G-BA-Chef Hecken

Auch Alternativmediziner müssen Evidenz liefern

Berlin - 09.09.2016, 07:00 Uhr

G-BA-Chef Josef Hecken will strengere Vorgaben für die Alternativmedizin. (Foto: TK)

G-BA-Chef Josef Hecken will strengere Vorgaben für die Alternativmedizin. (Foto: TK)


Mit seiner Verbotsforderung für Alternativmedizin mit unbelegtem Nutzen auf Kassenrezept machte G-BA-Chef Josef Hecken kürzlich Schlagzeilen. Gegenüber DAZ.online erklärt er nun, dass er die von Homöopathen vorgebrachten Studien für fragwürdig hält – und fordert eine verpflichtende Aufklärung von Patienten.

Keine Kassengelder für Homöopathie sowie alle Alternativmedizin ohne Wirksamkeitsnachweise: Der Vorstoß von Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), erregte vor kurzem die Gemüter. Anlässlich der alternativmedizinischen Behandlung von drei kurz darauf verstorbenen Patienten eines „Biologischen Krebszentrums“ in Brüggen-Bracht forderte Hecken, dass für alle Therapiearten der gleiche Evidenzanspruch gelten muss. DAZ.online hat bei ihm nachgefragt, wie der Gesundheitsexperte sich dies genau vorstellt – und ob damit nicht beispielsweise auch die Erstattung von rezeptfreien Arzneimitteln bei Kindern gänzlich ausgeschlossen ist. Mit seinem sogenannten Nikolausurteil hatte das Bundesverfassungsgericht vor einigen Jahren geurteilt, dass Patienten das Recht auf Kostenübernahme für eine teure Behandlungsmethode außerhalb der evidenzbasierten Regelversorgung haben, wenn sie schwer erkrankt sind.

DAZ.online: Herr Hecken, der Zentralverein Homöopathischer Ärzte vermutet eine versteckte Agenda hinter Ihrer Initiative, die Alternativmedizin einzuschränken. Warum ist es Ihrer Ansicht nach denn schlimm, wenn es Ausnahmen bei den Evidenzanforderungen gibt?

Josef Hecken: Schon die Vermutung einer versteckten Agenda impliziert, hier gehe es um irgendwelche geheimnisvollen oder gar interessengeleiteten Motive. Das ist absurd. In meiner Funktion als Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses habe ich das zentrale und handlungsleitende Motiv, dass in der medizinischen Versorgung in möglichst allen Bereichen sichergestellt ist, dass es für dort eingesetzte Präparate oder Methoden, unabhängig von der Frage der Wirksamkeit, zumindest eine gesicherte Evidenz dahingehend gibt, dass medizinische Leistungen wie Arzneimittel oder auch diagnostische und therapeutische Methoden für die Patientinnen und Patienten unbedenklich sind.

Dieser aus meiner Sicht selbstverständliche Grundsatz muss völlig unabhängig davon gelten, ob es um Regelleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung geht, um Leistungen, die von den Patientinnen und Patienten selbst bezahlt werden oder ob sie von Kassen als Satzungsleistung erstattet werden. Zumindest eine Gefährdung muss sicher ausgeschlossen sein. Und dafür Evidenz zu verlangen, ist nicht schikanös oder ungewöhnlich, sondern die Pflicht und Schuldigkeit jedes verantwortlich handelnden Akteurs im Gesundheitswesen.

DAZ.online: Aber ist das Problem wirklich so groß? Die Kassenausgaben für homöopathische Behandlungen sind ja vergleichsweise klein.

Hecken: Das verschiedentlich vorgetragene Argument, die Diskussion um die Satzungsleistungen der Krankenkassen lohne nicht, weil sie ja nur einen homöopathischen Anteil an den Gesamtausgaben haben, ist für mich eher zynisch: Es kommt nicht auf den Umfang der Leistungsausgaben an, sondern auf die Frage, ob Patientinnen und Patienten gefährdet werden oder nicht. Der Bundesgesetzgeber sollte deshalb prüfen, ob die Regelungen des § 11 Abs. 6 SGB V über die Zulässigkeit von Satzungsleistungen nicht weiter konkretisiert und hinsichtlich der Evidenzanforderungen enger gefasst werden müssten. 

Methodische Qualität der Studien von Homöopathen ist fragwürdig

DAZ.online: Von der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Homöopathie wurde ein Forschungsreader zum Stand der Homöopathie-Forschung zusammengestellt. Trauen Sie den Studien nicht?

Hecken: Mit der Einrichtung des Gemeinsamen Bundesausschusses hat der Gesetzgeber den Anspruch für die Regelleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung festgelegt: Sie müssen evidenzbasiert sein und qualitätsgesichert erbracht werden.

