EuGH-Urteil – was wäre wenn...

Die Preisbindung wäre in Deutschland nicht zu halten

Berlin - 29.09.2016, 16:30 Uhr

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. Für die deutschen Apotheken steht am 19. Oktober viel auf dem Spiel. (Foto: G. Fessy)

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. Für die deutschen Apotheken steht am 19. Oktober viel auf dem Spiel. (Foto: G. Fessy)


Sollte der EuGH entscheiden, dass die deutsche Arzneimittelpreisbindung nicht für ausländische Versandapotheken gilt, müssten deutsche Apotheken eine „Inländerdiskriminierung“ hinnehmen: Für sie blieben Rx-Boni tabu. Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas rechnet aber damit, dass viele Apotheker dies nicht akzeptieren würden – und in der Folge mit massiven Konsequenzen.

Am 19. Oktober wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein Urteil im Rechtsstreit der Wettbewerbszentrale und der Deutschen Parkinson Vereinigung zur (Un-) Zulässigkeit von Rx-Boni für EU-ausländische Versandapotheken verkünden.

Die apothekerlichen Standesvertretungen geben sich trotz der Schlussanträge des Generalanwalts, der die Preisbindung für ausländische Versender für europarechtswidrig hält, zuversichtlich. Einen Plan B für den Fall, dass das Gericht den Schlussanträgen folgt, will niemand öffentlich kommunizieren.

Doch in der Apothekerschaft herrscht Unruhe: Was gilt für die deutschen Apotheken, sollten DocMorris und Konsorten künftig tatsächlich Boni auf verschreibungspflichtige Arzneimittel gewähren dürfen? Der Rechtswissenschaftler und Gesundheitsrechtsexperte Dr. Elmar Mand hat vergangene Woche deutlich gemacht: Für die deutschen Apotheken bliebe dann alles beim Alten. Der EuGH entscheidet lediglich den Fall des grenzüberschreitenden Handels mit Arzneimitteln. Mand warnte die Apotheker ausdrücklich, ein solches Urteil dazu zu nutzen, selbst von den fixen Preisen für verschreibungspflichtige Arzneimittel abzugehen. Dies würde Abmahnungen zur Folge haben – von Kammer wie Mitbewerbern. Und das könnte teuer werden.

Der Freiburger Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas sieht dies anders. Zwar sei es richtig, dass ein solches Urteil nur für ausländische Apotheken gelten würde, sagte er gegenüber DAZ.online. Doch er erwartet andere Folgen als massenhafte Abmahnungen.

Bald 50 Prozent Rx-Umsatz für ausländische Versandapotheken?

Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas hat 2012 vor dem Gemeinsamen Senat der Obersten Grichtshöfe des Bundes dafür gestritten, dass die Arzneimittelpreisverordnung auch für EU-ausländische Apotheken gilt.  

Douglas ist überzeugt: Würde der EuGH die Preisbindung für DocMorris & Co. verneinen, wäre das geltende Arzneimittelpreisrecht auch in Deutschland nicht mehr haltbar. Früher oder später würde es gekippt, weil es die Berufsausübungsfreiheit (Artikel 12 Grundgesetz) in nicht mehr zu rechtfertigender Weise beschränken würde. Zwar werde mit der Rx-Preisbindung ein legitimer Zweck verfolgt: Es geht um den Gesundheitsschutz und die flächendeckende Arzneimittelversorgung. Allerdings müsste das Mittel auch geeignet sein, diesen Zweck zu erreichen. Unter den dann gegebenen Umständen wäre dies aber nicht mehr der Fall. Für den Rechtsanwalt ist es keine zu gewagte Annahme, dass die EU-ausländischen Apotheken anderenfalls bald 50 Prozent des Rx-Umsatzes für sich beanspruchen würden: Sie würden offensiv Chroniker umwerben und Hochpreiser an sich ziehen, sagt Douglas. Und die Krankenkassen würden mitziehen.

Leben Totgesagte länger?

