Kampf gegen Multi-Resistenzen

Peptide als Alternative zu Antibiotika?

Berlin - 01.11.2016, 16:15 Uhr

Abhilfe bei Resistenzen? Antimikrobielle Peptide könnten helfen, multiresistente Bakterien zu bekämpfen. (Foto: Fotolia/jarun011)

Abhilfe bei Resistenzen? Antimikrobielle Peptide könnten helfen, multiresistente Bakterien zu bekämpfen. (Foto: Fotolia/jarun011)


Sie gelten als mögliche Waffe im Kampf gegen antibiotikaresistente Bakterien – antimikrobielle Peptide. Rund 1200 verschiedene dieser kurzen aus zwölf bis 50 Aminosäuren zusammengesetzten natürlichen Abwehrstoffe gegen Bakterien wurden mittlerweile identifiziert.

Sie kommen überall in der Natur vor – auch der Mensch besitzt solche körpereigenen Abwehrstoffe, wie das Peptid LL-37 als Bestandteil der natürlichen Immunantwort. Zumeist wirken diese Peptide bakterizid – sie töten die Bakterien ab, indem sie relativ spezifisch mit der Zellwand der Prokaryonten interagieren.

Ihr Vorteil, ein „Naturprodukt“ zu sein, gereicht ihnen aber auch zum Nachteil, wenn sie therapeutisch etwa bei infizierten Wunden eingesetzt werden sollen. „Der Grund liegt in ihrer Struktur, die dafür sorgt, dass sich Peptide im Innern des menschlichen Körpers relativ schnell zersetzen, noch ehe sie ihre antibakterielle Wirkung entfalten können“, sagt der promovierte Physikalische Chemiker Stefan Salentinig. Sein Forschungs-Team an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) in St. Gallen in der Schweiz sucht Wege, die Lebensdauer der Peptide im menschlichen Körper zu verlängern.

Die schnelle Abbaurate der Peptide hätte bislang erfolgreiche klinische Anwendungen verhindert, sagt der Forscher. Nun ist es seinem Team gelungen, erste Schritte auf dem Weg zur Entwicklung eines „Schutzmantels“ zurückzulegen, der die Wirkstoffe zu ihren Zielorten transportieren und gesteuert freisetzen kann. „Einfache Vesikel aus Lipiden würden diese Peptide nicht schützen“, sagt der Wissenschaftler. Da die Peptide amphiphil seien, also einen wasserliebenden (hydrophilen) und einen wasserabweisenden (hydrophoben) Anteil aufwiesen, würden sich die Peptide in die Öl-Wasser-Grenzfläche einfügen. Der äußere hydrophile Anteil sei damit nicht vor Abbau geschützt.

Strukturbildende Lipide als Weg zur Lösung

Als Lösung hat das Team der EMPA-Fachabteilung „Biointerfaces“ in Kooperation mit der Uni Kopenhagen nun eine Art Shuttlesystem entwickelt, das eine besondere Struktur aufweist. Die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit veröffentlichten Salentinig und seine Kollegen jetzt im Fachmagazin „Journal of Physical Chemistry Letters“. „Unsere Nanocarrier sind sogenannte strukturbildende Lipide. Es sind Lipidpartikel mit einer flüssigkristallinen Struktur mit Wasserkanälen im Inneren“, beschreibt der Chemiker, was den entwickelten Schutzmantel so besonders macht.

Ähnliche Strukturen bei der Milch-Verdauung entdeckt

„Die Partikel sind dabei nur einige Hundert Nanometer im Durchmesser groß. Ihre inneren Kanäle haben einen Durchmesser von nur einigen Nanometern. Wir konnten zeigen, dass sich das antimikrobielle Peptid LL-37, das wir verwendet haben, hauptsächlich in die Öl-Wasser-Grenzschicht dieser Kanäle integriert“, erklärt Salentinig. Damit seien die Peptide in der inneren Nanostruktur der Partikel eingekapselt und somit vor externen Einflüssen und Degradation geschützt. Ganz ähnliche Strukturen habe man kürzlich bei der Verdauung von Milch unter simulierten In-vivo-Bedingungen entdeckt, insbesondere in der Muttermilch. Damit habe man einen genauso funktionierenden natürlichen Nanocarrier im Verdauungssystem gefunden, der schlecht wasserlösliche Milch- oder Nahrungsbestandteile transportiere.

Die Tests der Schweizer erfolgten bislang in vitro an Bakterienkulturen. Dabei konnten sie sowohl zeigen, dass die Peptide stabil transportiert und geschützt werden, als auch, dass sie nach ihrer erneuten Freisetzung aus den Nanocarriern ihre volle bakterizide Wirkung wieder entfalten konnten. Bei den Experimenten kam dazu eine weitere überraschende Eigenschaft des Systems aus Transporter und Peptid zum Vorschein: Die eingekapselten Peptide zeigten eine stärkere antibakterielle Wirkung als die Peptide allein.

Größere Peptid-Konzentration im Komplex könnte Wirkung erklären

Eine Erklärung dafür könnte der Mechanismus bieten, mit dem die Forscher die eingekapselten geschützten Peptide wieder freisetzen: „Wir können mittels externem Stimulus einen Übergang von den flüssigkristallinen Partikeln zu kleinen, etwa 25 Nanometer großen Peptid-Lipid-Aggregaten erzeugen“, erklärt Salentinig. Die Peptide in diesen kleinen Shuttle-Systemen befänden sich dann direkt an der Oberfläche und bekämen Zugang zu den Bakterien, wo sie mit der Zellwand interagieren. „Die stärkere antimikrobielle Wirkung dieser Lipid-Peptid-Komplexe kann dabei auf der hohen lokalen Peptidkonzentration beruhen, die das Shuttle-System zur Bakterienzellwand transportiert.“ Auch eine optimierte Änderung der Krümmung der Zellmembran, die zum Auflösen der Bakterienzellwand führe, sei mittels synergetischer Peptid-Lipid-Effekte als Erklärung für diesen Effekt denkbar.

Noch ein weiter Weg bis zur therapeutischen Anwendung

Die Forscher hoffen, mit ihrer Arbeit nun einen Weg zum erfolgreichen Kampf gegen antibiotikaresistente Bakterien eröffnet zu haben. Da die Peptide einen anderen Wirkmechanismus als konventionelle Antibiotika hätten, habe man nun eine mögliche neue Waffe gegen die resistenten Erreger im Arsenal.

Dabei ist es bis zu einer therapeutischen Anwendung allerdings noch ein weiter Weg. Zunächst wollen die Wissenschaftler die Nanocarrier noch weiter optimieren. „Ein wichtiger Punkt dabei ist es, diese Systeme auf Knopfdruck aktivieren zu können“, sagt Salentinig. Im Fokus stehe dabei, welche externen Trigger sich einsetzen ließen, um das geschützte flüssigkristalline Transportsystem in die aktive Lipid-Peptid-Komplex-Form zu überführen. Derzeit würden im Rahmen von Promotionsarbeiten mehrere Studien dazu starten, die unter anderem vom Schweizer Nationalfonds gefördert seien.



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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