Entresto bei Herzinsuffizienz

Viele offene Fragen bei der neuen Wunderwaffe

Stuttgart - 07.09.2016, 09:30 Uhr

Entresto ist seit Anfang 2016 in der Apotheke zu haben. (Foto: Novartis)

Entresto ist seit Anfang 2016 in der Apotheke zu haben. (Foto: Novartis)


Die Fixkombination aus Sacubitril und Valsartan (Entresto) wurde von vielen Fachleuten ziemlich gehyped. Schnell sprach man von einem neuen Therapiestandard. Nach Ansicht des pharmakritischen Magazins „Gute Pillen, schlechte Pillen“ ist es dafür aber zu früh. 

Die Fixkombination aus dem Angiotensinrezeptor-Blocker Valsartan und dem Neprilysin-Inhibitor Sacubitril (Entresto) ist in Europa erst seit Anfang des Jahres auf dem Markt –  in den USA seit dem Herbst des Vorjahres – sie hat aber bereits Eingang in die jeweiligen Leitlinien zur Behandlung der Herzinsuffizienz gefunden. Mit dem höchsten Empfehlungsgrad wird unter bestimmten Voraussetzungen zur Therapie mit dem neuen Arzneimittel geraten.

Beim Magazin „Gute Pillen, schlechte Pillen“ (GPSP) sieht man das Ganze ein wenig nüchterner. Dort ist man der Auffassung, dass man noch keinesfalls von einem neuen Therapiestandard sprechen kann. Dafür bedarf es nach Ansicht von GPSP umfangreicher weiterer Untersuchungen. 

Welche Komponente wirkt? 

So sei zum Beispiel nicht klar, ob beide Wirkstoffe in Kombination oder nur jeweils eine der beiden für die Wirkung verantwortlich ist, lautet einer der Kritikpunkte. Denn Valsartan und Sacubitril wurden nicht einzeln getestet.

Zudem gebe es offene Fragen bei der Langzeitsicherheit, geben die Experten von GPSP zu bedenken. Damit spielen sie auf den Verdacht an, dass Sacubitril die Entstehung einer Alzheimer-Demenz begünstigen könnte – die Substanz ist am Proteinstoffwechsel im Gehirn beteiligt.

US-amerikanische Augen- und Nervenärzte befürchten außerdem, der Neprilysin-Inhibitor könne die altersbedingte Makuladegeneration verschlimmern. In der Zulassungsstudie war das zwar nicht beobachtet worden. Mit 27 Monaten war sie aber zu kurz, um einen Zusammenhang  auszuschließen.

Ein weiterer Punkt, bei dem nach Ansicht der Pharmakritiker noch Fragen zu beantworten sind, ist die Alltagsverträglichkeit. Ein Zehntel der Patienten hatte in einer sechswöchigen Testphase das Arzneimittel nicht vertragen und war deswegen aus der Studie ausgeschlossen worden. 

Hift das neue Mittel bei Frauen genauso gut?

Angesichts dieser ganzen Unwägbarkeiten stelle sich die Frage, inwieweit die Studienergebnisse auf den Alltag eines Durchschnittspatienten übertragbar sind, schreibt GPSP. Denn auch am Studiendesign kritisiert das Magazin einen ganz wesentlichen Punkt: Die Studienpopulation in der zulassungrelevanten PARADIGM-HF-Studie sei nicht besonders repräsentativ – ein schwerwiegender Vorwurf. So waren die Teilnehmer nach Ansicht von GPSP zu jung, zu wenig krank und außerdem war der Männeranteil zu groß.

Ob Valsartan/Sacubitril bei Frauen, bei Älteren oder schwerer Erkrankten genauso wirksam ist? Aus den Daten der Zulassungsstudie könne man diese Frage nicht beantworten, heißt es bei GPSP.

Auch andere äußern Kritik

Mit der Meinung zu Letzterem steht GPSP nicht alleine da. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat in ihrer Stellungnahme zur Nutzenbewertung ebenfalls Zweifel an der Übertragbarkeit der Daten auf andere Patientengruppen  geäußert. Daher hatte die AkdÄ für die gesamte von der Zulassung umfasste Population lediglich einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen gesehen. Nur für das in die PARADIGM-HF-Studie eingeschlossene Patientenkollektiv kann dieser nach Ansicht der AkdÄ als beträchtlich beziffert werden. Das Gremium fordert daher weitere Studien sowie eine Befristung des G-BA-Beschlusses zur Nutzenbewertung. 

Bei Diabetikern weniger wirksam?

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)  hatte in seiner ersten Bewertung der Valsartan-Sacubitril-Kombination im April 2016 „Hinweise auf einen beträchtlichen Zusatznutzen“ bescheinigt. Eine ergänzende IQWiG-Bewertung, die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in Auftrag gegeben wurde, relativierte diese Aussage später. Diabetiker müssten differenziert betrachtet werden, hieß es darin. So gebe es für herzinsuffiziente Diabetiker lediglich „Hinweise auf einen geringen Zusatznutzen“. Nur für Patienten ohne Diabetes sei dieser beträchtlich. In seiner abschließenden Nutzenbewertung vom 16. Juni war der G-BA dieser Einschätzung des IQWiG gefolgt.

Novartis will Daten liefern 

Der Hersteller Novartis hat derweil angekündigt, in ein übergreifendes Studienprogramm zu dem neuen Präparat zu investieren. Unter dem Namen FortiHFy, der sich von „Fortifying Heart Failure clinical evidence and patient quality of life“ ableitet, sollen über 40 Studien zusammengefasst werden.

Teilweise laufen diese bereits, teilweise befinden sie sich in Planung. Wissenschaftler und Patienten aus über 50 Ländern sollen fünf Jahre lang daran beteiligt sein. Mit Hilfe des Programms sollen zusätzlich Daten generiert werden, beispielsweise zur Sicherheit, zur Wirksamkeit und zur Verbesserung der Lebensqualität sowie zur Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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