Der Anwalt glaubt nicht, dass die deutschen Apotheker stillhielten: „Einige hundert Apotheken würden schon in der ersten Stunde nach dem Urteil ebenfalls Bonifizierungen bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln einführen“, vermutet er. Und ebenso wenig erwartet er, dass die Apothekerkammern diese abtrünnigen Mitglieder im großen Stil abmahnen werden. Zum einen würden sie deutsche Apotheken damit geradezu „zwingen“, Modelle wie etwa „Vorteil24“, wieder aufleben zu lassen. Zur Erinnerung: Hier wurde Kunden deutscher Vor-Ort-Apotheken angeboten, Arzneimittel mit Preisvorteil bei einer kooperierenden EU-ausländischen Versandapotheke zu bestellen, die dann in der deutschen Apotheke abgegeben werden – samt Beratung an Ort und Stelle. Vorteil 24 wurde zwar gerichtlich für unzulässig befunden. Aber laut Douglas aus Gründen, die sich nach einem EuGH-Urteil im Sinne der ausländischen Versender beheben lassen könnten.

Außerdem meint der Rechtsanwalt, die Kammern müssten befürchten, finanziell auszutrocknen. Denn schwindende Umsätze der deutschen Apotheken würden auch sinkende Kammerbeiträge bedeuten, diese bemessen sich schließlich in der Regel am Umsatz. „Daher müssen die Kammern auf eine kurzfristige politische Lösung setzen, anstatt den Wettbewerb der niederländischen Versender durch ein Vorgehen gegen die eigenen Mitglieder zu fördern“, argumentiert Douglas. 

Das gesamte Preisgefüge für Arzneimittel steht auf dem Spiel

Von Mitbewerbern fürchtet Douglas ebenfalls keine große Gefahr. Wenn sie im einstweiligen Rechtsschutz gegen Kollegen vorgingen, müssten sie Schadensersatzforderungen befürchten, sollten sich die Preisregelungen dann als  nicht mehr rechtmäßig erweisen. Ein riskantes Unternehmen, meint der Anwalt.

Er ist überzeugt: Ein Urteil des EuGH, das den Schlussanträgen des Generalanwalts folgt, hätte weitreichendere Konsequenzen als eines, das das Fremd- und Mehrbesitzverbot aufgehoben hätte. Das gesamte Arzneimittelpreisgefüge stehe auf dem Spiel.

Hat er nicht doch noch Hoffnung, dass das Urteil zugunsten der deutschen Apotheken ausgeht? Darauf antwortet Douglas: „Die doch recht lange Zeitspanne zwischen Schlussanträgen und Urteilsverkündung könnte darauf hindeuten, dass der EuGH sich das nochmal ganz genau anschaut. Das ist sicher besser, als die Argumentation des Generalanwalts einfach zu übernehmen“.

Ob die Apothekerkammern tatsächlich nur zusehen werden, wenn das Urteil zulasten ihrer Mitglieder ausgeht, ist allerdings nicht sicher. Aus einigen Kammern ist jedenfalls schon zu hören, dass sie Verstöße gegen die Preisbindung konsequent verfolgen werden. Schließlich zählt es zu ihren Aufgaben, darauf zu achten, dass das Berufsrecht eingehalten wird. Auch das Beitragsargument ist nicht jedem schlüssig, schließlich sind die Kammern kein Wirtschaftsunternehmen, das auf Gewinn aus ist. Selbst wenn eine Kammer vorsichtig sein sollte: Dann könnten noch immer die Aufsichtsbehörden tätig werden.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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4 Kommentare

vor dem EuGH-Urteil

von Elke Dresia am 05.10.2016 um 16:49 Uhr

Ich verstehe überhaupt nicht, wie unsere Standespolitiker sich so ruhig verhalten können!! Es geht doch auch um deren Existenz. Weniger Umsatz in den Apotheken führt zu weniger Kammerbeiträgen… Eine winzige Nebenerscheinung…

Nun, aber warum wirken unsere Vertretungen nicht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auf Politiker ein, dieses, unseren Berufsstand ruinierende Damoklesschwert irgendwie abzuwenden. Müssen RX-Arzneimittel überhaupt versendet werden??? Wie steht es um Arzneimittelsicherheit, flächendeckende Versorgung? Wer hat hier denn einen Nutzen? Ursache sind doch schließlich Mehrwertsteuerunterschiede, die Begehrlichkeiten wecken. 'Vorteil 24`sehe ich nicht als den Weg an, der uns retten könnte. Versandhandelsverbot von RX und 7% Mehrwertsteuer ! Was sagt denn die ABDA dazu??? Ich höre nichts.

