Beratungs-Quickie

Aktiv gegen Hyperaktivität mit Medikinet

München / Stuttgart - 20.10.2016, 17:45 Uhr

Unendlicher Antrieb und das Unvermögen still zu sitzen: ADHS. (Foto: Sergey Nivens / Fotolia)

Unendlicher Antrieb und das Unvermögen still zu sitzen: ADHS. (Foto: Sergey Nivens / Fotolia)


Welche Punkte sind bei der Beratung wichtig? Was für Zusatzinformationen können Apotheker geben? Im „Beratungs-Quickie“ stellen wir jede Woche einen neuen Fall vor. Diesmal geht es um eine Verordnung über das Stimulans Methylphenidat für einen Jungen mit ADHS.

Formalien-Check

Eine junge Frau betritt mit ihrem Sohn die Apotheke und möchte eine BtM-Verordnung einlösen. Es handelt sich um ein BtM-Privatrezept eines Allgemeinarztes für den 6-jährigen Jungen. Der Apotheke sind Teil I und II des BtM-Rezeptformulars vorzulegen.

Die Verordnung wird am Tag der Ausstellung von Mutter und Sohn eingelöst. Das Rezept ist vollständig und eindeutig. Verordnet sind 100 Tabletten Medikinet® 10 mg, Packungsgröße N3. Die Verschreibungshöchstmenge von 2400 mg Methylphenidat wurde eingehalten. Ein BtM-Rezept darf nicht ohne eine genaue Gebrauchsanweisung mit Einzel- und Tagesgabe oder dem Hinweis auf eine schriftliche Gebrauchsanweisung („Dosierung gemäß schriftlicher Anweisung“) eingelöst werden. Die vom Arzt angegebene Dosierung von „morgens, mittags und abends 10 mg“, also einer Tablette, ist auf die FAM-Packung zu übertragen.

Der Patient trägt die Kosten selbst. Zur Verrechnung mit seiner Krankenkasse erhält die Mutter Teil II des BtM-Rezeptformulars bedruckt und quittiert zurück.

Eine Betäubungsmittel-Verordnung darf nur bis zum achten Tag beliefert werden (Tag der Ausstellung plus sieben Tage).

Die Apotheke muss auf die korrekte Dokumentation von BtM-Verordnungen gemäß §§ 13 und 14 BtMVV achten.

Hilfe zum BtM-Rezept-Check finden Sie hier.

Beratungs-Basics

Das Betäubungsmittel Medikinet® enthält das indirekt wirkende Sympathomimetikum Methylphenidat. Der Wirkstoff besitzt zentral stimulierende Effekte, die sich unter anderem in der Steigerung von Konzentrationsfähigkeit, Leistungs- und Entscheidungsbereitschaft zeigen. Das Arzneimittel wird zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störungen (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen zwischen sechs und 18 Jahren eingesetzt, wenn sich andere therapeutische Maßnahmen allein als unzureichend erwiesen haben. Das Arzneimittel ist nicht für die Behandlung von Erwachsenen zugelassen.

Die empfohlene Initialdosis beträgt ein- bis zweimal täglich fünf Milligramm, zum Beispiel zum Frühstück und Mittagessen. Falls erforderlich kann die Tagesdosis wöchentlich in Schritten von fünf bis zehn Milligramm erhöht werden, auf maximal 60 mg pro Tag (in Abhängigkeit vom Körpergewicht). Die individuelle Erhaltungsdosis wird in der Regel auf zwei bis drei Tagesdosen aufgeteilt oder gegebenenfalls als retardierte Darreichungsform in einer einzelnen Tagesdosis verabreicht. Die Wirkung tritt nach circa 20 Minuten ein und erreicht nach einer Stunde ihr Maximum. Sie dauert circa drei bis vier Stunden an. Die letzte Tablette sollte möglichst vor 16 Uhr (nicht später als vier Stunden vor der Schlafenszeit) gegeben werden, um Einschlafstörungen zu vermeiden. Tritt jedoch eine „Rebound“-Hyperaktivität bei Nachlassen der Wirkung auf, ist eine (niedrige) Dosis am späten Nachmittag oder Abend erforderlich.

