Zytostatika-Ausschreibungen

Der ausgeschriebene Patient

Berlin - 12.09.2016, 11:00 Uhr

(Foto: benicoma / Fotolia)

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Die Praxis der Ausschreibungen der ambulanten Versorgung mit parenteralen Zytostatikazubereitungen wird höchst kontrovers und stürmisch diskutiert. Im windstillen Zentrum der Auseinandersetzungen steht der Patient, der eigentlich Betroffene. Er wird zusehends entmündigt und leidet. Ein Update.

Die Entmündigung Teil 1

Das Bundessozialgericht (BSG) entschied im November 2015 (Az.: B 3 KR 16715), dass bei der ambulanten Behandlung von Krebspatienten deren Recht auf freie Apothekenwahl nicht mehr gültig ist. Mit diesem unsäglichen Urteil wurde der Weg der Ausschreibung der Versorgung mit parenteralen Zubereitungen geöffnet. Bis dahin waren viele Patienten den Empfehlungen der behandelnden Ärzte gefolgt und hatten sich für die bewährte Versorgung entschieden und so einige Ausschreibungsversuche ins Leere laufen lassen. Das BSG entschied also letztlich zugunsten des Einsparwillens der Krankenkassen (Wirtschaftlichkeitsgebot) und nahm dafür Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten in Kauf.

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Die Krankenkassen stehen unter einem enormen wirtschaftlichen Druck. Die Kosten für neue Therapien steigen ständig. Statt sich aber mit den Pharmazeutischen Unternehmern auseinanderzusetzen, deren Preispolitik für die gestiegenen Kosten ursächlich ist, und zum Beispiel Ausschreibungen der Wirkstoffe auf den Weg zu bringen, versuchen sie mit allerlei Tricks die herstellenden Apotheken zu drücken. Nicht nur werden korrekt abgerechnete Verwürfe nicht bezahlt (siehe Urteil des Sozialgerichts Würzburg) – auch der unsinnige und ziemlich willkürliche Weg der Versorgungsausschreibung wird beschritten (vgl. Abb. 1).

  DAK/GWQ Spektrum K
Gebietslose 324 788
Betriebsstätten 1672 1748
Betriebsstätten pro Los 5,16 2,22

Abb. 1: Vergleich der bisherigen bundesweiten Ausschreibungen. Obwohl beide Kassen für die gesamte Bundesrepublik eigentlich die gleiche Zahl an Betriebsstätten ausschreiben und vorgeben, die Interessen der Patienten zu berücksichtigen, sind die Unterschiede doch eklatant.


Dabei wurde den Kassen von vielen Experten vorausgesagt, dass es zu einem logistischen Chaos in den Praxen, bei adhoc-Zubereitungen und auf den Lieferwegen aber auch zur Nichteinhaltung pharmazeutischer Rahmenbedingungen (z.B. Haltbarkeiten) kommen würde. Möglich wurden diese Ausschreibungen nicht nur durch das bereits erwähnte BSG-Urteil. Unter den herstellenden Apotheken/Herstellbetrieben gibt es auch einige Bieter, deren vorrangiges Ziel es ist, ihre Marktanteile zu vergrößern. Dazu scheinen ihnen alle Mittel recht zu sein. Es werden Dumpingangebote abgegeben mit Preisen, die auf dem Markt nicht zu realisieren sind. Es werden aus eigenem Gutdünken Haltbarkeiten festgelegt, die, selbstgemessen oder irrelevanten Sekundärliteraturen entnommen, deutlich jenseits der gültigen Angaben der Fachinformationen sind, aber eben besser zu ihren angedachten Lieferstrecken und -zeiten passen. Bei der fadenscheinigen Begründung dieses Vorgehens (Rezepturherstellung mit eigener Haltbarkeitsbestimmung) wird ein Urteil des Bundesgerichtshofs (Az.: 1 StR 534/11) vom 4. September 2012 missachtet. Darin wird feststellt, dass bei der Gebrauchsfertigmachung einer Infusion der Charakter des ursprünglichen Fertigarzneimittels nicht verändert wird und der pharmazeutische Unternehmer für Wirksamkeit und Unbedenklichkeit in der Haftung bleibt. Und nicht zuletzt wird sich naiver (?) Strohapotheken bedient, die über kein eigenes Reinraumlabor und keinerlei Erfahrung im Umgang mit diesen empfindlichen Infusionen verfügen, nur um formal die Ausschreibungsbedingungen, die von den vergebenden Kassen auch nur formal geprüft werden, einzuhalten.

