Beratungs-Quickie

Marcumar und Gicht

München / Stuttgart - 13.10.2016, 12:00 Uhr

Gut bei Gicht, schlecht bei Marcumar: Grünes Gemüse. (Foto: Jenifoto / Fotolia)

Gut bei Gicht, schlecht bei Marcumar: Grünes Gemüse. (Foto: Jenifoto / Fotolia)


Welche Informationen sind bei einem Beratungsgespräch in der Apotheke für den Patienten wichtig? Welche hilfreichen Tipps kann der Apotheker zu Arzneimitteln und Therapien geben? Im Beratungs-Quickie stellen wir jeden Donnerstag einen konkreten Patientenfall vor. Diesmal geht es um eine Verordnung über ein Arzneimittel gegen Gicht, ein Antikoagulans und einen ß-Blocker für eine ältere Dame. 

Formalien-Check

Es handelt sich um eine Folgeverordnung. Die 80-jährige Stammkundin kennt alle drei Arzneimittel. 

Verordnet ist jeweils die Normgröße N3 der folgenden Tabletten: Allopurinol Hexal® 300, Marcumar® und Sotalex mite®.

Für alle drei Arzneimittel hat der Arzt den aut-idem-Austausch ausgeschlossen. Rabattverträge sind daher nicht zu beachten. Marcumar® Tabletten sind, auch im Fall eines fehlenden Kreuzes, seit dem 1. August 2016 nicht mehr substituierbar. Das Antikoagulans Phenprocoumon zählt zu den Arzneistoffen der zweiten Tranche der Substitutionsausschlussliste des Gemeinsamen Bundesauschusses (G-BA). Die verordnete Stückzahl „100“ ist nicht mehr auf dem Markt. Abzugeben ist die N3-Normgröße mit 98 Stück.

Preisgünstige Importe wären bei allen drei Positionen zu beachten, da das aut-idem-Kreuz im Fall von Original und Importarzneimittel grundsätzlich keine Auswirkung hat. Original und Import werden als identisches Arzneimittel behandelt.

Das Rezept ist vollständig, die Zuzahlungsbefreiung jedoch unklar. Die Stammkundin ist befreit, unter Angabe der Nummer und der Gültigkeit des Befreiungsausweises kann die Apotheke das Kreuz „Gebühr frei“ ankreuzen und mit Datum abzeichnen. Die anfallenden Mehrkosten für Marcumar®, die Differenz zum Festbetrag, muss die Kundin trotz Zuzahlungsbefreiung bezahlen.

Ab Ausstellungsdatum ist die Verordnung einen Monat gültig.

Beratungs-Basics

Allopurinol senkt durch Hemmung der Harnsäureproduktion den Harnsäurespiegel bei Gicht. Die Dosierung beträgt meist einmal täglich 100 - 300 mg Allopurinol nach einer Mahlzeit. Die Tablette ist unzerkaut mit reichlich Flüssigkeit einzunehmen. Die tägliche Maximaldosis beträgt 800 mg Allopurinol. Ältere Patienten sollten mit der niedrigsten therapeutisch vertretbaren Dosis behandelt werden. Außerdem ist gerade bei dieser Patientengruppe auf eine mögliche Einschränkung der Nierenfunktion zu achten.

In der Einstellungsphase sind durch das Auflösen von Harnsäureablagerungen Gichtanfälle möglich. Als unerwünschte Wirkungen treten unter anderem Magen-Darm-Beschwerden, Schwindel und Schläfrigkeit auf (CAVE: eingeschränkte Reaktionsfähigkeit). Kommt es unter der Behandlung zu Hautreaktionen wie Hautjucken, muss Allopurinol abgesetzt und der Arzt aufgesucht werden.

Der Vitamin-K-Antagonist Phenprocoumon wird als Antikoagulans zur Behandlung und Prophylaxe von Thrombosen und Embolien, zum Beispiel nach Herzinfarkt oder bei Vorhofflimmern, eingesetzt. Die Dosierung wird individuell gemäß INR (International Normalized Ratio, Zielwert meist zwei bis drei) angepasst und regelmäßig überwacht. Ein INR von eins entspricht einer normalen Blutgerinnung, bei einer INR von zwei ist die Gerinnungszeit des Standardthromboplastins verdoppelt. Bei stabil eingestellten Patienten sind INR-Wertbestimmungen mindestens alle drei bis vier Wochen notwendig. Bei älteren Patienten oder Änderung der Begleitmedikation noch häufiger. Die gerinnungshemmende Wirkung tritt erst mit einer Latenz von etwa 36 bis 72 Stunden ein. Die Behandlungsdauer ist abhängig von der klinischen Notwendigkeit. Sie kann sich über mehrere Monate oder gegebenenfalls Jahre erstrecken. Nach Absetzen der Therapie dauert es mindestens sieben bis zehn Tage, bis sich die Gerinnungswerte normalisiert haben. Vor Operationen ist zur Verringerung der Blutungsneigung die Therapie von Phenprocoumon rechtzeitig auf Heparin umzustellen (Bridging).