Die Tabletten sind mit Flüssigkeit zu oder direkt nach den Mahlzeiten einzunehmen. Eine mögliche Auswirkung von Nahrungsmitteln auf die Resorption von Methylphenidat ist nicht untersucht und daher nicht auszuschließen. Aus diesem Grund sind die Tabletten immer in der gleichen Weise in Bezug auf die Mahlzeiten einzunehmen.

Die Behandlung wird in der Regel während oder nach der Pubertät abgesetzt. Die Notwendigkeit der langfristigen Therapie muss jedoch regelmäßig in behandlungsfreien Zeitabschnitten überprüft werden. Es wird empfohlen, das Arzneimittel bei Besserung mindestens einmal im Jahr abzusetzen, um das Befinden und das Verhalten des Kindes ohne medikamentöse Behandlung zu beurteilen. Das sollte vorzugsweise während der Schulferien erfolgen.

Als Nebenwirkungen treten unter der Behandlung sehr häufig Kopfschmerzen, Appetitverlust und Nervosität auf. Häufig kommt es zu Schlafstörungen, Bauchschmerzen, Schwindel, Müdigkeit, Arthralgien, Fieber und allergischen Hautreaktionen. Die meisten Nebenwirkungen treten vor allem zu Beginn der Therapie auf oder lassen sich durch eine geeignete Dosisanpassung und/oder Änderung des Einnahmezeitpunktes beherrschen. Außerdem sind Puls- und Blutdruckerhöhung und bei Langzeitanwendung Wachstumsverzögerungen (Gewicht und Längenwachstum) bei Kindern möglich. Auch eine paradoxe Verschlimmerung der Symptome und suizidales Verhalten wurden beobachtet. Der Arzt muss deshalb im Wachstumsalter mindestens alle sechs Monate Körpergröße, Gewicht und Appetit sowie den psychischen und kardiovaskulären Status kontrollieren und dokumentieren.

Auch noch wichtig

Bei schwerer Appetitlosigkeit ist eine Einnahme der Dosis eine Stunde nach den Mahlzeiten empfehlenswert.

Bei psychischen Auffälligkeiten wie Traurigkeit, Wahnvorstellungen, aggressivem Verhalten oder Agitiertheit muss die Mutter sofort Kontakt mit dem behandelnden Arzt aufnehmen.

Bei der Behandlung sind Wechselwirkungen mit verordneten Arzneimitteln und mit der Selbstmedikation zu beachten.

Grippemittel, die Pseudoephedrin enthalten, dürfen wegen des Risikos einer akuten hypertensiven Krise nicht zusammen mit Methylphenidat eingenommen werden. Diese sind im vorliegenden Fall für das Alter ohnehin nicht zugelassen.

Darf´s ein bisschen mehr sein?

•  Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft ADHS finden sie hier. Diese werden derzeit aktualisiert. Aktuelle Leitlinien „ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen“ der AWMF werden erst im Januar 2017 fertiggestellt

•  Die Behandlung mit Methylphenidat ist nur unter Aufsicht eines Spezialisten für Verhaltensstörungen bei Kindern durchzuführen.

•  Für den Therapieerfolg ist eine regelmäßige begleitende Psychotherapie notwendig.

•   Die Tabletten sind zu Hause für das Kind unzugänglich aufzubewahren.

Auf Nachfrage bestätigen Mutter und Sohn, dass er gut mit der Medikation zurechtkomme. Stolz berichtet der kleine Patient, dass er sich mittlerweile im Unterricht viel besser konzentrieren könne. Und vielleicht finde er die Schule bald gar nicht mehr so fürchterlich.



Manuela Kühn, Apothekerin
redaktion@daz.online


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