KBV-Vize Feldmann will Neustart

Ärzte-Spitze zerfleischt sich selbst

Berlin - 04.11.2016, 16:35 Uhr

Harter Tobak: KBV-Vize Regina Feldmann erhebt schwere Vorwürfe gegen Kollegen wie auch das Bundesgesundheitsministerium. (Foto: dpa)

Harter Tobak: KBV-Vize Regina Feldmann erhebt schwere Vorwürfe gegen Kollegen wie auch das Bundesgesundheitsministerium. (Foto: dpa)


Aufgrund anhaltender Skandale fordert KBV-Vizevorstand Regina Feldmann den Neuaufbau der kompletten Führungsriege der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Der Vorstand müsse – sie selber inklusive – zurücktreten, das Ministerium solle am besten eine Zwangsverwaltung einrichten.

Auch nach den Skandalen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) um unzulässige Immobiliengeschäfte mit einer Tochtergesellschaft der Apothekerbank, überhöhte Rentenansprüche des ehemaligen Vorsitzenden oder umstrittene Vergaben von Beratungsleistungen durch KBV-Chef Andreas Gassen gibt es weiter Ärger bei den Kassenärzten. Wie kurz die KBV vor dem Zusammenbruch steht zeigt ein Interview, das die Vizechefin des Verbandes, Regina Feldmann, der „Ärztezeitung“ gab. In dem Gespräch erhebt die Vizevorsitzende starke Vorwürfe gegen Gassen, die Vorsitzenden der Vertreterversammlung sowie das Ministerium von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU).

Nach Ansicht von Feldmann führten die Vorgänge zu einer „kompletten Spaltung“ der Vertreterversammlung, dem obersten Entscheidungsgremium der Selbstverwaltung der Kassenärzte. Sie selber sei innerhalb der KBV „isoliert“ und eine „Frühstücksdirektorin“, wie sie erklärte – auch wenn sie offiziell fachlich und inhaltlich uneingeschränkt arbeiten könne.

Freche Antwort vom Vorstandskollegen

Feldmann selber war vorgeworfen worden, zu schnell das Bundesgesundheitsministerium (BMG) als Aufsichtsbehörde eingeschaltet und nicht versucht zu haben, innerhalb der KBV die Probleme zu klären. Im Interview verteidigte sie sich nun, sie sei zuerst an ihren Kollegen Gassen herangetreten, hätte aber „nur eine ausweichende und teilweise freche Antwort bekommen“.  Dann habe sie keine andere Möglichkeit gesehen, das Ministerium zu informieren. „Um zu sagen: Achtung! Hier passieren schon wieder Dinge, die gegebenenfalls wieder zu großen finanziellen Schäden führen können“, erklärte sie gegenüber der „Ärztezeitung“. Wenn beispielsweise Mittel ausgegeben werden, die nicht im Haushalt auftauchen, könne sie nicht anders handeln.

Die Vertreterversammlung (VV) der KBV habe die Vorstände im Frühjahr 2015 aufgefordert, zurückzutreten. Sie selber sei dazu bereit gewesen, betont Feldmann – wenn Gassen und die Vorsitzenden der VV den gleichen Schritt getan hätten, was nicht erfolgte. „Deshalb ist der Zustand heute noch so und die KBV kommt dabei unter die Räder“, erklärte sie nun.

Nachdem Gröhe im Mai den Kassenärzten aufgrund der kaum aufgearbeiteten Skandale mit einer Zwangsverwaltung gedroht hatte, wurde am Ende nur ein Beauftragter eingesetzt, um die Immobiliengeschäfte abzuwickeln – während der Vorstand der KBV nicht generell durch die Einsetzung eines Staatskommissars entmachtet wurde. „Ich wünsche es diesem System ja nicht, dass es einen echten Staatskommissar braucht, aber in der aktuellen Situation wäre es die einzige Lösung“, erklärte Feldmann nun. Voraussetzung hierfür sei, dass der Vorstand handlungsunfähig ist. „Und genau in diesem Zustand befinden wir uns“, sagte sie. „Das muss man ganz klar konstatieren.“

Anfangs hätten sie mit dem BMG als Rechtsaufsicht vertrauensvoll zusammengearbeitet, doch seit Mitte September sieht Feldmann hier grundlegende Änderungen. Ihrer Ansicht nach greife das Ministerium als Aufsichtsbehörde nicht ausreichend durch. „Sie kann Rechtsverstöße nicht tolerieren“, betonte die KBV-Vize. „Und sie muss mutmaßliche Rechtsverstöße aufklären und gerichtlichen Entscheidungen zuführen.“

