Innovative Arzneiformen

Wenn kreative Apotheker therapeutische Lücken schließen

München / Stuttgart - 16.08.2016, 10:15 Uhr

Wenn es auf dem Markt nichts Passendes gibt, kann die Apotheke mit individuellen Rezepturen helfen. (Foto: Mike Richter / Fotolia)

Wenn es auf dem Markt nichts Passendes gibt, kann die Apotheke mit individuellen Rezepturen helfen. (Foto: Mike Richter / Fotolia)


Cortison in Form eines Magengels

Um dem jungen Patienten zu helfen, hat sich Apotheker Dr. Berthold Pohl, Inhaber der Max-Weber-Platz-Apotheke in München, gemeinsam mit dem Münchener Gastroenterologen, Dr. Winfried Schatke, Gedanken gemacht. Zusätzliche pharmazeutische Unterstützung gab es von einer weiteren Apothekerin – Dr. Marit Wahrendorf, die die Möwen-Apotheke in München leitet.

Wünschenswert ist eine Formulierung, bei der eine möglichst große Fläche des Magens benetzt wird. Zudem muss das Corticoid im Magen gehalten werden, um die Kontaktzeit mit der Magenschleimhaut zu verlängern, damit der Wirkstoff  lokal seine Wirkung entfalten kann.

Die Lösung: Das Corticoid soll in eine hochviskose Lösung in Form eines Gels verarbeitet werden. Apotheker und Arzt entwickelten gemeinsam die Rezeptur für ein Suspensionsgel. Dazu wird mikronisiertes Budesonid, das sehr schwer löslich ist, in Hydroxyethylcellulose suspendiert. Der pH-Wert der zäh-viskosen Suspension wird zur Konservierung mit 0,5-prozentiger Zitronensäure auf einen Wert von 4 bis 5 eingestellt. Budesonid ist selbst geschmacklos, daher wird kein Geschmackskorrigens benötigt. Die Zubereitung wird in einem Mehrdosenbehältnis (braune Weithalsflasche) abgefüllt. Weil keine Stabilitätsdaten vorliegen, wird die Aufbrauchfrist durch die Haltbarkeit der wässrigen Zubereitung bestimmt und auf vier Wochen begrenzt.

Apotheker Dr. Berthold Pohl

Nach kurzer Zeit beschwerdefrei

Das Suspensionsgel wird in derselben Stärke wie zur Behandlung einer Colitis eingesetzt – 3 mg Budesonid pro Portion, die der Patient dreimal täglich auf nüchternen Magen einnehmen sollte.

Der junge Mann ist bereits nach kurzer Zeit subjektiv beschwerdefrei. Nach vierwöchiger Therapie sind keine Schleimhautblutungen mehr nachweisbar. Auch der histologische Befund hat sich deutlich gebessert. Stellenweise hat sich die kollagene Gastritis vollständig zurückgebildet. Die Therapie soll  noch über vier weitere Wochen fortgeführt und dann ausgeschlichen werden.

Auch für die Therapie von anderen entzündlichen Erkrankungen im oberen Gatstrointestinaltrakt könnte die Einarbeitung von Corticoiden in ein oral applizierbares Gel eine wirksame Option sein. Pohl und Schatke hoffen daher, dass noch mehr Patienten von der gelförmigen Arzneiform profitieren können. 

Patisserie trifft auf Pharmazie

Das Magengel ist nicht die erste Entwicklung von Berthold Pohl. So hat er ein System erfunden, das Kindern die Arzneimitteleinnahme versüßen soll – und das im wahrsten Sinne des Wortes: Es handelt sich dabei um einen Mantel aus Schokolade, der mit unterschiedlichen Arzneistoffen beladen werden kann – eine Camouflage-Kapsel (ausführlicher Bericht in DAZ 2014, Nr. 4 „Nie wieder bittere Medizin! Patisserie trifft auf Pharmazie"). Dafür wurde Pohl mit dem Deutschen Apothekenpreis 2014 ausgezeichnet. 

