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Der umstrittene Zyto-Brief der AOK

Berlin - 15.09.2016, 15:55 Uhr

Nur ein Einzelfall? Die AOK Hessen hat nach eigener Aussage nur einen einzigen Patienten befragt, ob er mit der Zyto-Versorgung nach den exklusiven Apotheker-Verträgen noch zufrieden ist. (Foto:dpa)

Nur ein Einzelfall? Die AOK Hessen hat nach eigener Aussage nur einen einzigen Patienten befragt, ob er mit der Zyto-Versorgung nach den exklusiven Apotheker-Verträgen noch zufrieden ist. (Foto:dpa)


In Hessen sorgt derzeit ein Brief der AOK Hessen an einen krebskranken Patienten für Aufsehen. Nach der Umstellung der Zyto-Versorgung auf die exklusiven Apothekenverträge will die AOK nun wissen, ob die Patienten bei der Versorgung wirklich Beeinträchtigungen erlebt haben. Die AOK bezeichnet das Vorgehen als Einzelfall. Die Ärzte sind empört.

Der AOK-Bundesverband hatte vor einigen Wochen für das Vertragsgebiet der AOK Hessen neue, exklusive Versorgungslose an Apotheken im Land vergeben. Wie in den anderen Vertragsgebieten kam es auch in Hessen zu Beschwerden über die Versorgung, auch hessische Medien berichteten über die Zyto-Belieferung von Arztpraxen.

In der vergangenen Woche beschwerte sich der Vorsitzende des Berufsverbandes Niedergelassener Onkologen über die Lage: Stephan Schmitz berichtete auf einer Pressekonferenz in Berlin unter anderem, dass die AOK jetzt „Briefe an unsere Patienten“ schicke, um zu erfragen, wie sie mit der Zyto-Versorgung durch ihren Arzt zufrieden seien und ob sie seit der Umstellung der Verträge Veränderungen wahrgenommen hätten. Schmitz zeigte sich empört darüber, dass die Kasse sich in das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient einmischt.

DAZ.online liegt das anonymisierte Schreiben mit dem Betreff „Ihre Versorgung mit Krebstherapeutika“ vor. Darin werden dem Patienten insgesamt elf Fragen gestellt. Die Antworten könne man in den beigelegten Fragebogen eintragen, aber auch gerne eigene Einschätzungen formulieren, heißt es dort.

Die AOK will zunächst wissen, bei welcher Praxis der Patient in Behandlung ist. Anschließend geht es um die Zufriedenheit mit der Behandlung und darum, wie oft der Patient zur Behandlung erscheint. Neben den verabreichten Medikamenten fragt die AOK nach den Abläufen am Behandlungstag und ob Wartezeiten in der Praxis entstehen. Und: „Hat sich der Ablauf am Behandlungstag seit August dieses Jahres verändert? Falls ja: Was ist anders geworden? Wie gehen Sie damit um? Wie wurden Sie informiert?“ Außerdem ist die AOK daran interessiert, ob der Patient überhaupt wisse, welche Apotheke ihn versorgt habe.

AOK: Der Brief ging nur an einen Patienten raus

Gegenüber DAZ.online gab die AOK Hessen zu, diesen Brief an einen Patienten geschickt zu haben. Die Kasse bekräftigte aber auch, dass dieser Kontakt einmalig gewesen sei. Der AOK-Sprecher erklärte dies so: „Der besagte Brief der AOK Hessen samt angehängtem Fragebogen an einen Versicherten aus Langen – an tatsächlich nur diese eine Person – ist aufgrund seiner im Fernsehen („hessenschau“) ausgestrahlten Beschwerde zu Lieferverzögerungen von Zytostatika versandt worden.“

Und weiter: „Wir wollten wissen, wie er die Versorgung durch den Wechsel der zubereitenden Apotheke empfindet, welche Verzögerungen er wahrgenommen hat.“ Mit den Antworten des Kunden könne man sich ein besseres Bild der Gesamtsituation machen, erklärte der Sprecher. Zu den einzelnen Aussagen des Kunden wollte sich die Kasse aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht äußern. Nur so viel: Der Patient habe sich selbstbewusst und ausführlich geäußert und sei mit seinem Arzt übrigens sehr zufrieden.

Die AOK Hessen findet den Kontakt mit dem Krebspatienten nicht problematisch, gibt sogar zu, dass sie des Öfteren Versicherte nach deren Meinungen fragt. „Es ist üblich und sogar sehr hilfreich, Beschwerden von Versicherten ernst zu nehmen und genau zu erfassen. In besonderen Einzelfällen befragen wir die betreffende Person auch durchaus mal schriftlich, wie es hier geschehen ist. Darüber hinaus hat die AOK Hessen im Kontext Zytostatikaversorgung keine weiteren Versicherten angeschrieben und befragt.“

Der Onkologen-Verband bleibt bei seiner Ansicht, schenkt der Darstellung der AOK aber auch Glauben: „Das ist eine eindeutige Grenzüberschreitung. Eine Krankenkasse hat in das besonders geschützte Arzt-Patienten-Verhältnis nicht zu intervenieren. Wenn es sich hierbei allerdings wirklich um einen Einzelfall handelt, wollen wir die Problematik zunächst nicht weiterverfolgen“, sagte Verbandschef Schmitz.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

Ein Patient - ne ist klar

von Dreiste Lücken in der Argumentation am 15.09.2016 um 18:49 Uhr

Man wollte sich einen Überblick über die Lage machen - ! mit einem Patienten - wäre statistisch eine Meisterleistung, wenn nicht mit mehr geplant wurde.
Kann es nicht eher sein, daß man erwischt wurde, so ein Pech und das beim ersten Patienten !
Wenn es eine funktionierende Aufsicht real gäbe, würden die GKVen nicht so agieren, aber was soll schon passieren.
Von der Politik und der Justiz geschützt, gehören diese Akteure zu den unantastbaren.
Leider sind solche Dinge ja noch eher harmlos, glaube kaum, daß die meisten hier schon weit schlimmere Ausfälle erlebt haben.

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