Beratungs-Quickie

Orlistat und ein Appetitzügler bei Adipositas

München / Stuttgart - 01.09.2016, 12:00 Uhr

 Wann ist das Gewicht zu hoch? Der Body-Mass-Index gibt Hinweise. (Foto: adrian_ilie825 / Fotolia)

 Wann ist das Gewicht zu hoch? Der Body-Mass-Index gibt Hinweise. (Foto: adrian_ilie825 / Fotolia)


Welche Informationen sind bei einem Beratungsgespräch in der Apotheke für den Patienten wichtig? Welche hilfreichen Tipps kann der Apotheker zu Arzneimitteln und Therapien geben? Im Beratungs-Quickie stellen wir jeden Donnerstag einen konkreten Patientenfall vor. Diesmal geht es um eine Verordnung über zwei Arzneimittel zur Gewichtsreduktion für eine Frau mittleren Alters.  

Formalien-Check

Die Dame löst ihr Rezept am Tag der Ausstellung ein. Sie berichtet, dass sie in den letzten zwei Jahren über zehn Kilo zugenommen habe und das Gewicht einfach nicht mehr los werde.

Verordnet sind eine Packung Xenical® 120 mg N3 sowie eine Packung Boxogetten®, Packungsgröße N3 auf einem Privatrezept.

Position zwei ist handschriftlich ergänzt. Eine telefonische Rücksprache mit dem Arzt ist hier aus zwei Gründen erforderlich: Zum einen muss eine Rezeptfälschung durch die Kundin ausgeschlossen werden, da es sich um ein Antiadipositum mit hohem Missbrauchspotenzial handelt. Zum anderen ist das verordnete Präparat Boxogetten S-Vencipon® außer Vertrieb und kein aut-idem-konformes Substitut im Handel.

Der Rückruf beim Arzt ergibt, dass er auf hartnäckiges Bitten der Patientin das zweite Arzneimittel ergänzt hat. Als Alternative kann das Rezept mit dem wirkstoff-identischen Appetitzügler Antiadipositum® Riemser beliefert werden. Es ist zu beachten, dass sich das Präparat durch die doppelte Stärke und eine retardiert freisetzende Darreichungsform von den überzogenen Dragees Boxogetten S-Vencipon® unterscheidet.

Beide Arzneimittel sind auf einem Privatrezept verordnet, da es sich um Lifestyle-Medikamente handelt, die nicht zu Lasten der GKV abgegeben werden können. Die Kundin trägt die Kosten selbst.

Abzugeben ist die größte im Handel befindliche Packung Xenical® 120 mg mit 84 Hartkapseln. Preisgünstige Importe sind vorhanden. Die nicht mehr im Handel befindliche größte Packung Boxogetten®  beinhaltete 60 Dragees. Sie kann durch eine Packung mit 30 Stück Antiadipositum® Riemser Retardkapseln ersetzt werden. Auf der Verordnung sind die Außervertriebnahme des verordneten Arzneimittels und der Vermerk „laut ärztlicher Rücksprache Abgabe von Antiadipositum® Riemser“ mit Datum abzuzeichnen.

Ab Ausstellungsdatum ist die Verordnung drei Monate gültig.

Beratungs-Basics 

Xenical® 120 mg Hartkapseln enthalten den Wirkstoff Orlistat. Das Arzneimittel ist zur Unterstützung einer Gewichtsreduktion adipöser Patienten mit einem BMI von ≥ 30 kg/m² im Rahmen einer energiereduzierten Diät vorgesehen. Bestehen bei übergewichtigen Patienten begleitende Risikofaktoren ist der Einsatz ab einem BMI ≥ 28 kg/m² zugelassen.

Der Wirkstoff Orlistat verhindert durch Hemmung gastrointestinaler Lipasen die Fettspaltung in resorbierbare Monoglyceride und Fettsäuren. Die nicht resorbierbaren Fette werden mit dem Stuhl ausgeschieden. Daraus folgt eine verminderte Kalorienaufnahme. Als Nebenwirkungen kommt es daher allerdings sehr häufig zu Stuhldrang, Flatulenz, Fettstühlen (Steatorrhoe) und eventuell zu Stuhlinkontinenz bei großem Fettanteil in der Nahrung. Um diese Nebenwirkungen zu verhindern oder zu minimieren, muss die Kundin fettarme Kost bevorzugen. Unter der Einnahme sind außerdem sehr häufig Infektionen der oberen Atemwege und Influenza aufgetreten.

Die Dosierung beträgt dreimal täglich eine Kapsel unmittelbar vor, während oder bis zu einer Stunde nach jeder Hauptmahlzeit. Enthält eine Mahlzeit kein Fett oder wird sie ausgelassen, ist keine Einnahme erforderlich.

