VergleichsDaten für Europa

Deutschland Schlusslicht beim Arzneimittelmissbrauch

Remagen - 15.08.2016, 10:55 Uhr

Briten stimulieren sich am häufigsten mit Arzneimitteln, Spanier ziehen die Beruhigung vor. (Foto: Andy Dean / Fotolia)

Briten stimulieren sich am häufigsten mit Arzneimitteln, Spanier ziehen die Beruhigung vor. (Foto: Andy Dean / Fotolia)


Rezeptpflichtige Stimulanzien, Opioide und Beruhigungsmittel werden in Großbritannien und Spanien besonders oft missbräuchlich verwendet. Dies ergab eine Befragung in fünf europäischen Ländern. In Deutschland ist die Missbrauchsprävalenz am geringsten.

Wo werden verschreibungspflichtige Arzneimittel am häufigsten missbraucht? Dieser Frage ging ein Team von Wissenschaftlern im Rahmen der European Union Medicine Study (EU-Meds Study) nach. Es befragte dazu im Jahr 2014 rund 22.000 Menschen im Alter von zwölf bis 49 Jahren in den fünf Ländern Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Schweden und Spanien. Die Wissenschaftler wollten wissen, ob diese im Jahr davor oder über ihre bisherige Lebenszeit hinweg rezeptpflichtige Arzneimittel „nicht-medizinisch“ eingesetzt hatten. Mit nicht-medizinischer Verwendung (nonmedical prescription drug use – NMPDU) sollte die Selbstbehandlung einer Erkrankung mit einem verschreibungspflichtigen Medikament ohne Verordnung gemeint sein – oder auch die Verwendung, um damit einen „euphorischen Zustand zu erreichen“. Die Befragung war begrenzt auf Stimulanzien, Opioide  und verschreibungspflichtige Beruhigungsmittel.

Missbrauch von Stimulanzien: Großbritannien an der Spitze

Nach den Ergebnissen war der NMPDU von verschreibungspflichtigen Stimulanzien in Großbritannien bei Weitem am höchsten – und zwar sowohl im zurückliegenden Jahr (3,9 Prozent) als auch bei Betrachtung der Lebenszeit (9,1 Prozent). Die anderen vier Länder lagen relativ eng zusammen, was das vorherige Jahr anbetrifft, mit einer Spanne von 2,2 (Deutschland) bis 2,6 Prozent (Schweden). Hinsichtlich der Lebenszeitschätzungen reichte die Spanne von 5,8 (Deutschland) bis 6,8 Prozent (Spanien). Für beide Parameter des Stimulanzien-Missbrauchs hat Deutschland die niedrigsten Werte aller fünf Länder.   

Spanier beruhigen sich am stärksten 

In Sachen Opioid-Abusus führte Spanien das Ranking an (6,8 Prozent im Vorjahr, 18,3 Prozent über das gesamte Leben), gefolgt von Großbritannien (6,2 beziehungsweise 14,6 Prozent). Auch hier lag Deutschland am unteren Ende der Skala (2,9 beziehungsweise 9,6 Prozent). Rezeptpflichtige Beruhigungsmittel wurden über die Lebenszeit am häufigsten in Spanien und in Schweden missbräuchlich eingesetzt (17,9 beziehungsweise 12,4 Prozent). Auch hier liegt Deutschland mit 5,5 Prozent deutlich niedriger. 

Männlich und arbeitslos

32, 28, beziehungsweise 52 Prozent der Opioid-, Sedativa- oder Stimulanzien-Abuser hatten im Jahr davor auch illegale Drogen genommen. Risikofaktoren mit Bezug auf die geistige und sexuelle Gesundheit waren mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für den Missbrauch assoziiert. Außerdem waren die Personen, die nach eigenen Angaben entsprechende verschreibungspflichtige Medikamente missbrauchen, über alle Länder eher männlich, arbeitslos und hatten keine weiße Hautfarbe.

Kauf auch über Internet-Apotheken

Die Personen hatten die Präparate aus unterschiedlichen Quellen bekommen. Als Hauptquelle wurden Freunde oder Familienmitglieder genannt, und zwar für Stimulanzien und Opiate in rund 45 Prozent und für Beruhigungsmittel in knapp über 60 Prozent der Fälle. Die zweithäufigste Quelle waren andere Personen ohne deren Wissen. Der Kauf über Internet-Apotheken hatte dagegen eine geringere Bedeutung (Stimulanzien 7,6, Opioide 4,1 und Beruhigungsmittel 2,7 Prozent).  

Nicht auf die USA beschränkt 

Nach Auskunft des Leitautors der Studie, Scott Novak vom Forschungsinstitut RTI International in North Carolina/USA, soll die European Union Medicine Study die erste Studie zum Missbrauch dieser Art in der EU sein. „Früher dachte man, dass diese Epidemie auf die Vereinigten Staaten beschränkt ist, aber unsere Studie zeigt, dass sie weit darüber hinaus geht“, sagt Novak. 

Eine der führenden epidemiologischen Quellen für den Drogenmissbrauch in den USA ist die Nationale Umfrage zu Drogenkonsum und Gesundheit (NSDUH). Sie erstreckt sich auf den Konsum von Tabak, Alkohol, illegale Drogen und den Arzneimittelmissbrauch. Nach NSDUH-Daten aus dem Jahr  2013 sollen 20 Prozent der amerikanischen Bevölkerung im Alter von zwölf Jahren oder älter in ihrem Leben schon einmal ohne entsprechende Verordnung zu einem rezeptpflichtigen Psychotherapeutikum gegriffen haben.  

Offenes „Geheimnis“ 

Für Harry Shapiro, Direktor von DrugWise, einem britischen Online-Dienst, der sich die Evidenz-basierte Information zu Drogen, Alkohol und Tabak auf die Fahnen geschrieben hat, sind die Ergebnisse der EU-Meds-Studie keine große Überraschung. Er sagt im Pharmaceutical Journal: „Der UN-Weltdrogenbericht hat den Missbrauch verschreibungspflichtiger Arzneimittel als globales Problem hervorgehoben und in den letzten Jahren hat es hier einen deutlichen Anstieg gegeben. Das ist ein bekanntes Problem, vor dem die Leute einfach die Augen verschließen.“



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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