Gefahr für Babys

Ärzte fordern Rezeptpflicht für Doxylamin und Co.

Stuttgart - 24.10.2016, 17:00 Uhr

Aus Verzweiflung: Angeblich beruhigen Eltern ihre schreienden Kindern mit Arzneimitteln, die es ohne Rezept in der Apotheke gibt. (Foto: Ilka Burckhardt / fotolia)

Aus Verzweiflung: Angeblich beruhigen Eltern ihre schreienden Kindern mit Arzneimitteln, die es ohne Rezept in der Apotheke gibt. (Foto: Ilka Burckhardt / fotolia)


Auch gegen den fachlichen Rat

Maria Michalk, gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, sieht zwar derzeit keinen Anlass, alle sedierenden Mittel der Verschreibungspflicht zu unterstellen. Die Politikerin appelliert aber an das Verantwortungsbewusstsein der Eltern. So sollen sie die entsprechenden Präparate nicht ohne ärztlichen Rat verwenden. Doch dem FAS-Artikel zufolge verordnen Ärzte auch auf Verlangen der Eltern. Dabei gibt es nur in seltenen Fällen überhaupt einen Anlass, bei Kindern Sedativa zu geben, heißt es in dem Beitrag, wie zum Beispiel bei schwerer Epilepsie. Erschreckend oft werde in den Foren das rezeptpflichtige Promethazin erwähnt. Eltern besorgen sich die Mittel offenbar auch gegen fachlichen Rat. So soll in einem Fall in der Apotheke dringend abgeraten worden sein, als eine Mutter auf Rat einer Bekannten nach einem sedierenden Mittel für ihr Baby fragte. Gekauft habe sie es aber trotzdem, heißt es. 

Laut dem Kinderkardiologen und Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Hermann Josef Kahl, hätten Kinder selber kein Problem damit, mal schlecht zu schlafen. Sie holten den Schlaf über den Tag zurück: Hier eine Viertelstunde, da eine halbe, die Summe bleibe meist gleich, sagt der Experte. Das Problem hätten die Eltern. In den Foren äußern sich angeblich zumeist die Mütter.

Der Artikel in der FAS stellt aber auch klar, dass die Eltern ihren Kindern die Mittel in der Regel mit schlechtem Gewissen geben, wenn sie sich nicht mehr zu helfen wissen. Dabei gibt es Hilfe, auf die hingewiesen wird: In jeder größeren Stadt gebe es Schreibaby-Ambulanzen, die den Betroffenen unter anderem das Gefühl nehmen wollen, als Eltern versagt zu haben. Denn das hätten die meisten. 

Wie groß sind die Probleme tatsächlich?

Dauerhaft zu Arzneimitteln gegriffen haben will aber fast keiner, der mit seinem Kind in der Schreibaby-Ambulanz aufschlägt. „Nie“ oder maximal „extrem selten“ geben die meisten Eltern an. Ärzte vermuten eine hohe Dunkelziffer. In Deutschland seien bislang sieben Todesfälle dokumentiert. Die Kinder starben, nachdem ihnen ihre Eltern Mittel gegen Übelkeit oder Husten in hoher Dosis gegeben hatten. Außerdem gibt es offenbar immer wieder Nachfragen bei Giftnotrufzentralen zu dem Thema.

Wie brisant das auf der ersten Seite der FAS platzierte Thema ist, lässt sich kaum einschätzen: Genaue Zahlen zu der Geschichte gibt es bislang nicht. In den Medien wurde bereits zuvor vor dem Einsatz von alten Antihistaminika bei Kindern gewarnt. So titelte 2013 Spiegel Online: „Antihistaminika: Lebensgefahr durch Kinder-Hustensaft“ – auch wenn es in Deutschland auch damals keine Hustensäfte mit den fraglichen Stoffen gab.

Für die Praxis bleibt: Eltern mit Schreibabys wird zu professioneller Hilfe geraten. Bei Übelkeit und Erbrechen sind H1-Antihistaminika zwar für Kinder ab 8 kg zugelassen, das Nutzen-Risiko-Verhältnis ist allerdings fraglich. Tritt im Rahmen eines Infekts bei einem kleinen Kind so starkes Erbrechen auf, dass eine antiemetische Therapie notwendig ist, ist ohnehin eine ärztliche Behandlung indiziert. In Frankreich sind H1-Antihistaminika-haltige Arzneimittel wegen des ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnisses für Säuglinge und Kleinkinder bereits kontraindiziert. Laut einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2012 gibt es berechtigte Sicherheitsbedenken gegenüber der rezeptfreien Abgabe von H1-Antihistaminika-haltigen Arzneimitteln für Kinder und Jugendliche. Insbesondere bis zu einem Alter von drei Jahren seien die Kinder vor diesen Arzneimitteln zu schützen. 



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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1 Kommentar

Rezeptpflicht Keule?

von Andreas Grünebaum am 24.10.2016 um 18:39 Uhr

und wieder eine Sau, welche durchs Dorf getrieben wird. Anstatt hier die Keule der Rezeptpflicht zu schwingen, wäre Aufklärung angebracht. Eine solche können Kunden übrigens in der Apotheke vor Ort erhalten. Sensibilisierung über die die Presse und Zeitschriften wie auch die vom Wort&Bild Verlag. Nicht nur über "Baby...", sondern auch die Umschau für die Omas, welche dann auch mal kritisch nachfragen würden. Für Beratungsresistente, Internetaffine und Beeinflusste Frauen wird es immer Möglichkeiten geben, ein Rezept zu erhalten. Vomex A auf Rezept wäre zumindest ein Affront gegenüber der Apothekerschaft, welche nicht in der Lage sein soll, auf die Anwendungsbeschränkungen bei Neugeborenen und Kleinkinder hinzuweisen. Der Hinweis auf ein Placebo wie "Viburcol raube den Kindern die Sprache" hinterläßt mich davon abgesehen ebenfalls sprachlos zurück.

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