Gesundheitswesen

Bedingt zukunftsfähig

Berlin - 31.10.2016, 17:30 Uhr

Die Experten des Berichts der Nationalen Akademie der Wissenschaften fordern Reformen, und an einigen Stellen soll das Messer angesetzt werden. (Foto: s_l / Fotolia)

Die Experten des Berichts der Nationalen Akademie der Wissenschaften fordern Reformen, und an einigen Stellen soll das Messer angesetzt werden. (Foto: s_l / Fotolia)


Die Thesen des Leopoldina-Papiers

These 1: Ökonomisches Handeln ist geboten – aber ausschließlich zum Wohl des einzelnen Patienten und der Gesellschaft.

Es ist ethisch geboten, das Gesundheitssystem wirtschaftlich, effektiv und effizient zu gestalten. … Wenn aber die Rahmenbedingung so gesetzt sind, dass ökonomische Handlungsmaßstäbe medizinische Entscheidungen dominieren, werden die Grenzen ökonomischer Prinzipien im Gesundheitswesen überschritten. 

These 2: Mehr Geld macht ein System nicht automatisch leistungsfähiger.

Wieviel Geld eine Gesellschaft für ihre Gesundheitsversorgung ausgeben möchte, ist Teil des demokratischen Aushandlungs- und Entscheidungsprozesses. Doch wenn das eigentliche Problem ein strukturelles ist, würde das System durch mehr Geld nicht automatisch effizienter, leistungsfähiger und nachhaltiger werden.

These 3: Vorhandene Überkapazitäten dürfen nicht dazu führen, dass außermedizinische Überlegungen die Indikationsstellung beeinflussen.

Das Sozialgesetzbuch V fordert in § 70 … die das Maß des Notwendigen nicht übersteigende Versorgung aller GKV-Versicherten. In diesem Kontext sind die vorhandenen Überkapazitäten problematisch zu sehen, setzen sie doch Anreize, …. ökonomische Überlegungen einfließen zu lassen.

These 4: Eine Weiterentwicklung des DRG-Systems allein reicht nicht aus, um die ökonomischen Fehlentwicklungen zu beheben.

Das DRG-System der Fallpauschalen, über die seit mehr als zehn Jahren in Krankenhäusern abgerechnet wird, sollte im Sinne eines lernenden Systems weiterentwickelt werden. Eine solche Weiterentwicklung wird jedoch nicht ausreichen, wenn nicht gleichzeitig ein politischer Wille besteht, die Krankenhausstruktur grundlegend zu verändern.

These 5: Qualifiziertes medizinisches Personal ist derzeit im Grunde ausreichend vorhanden, aber auf zu viele Häuser verteilt.

Die Zahl der zu betreuenden Patienten pro Pflegekraft und Arzt ist in Deutschland häufig zu hoch.… Die derzeitige Mängeldiskussion resultiert zu großen Teilen aus einem unnötig aufgeblähten System mit zu vielen Krankenhäusern, hohen Betten- und stationären Fallzahlen und der immer noch überdurchschnittlich langen Verweildauer im Krankenhaus.

These 6: Eine angemessene Analyse des Gesundheitssystems braucht Transparenz und den Zugang zu Informationen.

Daten (zum Gesundheitssystem) gibt es viele; sie sind jedoch für die notwendige wissenschaftliche Auswertung in Teilen nicht zugänglich. Fehlende Daten und Digitalisierungsinfrastrukturen bedeuten in der Konsequenz fehlendes Wissen, etwa über Abläufe, über mögliche Über- und Unterversorgten oder über den Nutzen von Therapien. Anzustreben sind daher eine ausgebaute Daten- und Sicherheitsinfrastruktur, einheitliche und für alle geltende Transparenzstandards und die Professionalisierung des Umgangs mit Daten im Gesundheitswesen.

These 7: Wettbewerb hat Grenzen

Die Versorgungsqualität soll nach dem Sozialgesetzbuch V § 70 in allen Regionen in Deutschland für alle Menschen gleich hoch sein, unabhängig von der jeweiligen Organisationsform oder Trägerschaft. Das gilt insbesondere für ländliche oder strukturschwache Regionen. In diesem Kontext sollte über neue intelligente Konzepte nachgedacht werden: Etwa ein schlechtes Krankenhaus zu schließen und dafür in ein gut ausgestattetes Rettungssystem zu investieren.

These 8: Die Gesundheitsversorgung braucht klare und verlässliche politische Rahmenbedingungen, innerhalb derer ein Qualitätswettbewerb stattfinden kann. Es braucht zusätzlich politischen Mut, die notwendigen Strukturveränderungen anzugehen.

Politische Entscheidungsträger haben eine Steuerungsverantwortung, sie müssen die Rahmenbedingungen des Gesundheitssystems setzen. … Politische Zurückhaltung bei der Gestaltung des Krankenhauswesens in Deutschland führt nur dazu, dass die Probleme über die Fallpauschalen nach untern durchgereicht werden, mit den bekannten Folgen: Arbeitsverdichtung, Unzufriedenheit, Personalmangel, trotz ausreichenden Personals insgesamt, Fallzahlsteigerung ohne medizinische Gründe und gesamtwirtschaftlich hohe Kosten, ohne entsprechenden Nutzen.



Edda Grabar, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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