Neues Finanzsystem

Experten befürchten Rückschritte durch Psychiatriereform

Berlin - 27.09.2016, 14:43 Uhr

Die Pläne der Bundesregierung für eine Reform der Psychiatrie-Finanzierung stoßen trotz erheblicher Änderungen auf Kritik. (Foto: dpa)

Die Pläne der Bundesregierung für eine Reform der Psychiatrie-Finanzierung stoßen trotz erheblicher Änderungen auf Kritik. (Foto: dpa)


In letzter Sekunde will Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe die geplante Reform in der Psychiatrie umgestalten. Zuvor hatte es heftige Protesten gegen sein Vorhaben gegeben. Doch auch der neue Weg würde falsche ökonomische Anreize setzen, befürchten Experten – und die ausreichende Versorgung von Patienten gefährden.

In einer Bundestags-Anhörung begrüßten am Montag geladene Experten die Bereitschaft des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe, die aktuelle Reform der psychiatrischen Versorgung kurz vor ihrer endgültigen Einführung einzufrieren und neu auszurichten. Eigentlich sollten psychiatrische Kliniken ähnlich wie somatische Krankenhäuser ihre Mittel zukünftig über ein pauschalisiertes Preissystem abrechnen. Dies würde nach Ansicht von Patienten- und Ärzteverbänden jedoch ökonomische Anreize verschärfen, den Dokumentationsaufwand stark erhöhen und die nötigen Kosten für eine angemessene Behandlung nicht ausreichend erfassen.

Nach anhaltender Kritik versprach Gröhe im Frühjahr, die für das kommende Jahr verbindliche Einführung des „Pauschalierenden Entgeltsystems Psychiatrie und Psychosomatik“ (PEPP) noch einmal zu überdenken und die Kritik aufzugreifen. So können nach dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung Kliniken weiterhin ein Budget verhandeln. Auch soll es teilweise neue Versorgungsformen geben: Zukünftig sollen Kliniken im Rahmen ihres Budgets manche Patienten auch zuhause behandeln dürfen. Doch Ärzte- und Patientenverbände sehen die Versprechen Gröhes nicht als ausreichend eingelöst an, wie in der Anhörung deutlich wurde.

Negative ökonomische Anreize

Stark bezweifelt wird beispielsweise, ob zukünftig die nötige Personalausstattung auch finanziert wird. Schon jetzt wäre laut Experten erheblich mehr Personal nötig, um eine leitliniengerechte Behandlung der Patienten zu ermöglichen. Künftig soll ein Krankenhausvergleich ermitteln, ob die Budgets einzelner Kliniken zu hoch liegen. Thomas Böhm vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte sieht dies als „klassische Kellertreppengeschichte“: Häuser mit überdurchschnittlichen Kosten müssten diese senken, wodurch wiederum der Durchschnitt sinkt – und so der Psychiatrie insgesamt die nötigen Gelder entzogen würden.

Nach Einschätzung des Verbandes der Psychosomatischen Krankenhäuser und Krankenhausabteilungen in Deutschland (VPKD) hätten sich viele der heute üblichen, wirkungsvollen Behandlungsmodelle unter den geplanten Bedingungen nicht entwickeln können.

Böhm befürchtet, dass die Psychiatrie zukünftig ähnliche Probleme wie somatische Kliniken hat, in denen so genannte Fallpauschalen (DRG) fixe Beträge für bestimmte Behandlungen vorsehen – weitgehend unabhängig von der individuellen Lage des einzelnen Patienten. „Durch Krankenhausvergleiche und den Anspruch der Kassen, diese Durchschnittskosten durchzusetzen, kommen alle negativen ökonomischen Anreize wieder durch, die auch im DRG-System vorhanden sind“, erklärte er. So müssten zukünftig auch psychiatrische Kliniken die Zahl der Behandlungsfälle stark steigern, unnötige Behandlungen durchführen oder sich die Patienten aussuchen, die finanziell am attraktivsten sind. 

Gesetz bliebe weit hinter den Erwartungen zurück

Auseinandersetzungen gibt es auch um die Frage, wer bestimmt, welche Personalausstattung angemessen ist. Nach Plänen der Bundesregierung soll hierfür zukünftig der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) zuständig sein, doch befürchten Ärzteverbände hierdurch einen Stillstand: Sie fordern, dass ein Expertengremium beim BMG diese Aufgabe übernimmt.

Laut Thomas Pollmächer von der Bundesdirektorenkonferenz, dem Verband leitender Ärzte der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie, bleibt das geplante Gesetz weiter hinter den Erwartungen zurück. Er fordert eine grundsätzliche Abkehr vom weiterhin vorgesehenen Leistungskatalog des PEPP-Systems. Hingegen kritisierte der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen, dass es ein „erhebliches Finanzierungsrisiko“ gebe.

Restriktive Formulierungen

Wenige der von den Parlamentariern gestellten Fragen bezogen sich auf die Bedürfnisse der Patienten. „Insgesamt fühlen wir uns nicht ausreichend repräsentiert“, erklärte Jurand Daszkowski vom Bundesverband der Psychiatrie-Erfahrenen. Angesichts der UN-Behindertenrechtskonvention sowie verfassungsrechtlicher Anforderungen, Zwangsmaßnahmen zu vermeiden, müssten zukünftig alternative Konzepte ermöglicht und ausreichendes Personal zur Verfügung gestellt werden.

Die Möglichkeit der Behandlung einiger Patienten in ihrem häuslichen Umfeld stieß zwar auf Zustimmung, doch sei der entsprechende Passus „sehr restriktiv formuliert“, sagte Stefan Thewes vom Landschaftsverband Rheinland. So erlaube er die sektorenübergreifende Behandlung nur in akuten Erkrankungsphasen von Patienten, die eigentlich einer Klinikeinweisung bedürfen. „Aus unserer Erfahrung geht es um eine kontinuierliche Begleitung“, erklärte er. Ein Modellprojekt in Düsseldorf habe wie auch andere Projekte in Deutschland große Erfolge gezeigt, indem Ärzte und Pfleger ihre Patienten flexibel behandelt haben. So sei es möglich gewesen, bei gleicher Behandlungszufriedenheit und Lebensqualität die Verweildauer in Kliniken zu reduzieren.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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