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Tsunami woanders ;)

von Peter Lahr am 30.09.2016 um 9:31 Uhr

Was würde denn eine Klage bringen? Wie soll man denn bei einem Umsatzanteil von 80% RX und einem Honorar von 8,XX abzgl. Zwangsrabatt 5€ Bonus geben? Es wäre der Todesstoß für kleine Apotheken, denn bei 100 Packungen RX am Tag bliebe über den Daumen gepeilt ein Rohertrag von 180€ für unser Kerngeschäft. Bei zehn Stunden Öffnungszeit wären das 18€ pro Stunde die für Miete, Personal und Nebenkosten anteilig auf einen Umsatz von 80% RX zzgl dem Ertrag aus OTC übrig blieben, naja vielleicht reisst man es ja mit den 20% OTC EK plus Mwst. raus?

Wer da klagt kann auch besser gleich dicht machen oder nochmal einen Chrashkurs in BWL belegen, kaufmännisch darstellbar ist DAS nämlich nicht mehr, selbst durch die rosaroteste Brille.

Aber mal etwas Anderes, habt ihr auch schonmal über den Tellerrand geschaut und überlegt welche Signalwirkung ein negatives Urteil für uns ausserhalb unserer Profession wie ein Tsunami einen nichtmedizinischen, wichtigen gesellschaftlichen Geschäftsbereich überrollen könnte? Wundert mich schon die ganze Zeit, dass man darüber nullkommanix von unseren Juristen hört. Der mitdenkende Leser wird es schon erraten haben, genau, die Buchpreisbindung.

Wenn die Preisbindung schon bei so etwas lebenswichtigen wie Medikamenten für Versender aus dem Ausland keinen Bestand haben sollte, dann wird es sich sicher kein Internetunternehmer nehmen lassen das Urteil auf diese zu übertragen, denn die Argumente die gegen uns verwendet werden kann man auch ohne Probleme auf Autoren, Buchhändler und Verlage übertragen. Ist nicht auch Amazon extrem in seiner Wettbewerbsfähigkeit im Büchermarkt beschnitten, da es ja den gleichen Preis für Bücher nehmen muss wie der böse stationäre Buchhandel? Der arme Versender kann doch garnicht konkurrieren und sich dadurch für den Kunden als günstige Alternative präsentieren. Also wäre ich jetzt Buchhändler, Autor oder Verlag ginge mir simultan zu uns der Arsch auf Grundeis, denn fällt die Preisbindung bei uns fällt sie dort zu 99,9999% auch, natürlich erstmal nur für Versender die ihr Geschäft aus dem Ausland betreiben, damit sie ihren Wettbewerbsnachteil wettmachen können.

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AW: Buchpreisbindung analog Rx-Preisbindung?

von Armin Spychalski am 30.09.2016 um 18:20 Uhr

Guten Tag Herr Lahr,
darf ich Ihnen ein Gegenbeispiel für Ihre 99,9999%ige Sicherheit bieten? Die Mehrwertsteuersätze! Wie Sie wissen, werden (unverarbeitete) Lebensmittel künstlich verbilligt bzw. Arzneimittel staatlich verteuert. Ist das fair, logisch oder sinnvoll? Wenn mich meine Selbständigkeit was gelehrt hat, dann dass aus A noch lange nicht B folgt, da es zu viele Köche gibt, die den Brei verderben können oder wollen.

Rx-BoniTsunami

von Peter Bauer am 29.09.2016 um 17:36 Uhr

Herr Douglas sieht das schon ganz richtig.Ich könnte selbst wenn ich wollte weder bei den Preisen noch bei etwaigen RX-Boni auch nur annähernd mithalten.Die Kammern werden den Apothekern gelinde gesagt den Schuh aufblasen können .Der katastrophale existenzvernichtende Tsunami ,der im Falle von RX-Bonis ohne sofortige gesetztliche Gegenmassnahmen über die deutsche Apothekenlandschaft hereinrollen wird,wird auch die Kammern ,aber noch mehr die Verbände bis ins Mark ihrer Struktur erschüttern.Seit dem Brexit ist alles möglich und nichts ausgeschlossen und sei es noch so abwegig.

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