, so dass die Studie nur eine niedrige interne Validität aufweist und damit die Aussagekraft stark eingeschränkt ist.

Tatsächlich zufällig?

Das fängt schon mit der Frage an, ob die „randomisierte“ Zuteilung auch tatsächlich zufällig war. Denn nur dann kann man davon ausgehen, dass bekannte und unbekannte Störfaktoren (Confounder) möglichst gleichmäßig auf die Behandlungs- und die Kontrollgruppe verteilt sind und die Ausgangssituation in den beiden Gruppen möglichst ähnlich ist. Eine gute randomisierte Zuteilung besteht aus zwei Schritten: Dazu gehört zum einen die Erstellung einer Randomisierungsliste – möglichst auf der Basis von computergenerierten Zufallszahlen. Zum anderen muss gewährleistet sein, dass bei der Rekrutierung der Patienten keine Manipulation der Reihenfolge möglich ist.

Deshalb ist eine Geheimhaltung der Randomisierungsliste, also eine verdeckte Zuteilung wichtig. Wüsste der Arzt, der die Patienten im Hinblick auf die Teilnahmeeignung prüft, welche Behandlung der nächste eingeschlossene Studienteilnehmer erhält, könnte das Auswirkungen darauf haben, ob oder wann der Patient in die Studie aufgenommen wird – etwa erst dann, wenn der Arzt die nächste folgende Behandlung als passend für den Patienten ansieht.  

Fairer Vergleich

Die Kontrollgruppe in einem RCT dient dazu, spezifische und unspezifische Therapieeffekte zu unterscheiden. Wird in der Studie das Arzneimittel mit einem anderen verglichen, muss für einen fairen Vergleich die Behandlung in der Kontrollgruppe auch wirklich dem Stand der Wissenschaft entsprechen. Das ist etwa bei der Dosierung wichtig. Ist das Mittel in der Kontrollgruppe zu niedrig dosiert, wird der Effekt des neuen Mittels überschätzt. Eine zu hohe Dosierung der Kontrollbehandlung kann dagegen den Vergleich im Hinblick auf die Nebenwirkungen der Therapie verzerren. 

Entscheidend ist das Nicht-Wissen

Ebenso darf sich die Zuwendung und die Begleittherapie in Behandlungs- und Kontrollgruppe nicht unterscheiden. Dafür ist eine „Verblindung“ möglichst aller Beteiligten notwendig, so dass weder Arzt noch Patient noch Pflegepersonal wissen, zu welcher Gruppe der Patient gehört. Denn dieses Wissen kann sich an vielen Stellen auswirken: Für den Patienten selbst spielen etwa seine Erwartungen eine Rolle und wirken sich auf körperliche und psychische Reaktionen aus. Auch ist es möglich, dass das Wissen seine Entscheidung beeinflusst, wegen Nebenwirkungen oder ausbleibender Wirkung aus der Studie auszuscheiden, sich nicht an die Einnahmehinweise zu halten oder Kontrolluntersuchungen fernzubleiben.

Auch Ärzte und Pflegepersonal haben möglicherweise eine Einstellung zur jeweiligen Intervention, die sich auf den Patienten übertragen kann. Das Wissen um die Gruppenzugehörigkeit des Patienten kann sich auch auf medizinische Entscheidungen, Einschätzungen, Aufmerksamkeit oder zusätzlich angebotene Behandlungen auswirken. Bei der Erfassung der Endpunkte ist eine fehlende Verblindung besonders bei subjektiven Einschätzungen, etwa bei Schmerzen, problematisch. Gleiches gilt auch bei der Datenauswertung, etwa wenn es um den Umgang mit unklaren Befunden oder fehlenden Daten geht.

Alles zählt

Auch bei guter Studienplanung und sorgfältiger Betreuung wird es in der Regel Patienten geben, die die Therapie nicht wie verordnet durchführen, etwa weil sie die Nebenwirkungen nicht aushalten oder von der ausbleibenden Linderung ihrer Beschwerden enttäuscht sind. Werden am Ende der Studie nur die Patienten ausgewertet, die sich vollständig an die Regeln gehalten haben („per-protocol-Analyse“), verzerrt das das Studienergebnis. Weil der Studienabbruch meist im Zusammenhang mit der Therapie steht, sind die ausscheidenden Patienten in der Regel nicht gleichmäßig auf Behandlungs- und Kontrollgruppe verteilt, so dass die Randomisierung nicht aufrechterhalten wird. Deshalb sollten in der Studie die Patienten für die Gruppe ausgewertet werden, der sie ursprünglich zugeordnet waren („intention-to-treat-Analyse“). Fehlen Daten für Patienten ganz oder teilweise, gibt es statistische Strategien, um dieses Problem zu lösen.

Nicht alle Studien, die als randomisiert, kontrolliert und doppelblind angepriesen werden, sind tatsächlich aussagekräftig. Entscheidend ist, ob diese Prinzipien auch tatsächlich sachgerecht angewendet wurden. Aber selbst wenn die Studie eine hohe interne Validität aufweist, kann es weitere Probleme geben: Etwa wenn der Endpunkt keinerlei Relevanz für den Patienten hat, die statistische Auswertung fragwürdig ist, die Fallzahl für eine belastbare Aussage nicht ausreicht oder der Therapieeffekt winzig oder höchst unsicher ist. Deshalb lohnt es in jedem Fall, sich nicht auf das Label „RCT“ zu verlassen, sondern genau hinzuschauen.



Iris Hinneburg, freie Medizinjournalistin und Pharmazeutin
redaktion@daz.online


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