Die Tagesdosis ist morgens oder abends einzunehmen. Die Tabletten sind unzerkaut mit Flüssigkeit zu schlucken. Unter der antikoagulativen Medikation besteht eine erhöhte Blutungsneigung. Sie zeigt sich sehr häufig durch Nasen- und Zahnfleischbluten, Hämatome nach Verletzungen und Hämaturie.

Nach gleichzeitiger Anwendung mit Allopurinol wurde eine klinisch bedeutsame Wirkungsverstärkung von Phenprocoumon mit erhöhter Blutungsneigung beobachtet. Der Arzt muss die Patientin deshalb besonders engmaschig überwachen.

Das dritte Arzneimittel enthält den ß-Blocker Sotalol und wird bei verschiedenen Herzrhythmusstörungen eingesetzt. Die Dosierung beträgt in der Regel zwei- bis dreimal täglich eine Tablette. Die Tabletten sind unzerkaut mit Flüssigkeit mindestens 30 Minuten vor einer Mahlzeit einzunehmen. Die Resorption von Sotalol kann bei gleichzeitiger Nahrungsaufnahme, insbesondere bei Milchprodukten, vermindert sein.

Vor allem in der Einstellungsphase treten Müdigkeit, Schwindel und Kopfschmerzen auf. Dadurch ist die Reaktionsfähigkeit eingeschränkt.

Bei der Behandlung älterer Patienten ist auf eine mögliche Einschränkung der Nierenfunktion zu achten. Wird Sotalol dennoch verwendet, muss die Nierenfunktion engmaschig kontrolliert werden.

Auch noch wichtig

Bei der Behandlung sind Wechselwirkungen mit verordneten Arzneimitteln und mit der Selbstmedikation zu beachten.

Zur Behandlung von Schmerzen sind NSAR wie ASS, Ibuprofen, Naproxen oder Diclofenac nicht geeignet, da sie in der Kombination mit Phenprocoumon die Blutungsneigung erhöhen. 

Grapefruit ist ein bekannter CYP3A4-Inhibitor. Bei gleichzeitiger Einnahme mit dem Antikoagulans kann Grapefruit die Blutungsneigung erhöhen. Auch Goji-Beeren stehen im Verdacht, das Blutungsrisiko zu verstärken.

Johanniskraut ist in der Kombination mit Phenprocoumon kontraindiziert. Johanniskraut schwächt die Wirkung von Phenprocoumon ab. Das hat ein erhöhtes Thromboserisiko zur Folge. 

Auf die Einnahme Vitamin-K-haltiger Multivitaminpräparate (Vitamin K ist Gegenspieler des Phenprocoumons) ist in der Selbstmedikation zu verzichten. Vitamin-K-haltige Nahrungsmittel können ebenfalls die gerinnungshemmende Wirkung von Marcumar® reduzieren.

H1-Blocker wie Dimenhydrinat und Diphenhydramin verlängern wie Sotalol die QT-Zeit. Bei gleichzeitiger Anwendung besteht ein erhöhtes Risiko für Torsades de Pointes. 

Akute Alkoholaufnahme verstärkt die Antikoagulation durch Phenprocoumon, chronischer Alkoholkonsum schwächt die Wirkung ab. Außerdem erhöht Alkohol, insbesondere Bier, den Harnsäurewert und verstärkt die Nebenwirkungen von Sotalol. Die Kundin sollte deshalb auf alkoholhaltige Getränke verzichten.

Darf`s ein bisschen mehr sein?

•    Jeder behandelnde Arzt und die Apotheke müssen über die Einnahme von Marcumar® informiert werden, um die zahlreichen Wechselwirkungen und Nebenwirkungen zu vermeiden.

•    Anwender sollten immer einen Ausweis über die Antikoagulanzientherapie mit sich führen.

•    Zur Normalisierung des Harnsäurespiegels sind Innereien, Hülsenfrüchte, geräucherter Fisch und gebratenes Fleisch möglichst zu meiden. Als Richtwert gilt: maximal 150 g (gekochtes) Fleisch pro Tag. Das Körpergewicht ist zu normalisieren und auf ausreichende körperliche Bewegung zu achten. Viel trinken ist besonders wichtig!

•    Aufgrund der Therapie mit Marcumar® darf allerdings keine plötzliche Umstellung auf eine extreme Diät oder rein vegetarische Kost erfolgen, da grünes Gemüse besonders reich an Vitamin K ist. Der Verzicht auf Vitamin-K-haltige Nahrungsmittel, wie Spinat, Broccoli, Kohlsorten, Sauerkraut, Blattsalate, Kalbsleber, Weizenkeime ist zwar nicht nötig, größere Mengen sind jedoch zu vermeiden.

Die Kundin kommt gut mit der Medikation zurecht. Die häufigen Blutuntersuchungen machen ihr nichts aus. Nur die Reduktion ihrer täglichen Fleischration und der Verzicht auf ihr allabendliches Bier empfinde sie als Zumutung.



Manuela Kühn, Apothekerin
redaktion@daz.online


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