Stiftung Warentest

„Im Alter schadet manche Arznei mehr, als sie nutzt“

Stuttgart - 29.08.2016, 07:00 Uhr

Nicht jedes Arzneimittel „passt“ für betagte Patienten: Die Priscus-Liste hilft bei der Auswahl. (Foto: Edler von Rabenstein / Fotolia)

Nicht jedes Arzneimittel „passt“ für betagte Patienten: Die Priscus-Liste hilft bei der Auswahl. (Foto: Edler von Rabenstein / Fotolia)


Wo gibt es Informationen zu inadäquaten Arzenimitteln?

Eine Übersicht zu potenziell inadäquater Medikation (PIM) bei älteren Menschen, bietet die sogenannte Priscus-Liste. Auf diese verweisen die Warentester. Die Priscus-Liste wurde 2011 von Pharmazeuten und Ärzten erstellt und umfasst derzeit 83 Arzneistoffe, die bei Patienten ab 65 Jahren vermieden – oder zumindest sensibel eingesetzt werden sollten. 

Sie sortiert Arzneistoffe nach Wirkstoffklassen und unterscheidet „kritische“ und „geeignete“ Wirkstoffe. Die Priscus-Liste ist nicht bindend, weder für verordnende Ärzte noch für Apotheker, die die Arzneimittel in der Selbstmedikation abgeben. Ulrich Thiem, Mitautor der Liste und Chefarzt am Geriatrie-Zentrum des Elisabethen-Krankenhauses in Essen, kommt bei Warentest als Experte zu Wort. Die Priscus-Liste sei keine Verbotsliste, sondern als Warnhinweis zu verstehen.

Auch Patienten haben Zugang zu ihr. Die Verbraucherschützer erklären in ihrem Bericht, wie Patienten die für sie wichtigen Informationen finden, warnen aber gleichzeitig davor, eigenmächtig die Arzneimittel abzusetzen.

Die Grenzen von Priscus

Priscus deckt viele Wirkstoffbereiche ab, die nicht selten mit älteren Patienten „kollidieren“. So zählen Indometazin oder Meloxicam zu kritischen Analgetika, die es zu vermeiden gilt. Alternative Vorschläge sind neben Ibuprofen auch Paracetamol und schwache Opioide wie Tramadol. Apotheker erkennen hier schnell die Grenzen der unproblematischen Austauschbarkeit der Wirkstoffe „kritisch“und „geeignet“: Nicht jeder Schmerz ist gleich und nicht jedes Analgetikum eignet sich gleichermaßen zur Therapie unterschiedlicher Schmerzzustände. 

So fehlt Paracetamol die antiphlogistische Komponente. Bei Tramadol gilt es die sedierende Nebenwirkung, damit verbunden die potenzielle Sturzgefahr älterer Patienten, zu berücksichtigen. Als gefährliche Wechselwirkung ist für Tramadol mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) das Serotonin-Syndrom beschrieben. SSRI schlägt die Priscus-Liste an anderer Stelle jedoch als Antidepressiva der Wahl vor. Auch muss Tramadol als Prodrug über CYP 2D6 bioaktiviert werden – Inhibitoren dieses Mechanismus sind beispielsweise Paroxetin oder Sertralin, die somit die analgetische Potenz des Opioids unter Umständen reduzieren können.

Die meisten Benzodiazepine stehen, gleichermaßen die Z-Substanzen und Antihistamine der ersten Generation, als ungeeignete Schlafmittel für Senioren auf der Liste. Ärzten steht die Möglichkeit offen, in diesem Fall auf sedierende Antidepressiva wie Mirtazapin in der Verschreibung zurückzugreifen. Für die Selbstmedikation weiß Priscus – außer Schlafhygiene – keinen Rat. 



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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