Hierzu bedarf es regelhaft einer systematischen Evidenzrecherche, in der die vorhandenen Studien gesucht, klassifiziert und ausgewertet werden, um so einen wissenschaftlich fundierten Überblick über die vorhandene Evidenz, über Nutzenbelege und unter Umständen auch über Schadens- oder Gefahrenpotenziale von Präparaten und Methoden zu gewinnen. Ein solches Vorgehen scheint auch von der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Homöopathie grundsätzlich akzeptiert zu werden, sonst hätte sie nicht versucht, den aktuellen Stand der Forschung zur Homöopathie im sogenannten Forschungsreader zusammenzustellen.

Allerdings ist die methodische Qualität dieser Zusammenstellung zu hinterfragen, weshalb ich vorgeschlagen habe, dass beispielsweise das IQWiG oder ein anderes unabhängiges wissenschaftliches Institut mit einer Metaanalyse, in der alle vorhandenen Studien aufgearbeitet und bewertet werden, beauftragt werden könnte.

Auch das ist nichts Ungewöhnliches, sondern es ist gute wissenschaftliche Praxis, dass sich Studien auch einer externen unabhängigen Überprüfung unterwerfen. Beim G-BA ist das Tagesgeschäft, und wir merken bei vielen Methodenbewertungen und AMNOG-Entscheidungen, dass viele Studien einer Überprüfung nicht standhalten.

DAZ.online: Krankenkassen argumentieren, der G-BA könne homöopathische Mittel ja gänzlich aus dem Leistungskatalog der GKV ausschließen. Warum passiert das nicht?

Hecken: Der G-BA hat bereits mit einem klarstellenden Verordnungsausschluss aller traditionell angewendeten, bloß registrierten Arzneimittel, eine generelle Regelung, die insbesondere dem Qualitätsgebot Rechnung tragen soll, vorgenommen. Hierzu können auch Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen zählen. Daneben ist eine Erstattung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel zugunsten Erwachsener nur möglich, wenn sie bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten. Der Therapiestandard wird anhand der bestverfügbaren Evidenz beurteilt. In den für die in der OTC-Übersicht der Arzneimittel-Richtlinie vom G-BA festgelegten Indikationsgebieten und Anwendungsvoraussetzungen kann ebenso die Verordnung rezeptfreier Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen erwogen werden, sofern die Anwendung nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist.

Dieser Umgang mit homöopathischen und anthroposophischen Präparaten im Sinne einer formalen Gleichstellung zu allopathischen OTC-Präparaten erfolgte vor dem Hintergrund der Verpflichtung des G-BA, der therapeutischen Vielfalt Rechnung zu tragen. Dies geschah im Bewusstsein, dass ein Evidenzniveau vergleichbar mit dem allopathischer Arzneimittel regelhaft nicht besteht und die arzneimittelrechtlich zulässige Anwendung allein durch den Erkenntnisstand in der jeweiligen Therapierichtung gestützt wird. Das entbindet aber nicht davon, zumindest die Unbedenklichkeit exakt zu belegen.

Sollten Globuli für Krebspatienten verboten werden?

DAZ.online: Die FAZ zitiert Sie, Sie wollten eine homöopathische Therapie bei schweren Erkrankungen auch Selbstzahlern verbieten. Sollen Krebspatienten tatsächlich keine Globuli mehr nehmen dürfen?

Hecken: Es muss es vor allem bei Präparaten und Therapien, die bei schwersten Erkrankungen mit teilweise lebensbedrohlichen Verläufen eingesetzt werden, klare und wissenschaftlich belastbare Wirksamkeitsnachweise geben, die über Fallberichte hinausgehen. Mir geht es nicht um Globuli, die gegen Bagatellbeschwerden eingesetzt werden, die – soweit sie von der Zulassungsbehörde als unbedenklich eingestuft wurden – von jedermann nach freiem Ermessen konsumiert werden können und sollen.

Mir geht es vielmehr um Therapien, die in zunehmendem Maße und verbunden mit nicht belegten Heilsversprechen anstelle wissenschaftsbasierter Therapien bei Patientinnen und Patienten eingesetzt werden – ohne dass es einen belastbaren Nutzennachweis gibt. Hier werden unter Umständen wirksame und hilfreiche evidenzbasierte Therapien entweder gar nicht angewandt oder lange hinausgeschoben, was in der Folge dann bei den Patientinnen und Patienten zu irreversiblen Schäden führt. Das kann und darf man nicht einfach achselzuckend zur Kenntnis nehmen und auf die Autonomie der Patienten oder die Therapiefreiheit der Behandler verweisen.

DAZ.online: Wie sollten die Patienten Ihrer Meinung nach geschützt werden?

Hecken: Das Mindeste, was notwendig ist, ist in solchen Fällen, die Anwender zwingend darauf hinzuweisen, dass es für solche Therapien keine wissenschaftlich validen und gesicherten Nutzennachweise gibt, damit die Patienten auch wissen, auf was sie vertrauen. Und dieser Hinweis sowie diese Aufklärung muss sauber dokumentiert und vom Patienten unterschrieben werden. Nur so kann sichergestellt und überprüft werden, dass auch der Patient exakt weiß, dass er in einer lebensbedrohlichen Situation auf etwas vertraut, für das es keine wissenschaftlichen Nutzenbelege gibt.