Stattdessen habe das Ministerium Gröhes direkt versucht, Einfluss zu nehmen und die Zuständigkeiten von Feldmann zu beschneiden, wie diese kritisierte. So seien ihr vom Ministerialdirektor Ulrich Orlowski Vollmachten für Gerichtsprozesse entzogen worden, die der Klärung der Vorgänge dienten. Auch sieht sie erhebliche Interessenskonflikte bei der Kanzlei, die beauftragt wurde, die Probleme der KBV zu durchleuchten. Diese hätte ein „Doppelmandat“, da sie bereits im Auftrag Gröhes gearbeitet hätte – und es sei ihr berufsrechtlich eigentlich verboten, zusätzlich im Auftrag der KBV tätig zu sein, was aktuell auch von der Rechtsanwaltskammer München überprüft werde. Das im September publik gewordene Gutachten forderte die KBV auf, zivilrechtliche Ansprüche unter anderem gegenüber ehemalige Mitarbeiter zu prüfen. Insgesamt ginge es um mehr als 10 Millionen Euro an Schadensersatzforderungen.

Der Bock würde zum Gärtner gemacht

In den Gutachten wurden auch gegenüber Gassen und dem VV-Vorsitzenden sowie seinem Stellvertreter der Verdacht schwerer Untreue erhoben, wie Feldmann betont. „Und eine oder zwei Wochen später überträgt das Ministerium genau den Personen, die unter diesem Verdacht stehen, die komplette Verantwortung darüber, ob und wie die Prozesse geführt werden“, kritisiert sie. „Das ist für mich den Bock zum Gärtner machen.“

Auch würden die hochqualifizierten und engagierten Mitarbeiter unter der Situation leiden. „Es macht bestimmt keinen Spaß, unter einem Vorstand zu arbeiten, der derart zerstritten ist nach außen und innen“, sagte Feldmann. Mitarbeiter würden sogar bedroht oder freigestellt, obwohl sie nur ordnungsgemäß ihre Arbeit erledigt hätten, wie sie sagte. „Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich denke, dass hiermit die Angst geschürt werden soll und keiner mehr den Mund aufmacht“ erklärte die Vizevorsitzende.

Aufklärung aller Rechtsverstöße – statt „Sippenhaft“

Der einzige Ausweg der KBV sei „eine vorbehaltlose Aufklärung aller Rechtsverstöße, die festgestellt wurden“, erklärte Feldmann. Doch die Fragen um das Vorgehen hätten die Vertreterversammlung „förmlich zerrissen“. Nach ihrer Aussage habe sie die Kollegen mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass die Politik gezwungen sei, die Handlungsfähigkeit der KBV einzuschränken, wenn sie sich nicht an Recht und Gesetz hielte. An Gröhes Gesetzesinitiative zur verschärften Aufsicht über die Selbstverwaltungspartner im Gesundheitswesen begrüße sie, dass die Rechte der VV-Mitglieder gestärkt werden und zukünftig beispielsweise Informationen erhalten könnten, die ihnen nach Aussage von Feldmann bislang oft vorenthalten worden seien.

Doch sie kritisiert, dass andere Selbstverwaltungspartner – der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen sowie der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) – in „Sippenhaft“ genommen werden. „Was ich nicht gut finde, ist, dass alle anderen um uns herum, bei denen es solche Querelen nicht gibt, gleichzeitig mit bestraft werden sollen“, erklärte Feldmann. „Ich denke, man hätte auch eine Lex KBV machen können.“

Das Ministerium sei seinen Pflichten nicht nachgekommen

Andererseits müssten die neuen Kontrollmöglichkeiten vom Ministerium auch wahrgenommen werden. „Wenn diese Aufsichtsrechte, die da reingeschrieben werden, genauso unvollständig wahrgenommen werden, wie die bisherigen, dann bringt es gar nichts“, betonte sie. „Wenn man die bestehenden Aufsichtsrechte in den letzten 10 Jahren wahrgenommen hätte, gäbe es heute die meisten in der KBV festgestellten Rechtsverstöße gar nicht“, erklärte Feldmann. Aber sogar die gesetzlich alle fünf Jahre vorgeschriebenen Prüfungen § 274 SBG V seien 2001 und 2007 nicht durchgeführt worden.

Schnellstmöglich sollten nun „nicht nur Herr Gassen und ich gehen“, sondern auch der Vorsitzende der Vertreterversammlung Herr Weidhaas und sein Stellvertreter Herr Dr. Windau, „damit ein echter Neuanfang tatsächlich möglich würde“, sagte Feldmann. „Ich bin schon lange für diesen Neuanfang.“ Vorübergehend könnte beispielsweise der ehemalige Chef des Bundesversicherungsamtes, Maximilian Gassner, geordnete Verhältnisse schaffen und die KBV zur Ruhe bringen.

Vom Bundesgesundheitsministerium sowie der KBV war kurzfristig keine Stellungnahme zu den Äußerungen Feldmanns zu erhalten. 



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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