Indien

„Superbugs“ im Pharma-Abwasser

Remagen - 21.10.2016, 14:00 Uhr

Unheimliche Superbugs. (Foto: macrovector / Fotolia)

Unheimliche Superbugs. (Foto: macrovector / Fotolia)


Neue Untersuchungen haben tödliche arzneimittelresistente Bakterien in Gewässern in der Nähe von Antibiotika-Fabriken in Indien entdeckt. Dies enthüllt ein Bericht der Umweltstiftung Changing Markets in London.

Vor-Ort-Recherchen durch die Investigative Agentur Ecostorm im Juni dieses Jahres und nachfolgende Analysen von Wasserproben durch Mark Holmes von der Universität Cambridge haben an den drei indischen Pharmaproduktionsstandorten Hyderabad, New Delhi und Chennai hohe Konzentrationen arzneimittelresistenter Bakterien nachgewiesen. An 16 von insgesamt 34 getesteten Orten, seien Bakterien gefunden worden, die resistent gegenüber Antibiotika sind. An vier dieser Orte wurden Resistenzen gegen drei Hauptklassen von Antibiotika entdeckt, einschließlich Reserveantibiotika. Damit belegt die Studie erstmals, dass die gefährlichen Erreger in Abwässern von indischen Pharma-Fabriken häufig vorkommen.

„Übeltäter“ Aurobindo

Als „besonderer Übeltäter“ und „wiederholter Umweltsünder“ wird nach den Ergebnissen der Untersuchungen die Firma Aurobindo in Hyderabad bezeichnet. Aurobindo produziert auch für den deutschen Markt. Zudem importiere das Unternehmen Rohstoffe für die Herstellung von Antibiotika von umweltverschmutzenden Werken in China. Viele Fabriken in den beiden Ländern, die den Löwenanteil aller Antibiotika der Welt liefern, entsorgten Produktionsabfälle unsachgerecht, was zur Verschmutzung von Flüssen und Seen führt und die Verbreitung arzneimittelresistenter Keime fördert.

Wo gehen die Produkte hin?

Natasha Hurley, Kampagnen-Leiterin von Changing Markets sagt: „Die unsachgemäße Entsorgung von Abfällen aus der Antibiotikaherstellung gefährdet die menschliche Gesundheit, vor allem im Hinblick auf die Zunahme von Antibiotikaresistenzen. Die Entdeckung antibiotikaresistenter Bakterien im Umfeld indischer Pharmafabriken, die europäische und US-amerikanische Märkte beliefern, lässt ernsthafte Fragen bezüglich der pharmazeutischen Lieferkette aufkommen.“

Diese Lieferketten deckt der Bericht ebenfalls auf. Sie bringen die untersuchten Fabriken mit Unternehmen, öffentlichen Gesundheitsdiensten und Krankenhäusern in den USA und Europa in Verbindung. Unter anderem werden Antibiotika aus den betroffenen Fabriken nach den Recherchen der Umweltstiftung an ausländische Käufer wie den britischen National Health Service (NHS), französische Kliniken und Pharmariesen wie den US Giganten McKesson sowie an Zentiva beliefert. Aurobindo produziere auch für den deutschen Markt. Mehrere Krankenkassen, darunter die AOK, die DAK, die Barmer GEK und die Techniker Kasse, hätten besondere Rabattverträge mit Aurobindo abgeschlossen. 

Auf die schwarze Liste

Nun appelliert Changing Markets an das Gewissen der Abnehmer: „Großeinkäufer von Antibiotika wie zum Beispiel Krankenhäuser müssen sofort Lieferanten auf eine schwarze Liste setzen, die zur Verbreitung von Antibiotikaresistenzen beitragen.“ fordert Hurley. „Sie müssen ihre Lieferkette aufräumen. Ärzte, Krankenschwestern und -pfleger in Deutschland und weltweit arbeiten Tag und Nacht daran, Arzneimittelresistenzen in den Griff zu bekommen. Dass die Pharmaindustrie durch ihre gefährlichen und schäbigen Praktiken dies Anstrengungen untergräbt, ist skandalös.“

Im Flieger nach Europa?

Neben ethischen gibt es aber auch noch andere konkrete Bedenken: „Es ist eine Bedrohung weltweit, wenn Abwässer mit resistenten Erregern in die Umwelt geraten“, wird der Leiter der Abteilung zur Überwachung von Antibiotikaresistenzen am Berliner Robert-Koch-Institut Tim Eckmanns von der ARD-Tagesschau in einem Kommentar zitiert. „Die Erreger können ins Trinkwasser und zu Tieren kommen und darüber auch zum Menschen.“ Reisende könnten diese dann weiter transportieren, im Zweifel in wenigen Flugstunden bis nach Europa.  

Überall auf der Welt

Ein umfangreicher Review der beiden indischen Wissenschaftler Ritu Gothwal und Thhatikkonda Shashidhar vom Indian Institute of Technology in Hyderabad, der im Jahr 2014 im Fachjournal „CLEAR – soli air water“ erschienen ist, erlaubt eine breitere Sicht der Dinge. Hiernach hat die grassierende Verwendung der Antibiotika dafür gesorgt, dass sie überall auf der Welt in natürlichen und künstlichen Systemen zu finden sind. So wurde über die Kontamination von Boden, Sedimenten, Schlamm, Grundwasser, Abwasser, Leitungswasser, Oberflächenwasser (Seen, Bäche, Flüsse, Meer) und Pflanzen mit Antibiotika berichtet. Die Mehrheit der Studien beziehe sich bis dato auf Nordamerika, Europa und China. Unter anderem wiesen mehrere spanische Flüsse, der Po und der Arno in Italien, die französische Seine und der Hoje in Schweden Antibiotika-Befunde auf.   

Kläranlagen als Brutstätten

Kläranlagen sind nach Schilderung der Autoren neben der Produktionslagen für Arzneimittel und Krankenhäuser in ihrem jeweiligen lokalen Umfeld die Hauptquellen, über die die Antibiotika in die natürlichen Systeme gelangen. Aufgrund ihrer besonderen „Lebensbedingungen“ gelten sie sogar als prominente Brutstätten für arzneimittelresistente Kulturen. Detaillierte Analysen von  Klärschlamm aus Kläranlagen verschiedener Länder wie Kanada, China, Spanien, Schweden und USA hätten über Akkumulationen von Antibiotika berichtet. Das heißt, dass die betreffenden Anlagen diesbezüglich insuffizient sind. Was mit den Antibiotika in solchen Anlagen passiert, wisse man nicht genau. Ein Teil werde wahrscheinlich durch Prozesse wie Sorption, biologischen Abbau, Photodegradation und Oxidation abgebaut oder verändert. Die Interaktion der Stoffe und ihrer Metaboliten mit anderen toxischen organischen und anorganischen Komponenten im Klärschlamm und die biologische Potenz dieser Mischungen bleibe jedoch bis dato ein „Geheimnis“.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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