Neue Arzneiform? Um unangenehm schmeckende Arzneistoffe so zu verpacken, dass sie auch von Kindern gern eingenommen werden, wird in einen Schokoladenhohlkörper eine homogene Suspension aus schokoladehaltiger Rohmasse und Arzneistoff eingefüllt.


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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6 Kommentare

Bravo

von norbert brand am 17.08.2016 um 12:11 Uhr

Bravo Kollege Pohl, es lebe die Arzneiformung in der Hand des Apothekers. Um Herrn Dr. Michel zu zitieren: "... viele KollegenInnen wissen gar nicht, was sie können. Sie haben sogar Angst davor, das zu tun, was sie können. Schlimm ist es, daß die Apothekerschaft fast nie selbst gestaltet, sondern sich gestalten läßt." (DAZ Heft 32, S.59). Sie zeigen was wir Apotheker eigentlich können müßten. Und - kaum macht einer von uns mal was - kommt prompt schon wieder aus den eigenen Reihen die miesepetrige Kaffeesatzleserei von Herrn Barz.

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AW: Kaffeesatzleserei im Biochemischen

von Heiko Barz am 17.08.2016 um 19:11 Uhr

Lesen Sie doch mal genauer, bevor Sie eine Kollegenmeinung als " Kaffeesatzleserei " bezeichnen. Ich kann bei meiner Zuschrift nichts Despektierliches und besonderes Kritisches erkennen außer der Frage, wie dieser therapeutische Erfolg biomedizinisch zu erklären ist.

Säurestabilität

von Dr. Berthold Pohl am 16.08.2016 um 19:38 Uhr

In diesem Fall war direkt der erste Versuch erfolgreich, ohne zusätzliche Gäbe eines Protonenpumpenhemmers o.ä.
Der Patient musste vorher über mehrere Jahre fast täglich nach dem Aufstehen spucken, nach wenigen Tagen Einnahme unserer Rezeptur war das vorbei, das hat uns schon gereicht. Wichtig war es unserer Auffassung nach, das Gel erstmal dahinzubringen und dort zu einer verlängerten Kontaktzeit zu kommen. Scheint geklappt zu haben...

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AW: Budenosid im Magen

von Heiko Barz am 17.08.2016 um 11:10 Uhr

Sehr geehrter Dr.Pohl,
es ist ja immer sehr erfreulich, Patienten zu helfen, aber wie ich Ihren Zeilen entnehme, geben Sie dem Status des Zufalls ein wenig Raum. ...." Dass es auf Anhieb"....
Wer heilt hat Recht!
Das beantwortet aber nicht meine Frage nach den magenspezifischen Modalitäten. Wenn Sie einen Stabilitätsfaktor mit der Zitronensäure von ca. PH 4-5 angeben, so ist diese im Spektrum der Magensäure nur kurzfristig haltbar. Auch die Vorstellung, dass sich die Hydroxymethylzellulose dauerhaft schützend vor magensaftsezernierende Zellen legt, entzieht sich meiner Kenntnis der Physiologie des Magens.
In diesem Fall muß es eine starke Affinität durch das schwerlösliche Budenosid in Bezug auf die Entzündungsherde geben, um diese beschriebene Wirkung zu haben.
Dennoch ist es erstaunlich, dass auf "Nebenwegen" auch für seltenste Krankheitsphänomene immer wieder Heilungsprozesse gefunden werden.
Mit freundlichen Grüßen,
Heiko Barz

Cortisonmagengel

von Heiko Barz am 16.08.2016 um 14:13 Uhr

Wie aber wirkt sich die wesentlich stärkere Magensäure auf die Struktur des Gels als Trägersubstrat aus?
Müßte nicht, um die Therapie zu sichern, ein starkes Antazidum zusätzlich gereicht werden?

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AW: Antazidum

von DAZ.online Redaktion am 16.08.2016 um 16:38 Uhr

Lieber Herr Barz, wir reichen die Frage weiter.
Viele Grüße

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