Es verbündet sich also der unbedingte Expansionswille einiger Bieter mit dem unbedingten Einsparwillen der Krankenkassen und gemeinsam werden alle berechtigten und rechtlichen Einwände ignoriert. Bei diesem ganzen, aus meiner Sicht nur als illegal zu bezeichnenden Vorgehen, werden zentrale Interessen des Patienten verraten und er wird ein weiteres Mal entmündigt.

Die Entmündigung Teil 2

Dabei wird ein weiteres, für mich klares BGH-Urteil (Az.: VI ZR 108/06) aus dem Jahr 2007 sträflich missachtet. Danach ist der Patient immer dann entsprechend aufzuklären, wenn sich beim Einsatz eines Medikaments andere Risiken ergeben als bei der bisherigen Medikation – und zwar vor dessen erstem Einsatz. Nur so sei das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in ausreichender Weise gewahrt. Nur so könne der Entstehung einer haftungsrechtlichen Grauzone vorgebeugt werde. Und nur so könne der Patient entscheiden, ob er das Risiko dieser Behandlung überhaupt eingehen wolle. Da in unserem Fall dem Patienten durch den Einsatz von Wirkstoffen jenseits der durch das Pharmazeutische Unternehmen garantierten Wirksamkeit und Unbedenklichkeit offensichtlich ein anderes Risiko zugemutet werden soll, wäre es eigentlich unumgänglich, ihn vor einer derartigen Infusion über diesen Umstand aufzuklären. Diese Aufklärung erfolgt aber in der Realität wohl kaum, da sich wahrscheinlich kein einziger Patient freiwillig mit arzneimittelrechtlich verfallenen Wirkstoffen behandeln lassen würde. Ganz im Gegenteil – man lässt den Patienten und manchmal auch den behandelnden Onkologen wohl planmäßig im Unklaren. Über das haftungsrechtliche Problem dieses Vorgehens soll hier nicht lange spekuliert werden. Aber es wäre nicht verwunderlich, wenn unter diesen Umständen die Haftpflichtversicherung bei einem möglichen Schadensfall nicht einspringen würde.

Fazit

Aus Sicht des Autors müssen Onkologen unter den gegebenen Ausschreibungsbedingungen ein erhöhtes Augenmerk auf die Haltbarkeitsangaben der gelieferten Infusionslösungen werfen. Sie sollten sich in jedem Einzelfall über die Wertigkeit der gemachten Angaben informieren lassen (liegen die angegebenen Haltbarkeiten innerhalb oder außerhalb der Fachinformation?). Und sie sollten darüber nachdenken, ob sie Infusionslösungen mit verlängerten Haltbarkeiten überhaupt einsetzen wollen (was der Autor nicht empfehlen würde). Auf jeden Fall muss der Patient vor dem Einsatz dieser Infusionen darüber aufgeklärt und gegebenenfalls sein Einverständnis entsprechend dokumentiert werden. Nur dann haftet wohl im Schadensfall die herstellende/abgebende Apotheke (mit ihrem Privatvermögen und möglicherweise ohne Haftschutz). Sollte der Patient aber eine derartige Behandlung ablehnen, so ist das sein gutes Recht – Ausschreibung hin oder her. 


Autor: 

Dr. Franz Stadler



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1 Kommentar

Entmündigung.....

von Bernd Küsgens am 12.09.2016 um 18:57 Uhr

Der Autor hat Recht!! Der Patient wird mit Hilfe von Gerichtsurteilen, unklaren Aufklärungen Entmündigt.
Als GKV-Versicherter werden die Patienten gezwungen, ihre Rechte aufzugeben.Mit Hilfe der KK, inkompetenten Anbietern
und den hilflosen Ärzten. Armes Deutschland mit willfährigen Politikern.

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