Kann nach zwölfwöchiger Therapie mit dem Arzneimittel kein Gewichtsverlust von mindestens fünf Prozent des Ausgangsgewichts verzeichnet werden, ist die Therapie abzubrechen.

Die Kundin ist mit Ernährungsempfehlungen zur Gewichtsreduktion bereits vertraut. Leider sei sie sehr undiszipliniert, was die Ernährung angehe. Und zu Sport sei sie nach den anstrengenden Arbeitstagen im Einzelhandel auch selten fähig. Hier ist die Kundin zu ermutigen, unbedingt auf eine gesunde, fettarme Ernährung zu achten und sich eine Sportart zu suchen, die sich mit dem stressigen Job vereinbaren lässt. Denn eine dauerhafte Verringerung des Körpergewichts ist nur durch eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten und regelmäßige körperliche Bewegung zu erreichen.

Auch das andere Arzneimittel, ein Appetitzügler, ist lediglich zur unterstützenden Behandlung ernährungsbedingten Übergewichts im Rahmen eines Diätplans zugelassen. Der Appetitzügler enthält den Wirkstoff Phenylpropanolamin (Norephedrin). Das indirekt wirkende Sympathomimetikum darf nur kurzfristig, bis zu vier Wochen, eingesetzt werden. Nach dem Frühstück ist eine Retardkapsel Antiadipositum® Riemser unzerkaut mit etwas Flüssigkeit einzunehmen. Nach einer vierwöchigen Einnahme muss eine Behandlungspause von mindestens zwei (besser drei) Monaten eingelegt werden. Bei länger andauerndem Gebrauch besteht die Gefahr der Abhängigkeit und von Persönlichkeitsveränderungen sowie depressiver Verstimmungen beim Absetzen.

Als Nebenwirkung treten unter anderem Tachykardie, Blutdruckanstieg, Herzklopfen, pektanginöse Beschwerden, Nervosität, Schlafstörungen und Schwindel auf. Das Reaktionsvermögen ist beeinträchtigt und es gilt: Vorsicht im Straßenverkehr!

Da der Einsatz von Appetitzüglern vom Amphetamintyp nur wenig wirksam und reich an Nebenwirkungen ist, ist die Einnahme nicht empfehlenswert! 

Auch noch wichtig

Bei der Behandlung mit anderen Arzneimitteln in der Selbstmedikation oder nach ärztlicher Verordnung sind mögliche Wechselwirkungen zu beachten.

Präparate mit fettlöslichen Vitaminen, beispielsweise auch Calcium mit Vitamin D3, sind mit mindestens zwei Stunden Abstand zu Xenical® einzunehmen, da eine verringerte Resorption der Vitamine A, D, E und K möglich ist.

Unter der Behandlung mit Xenical® kann es außerdem zu einer Beeinträchtigung der Wirksamkeit oraler Kontrazeptiva kommen. Frauen sollten deshalb zusätzliche empfängnisverhütende Maßnahmen ergreifen. Außerdem kann die Wirkung von Schilddrüsenhormonen verringert sein und die blutgerinnungshemmende Wirkung von Vitamin-K-Antagonisten verstärkt werden (Orlistat kann die Absorption des fettlöslichen Vitamin K beeinträchtigen).

Während der Einnahme von Phenylpropanolamin darf keine weitere (systemische) Selbstmedikation mit Alpha-Sympathomimetika, die beispielsweise in Grippemitteln oder blutdrucksteigernden Präparaten enthalten sind, erfolgen.

Die Kundin sollte unter der Behandlung, nicht nur im Hinblick auf eine Kalorieneinsparung, auf Alkohol verzichten.

Klagt die Kundin über Schwindel, so ist an eine Blutdrucksteigerung durch den Appetitzügler zu denken und der Blutdruck zu kontrollieren.

Darf´s ein bisschen mehr sein?

•    Infobroschüren zur richtigen Ernährung und konkrete Ernährungsempfehlungen in Form von Rezepten sind abnehmwilligen Kunden mitzugeben.

•    Einige Apotheken bieten Programme wie „LLID in Deutschland“ für adipöse Kunden an.

•    Besteht die Kundin auf der Einnahme des Appetitzüglers, so sind ihr regelmäßige Blutdruckkontrollen in der Apotheke anzuraten.

•    Orlistat ist in niedrigerer Wirkstärke auch rezeptfrei auf dem Markt. Bei der Selbstmedikation sind Kontraindikationen und potenzielle Risiken zu beachten.

Die Kundin bedankt sich für die Beratung. Es werde ihr nicht leicht fallen, ihre Essgewohnheiten umzustellen. Sie sei einfach eine ganz „Süße“. Sie hält kurz inne und zwinkert dann dem Apotheker zu: Er wisse ja, wovon sie rede …



Manuela Kühn, Apothekerin
redaktion@daz.online


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