Solange aber zum Beispiel im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzeptes homöopathische Präparate komplementär zu einer evidenzbasierten Therapie eingesetzt werden, um etwa die Lebensqualität der Patienten zu verbessern, kann die Situation vielleicht auch anders eingeschätzt werden. Hier bin ich durchaus offen und weniger rigide. 

DAZ.online: Wäre durch ein hartes Evidenz-Gebot nicht der ganze Off-label-Use samt Nikolausurteil hinfällig? In der Pädiatrie fehlen ja sehr oft Studien.

Hecken: Den Off-label-Use ermöglicht der Gesetzgeber mit § 35c Abs. 1 SGB V nur dann regelmäßig als GKV-Leistung, wenn der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse hierzu positiv bewertet wurde. Insofern ist die Frage nicht zielführend!

Auch aus der Nikolausentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ergibt sich kein Freibrief für einen unkontrollierten und ungehemmten Einsatz von Präparaten, deren Nutzen und deren Unbedenklichkeit nicht belegt sind. Denn das Bundesverfassungsgericht hat die Kostentragung an die Vor­aussetzung geknüpft, dass es sich um moribunde Patientinnen und Patienten handelt. Das ist ein sehr enges Kriterium, das mit Blick auf die Patientensicherheit auch keinesfalls weiter ausgedehnt werden darf.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Geldverschwendung

von Dr. Hans-Werner Bertelsen am 09.09.2016 um 12:45 Uhr

Die Masche mit den "Selektivverträgen" erweist sich als zweifelhaftes Geschäftsmodell zulasten der Beitragszahler und zulasten der Gesundheit von vielen Versicherten. Es ist beim derzeitigen Erkenntnisstand ethisch nicht mehr vertretbar, Patienten mit Konstrukten wie "Erstverschlimmerung" und Zuckerkugeln abzuspeisen und dann pro Patient und Jahr 390.- Euro budgetfrei kassieren zu wollen. Hinzu kommen selbstverständlich die körperliche Untersuchung und andere seriösen Leistungen, damit man das Budget ausschöpft. Mir persönlich reicht es. Ich habe mitansehen müssen, wie eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern per Injektion von einem Heilpraktiker-Zahnarzt getötet wurde. Vorab gab es Kügelchen, damit man sich sicher ist, dass die Patientin eine "esoterische Reflektionsbereitschaft" hat. Wenn jetzt nicht endlich Änderungen erfolgen, dann verliere ich den Glauben an Ethik und Moral.

http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/homoeopathie-kongress-bremen-kritik-an-wissenschafts-senatorin-a-1093378.html

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3 verschiedene Themen

von Lars Dittrich am 09.09.2016 um 11:57 Uhr

In dieser Diskussion geht es eigentlich um drei verschiedene Szenarien
1) es werden (potenziell) schädliche Behandlungen vorgenommen, ohne dass der Patient darüber aufgeklärt ist. Beispiele sind 3-Bromopyruvat in Brüggen oder das unsägliche MMS.
2) der Patient wird zu völlig unwirksamen oder nur vielleicht wirksamen Behandlungen überredet und verschleppt damit eine gefährliche Krankheit, die eigentlich gut behandelbar wäre. Das ist zb dieser Brustkrebspatientin passiert, deren Heilpraktiker ausgependelt hat, dass die Diagnose des Arztes falsch sein müsse und ihr zu Homöopathika statt Chemotherapie geraten hat.
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2016/07/21/heilpraktiker-steht-wegen-fahrlassiger-totung-vor-gericht
3) Patienten nehmen unwirksame Behandlungen gegen Bagatellerkrankungen in Anspruch. Das schadet ihnen nicht, verschwendet aber Kassenbeiträge, wenn es erstattet wird. Bestes Beispiel sind die allermeisten homöopathischen Behandlungen.
Diese drei Probleme haben unterschiedliche Dringlichkeit und verlangen unterschiedliche Lösungsansätze. Wir sollten immer klar machen, über welches wir gerade sprechen, sonst reden wir fast zwangsläufig aneinander vorbei.

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Sind wir doch ehrlich...

von Thorsten Dunckel am 09.09.2016 um 9:55 Uhr

... es geht wie immer um den "schnöden Mammon". Wenn diese Gestalten eine Möglichkeit sehen sich aus der Erstattung zu schleichen wird sie auch genutzt. Die tragischen Todesfälle hatten, wenn ich das richtig verstanden habe, nichts mit homöopathischen Mitteln zu tun.
Und der krampfhafte Versuch die Medizin in ein starres evidenzbasiertes Gerüst zu quetschen wird genauso scheitern, und wahrscheinlich noch viel mehr kosten, wie der der Homöopathie den Hahn abzudrehen. Die Wahrheit liegt, wie so oft, wahrscheinlich einmal wieder irgendwo in der Mitte.

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