Gekaufte Forschung?

Boehringer kann bei Uni-Publikationen mitsprechen

Stuttgart - 11.08.2016, 18:05 Uhr

Offenbar nicht für alle Veröffentlichungen offen: Verträge der Unimedizin in Mainz stehen in der Kritik. (Foto: dpa / picture alliance)

Offenbar nicht für alle Veröffentlichungen offen: Verträge der Unimedizin in Mainz stehen in der Kritik. (Foto: dpa / picture alliance)


Im Juli räumte die Uni Mainz „Fehler“ in umstrittenen Millionenverträgen mit der Boehringer Ingelheim Stiftung ein. Nun gibt es einen zweiten Fall. Recherchen haben ergeben: Die Uniklinik gestattete Boehringer Ingelheim weitgehende Mitspracherechte bei einer großen Gesundheitsstudie. Dies könnte die Freiheit von Forschern unzulässig beschneiden.

Nachdem vor wenigen Wochen der Präsident der Uni Mainz, Georg Krausch, „Fehler“ in Millionenverträgen mit der Boehringer Ingelheim Stiftung einräumte und Änderungen ankündigte, ergaben Recherchen des WDR und SWR nun ähnliche Probleme bei einem anderen Vertrag. Offenbar hat die Unimedizin Mainz in Vereinbarungen zur großen „Gutenberg-Gesundheitsstudie“ dem Sponsor Boehringer Ingelheim Rechte eingeräumt, bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen mitreden zu dürfen. Die Studie läuft seit 2007 und schließt nach Angaben der Uni Daten und Proben von mehr als 15.000 Teilnehmern ein, die Pharmafirma unterstützt sie mit Millionenbeträgen.

Nach Angaben der Unimedizin haben beide Partner das Recht, Veröffentlichungen gegenseitig zu kommentieren, die Vertraulichkeit von betriebsinternen Informationen sicherzustellen und zu vermeiden, dass patentierbare Erfindungen unbeabsichtigt vor der Einreichung des Patents veröffentlicht werden. Dies könnte die Wissenschaftsfreiheit unzulässig beeinträchtigen, denn nach Artikel 5 des Grundgesetzes ist die Freiheit von Forschern ein wichtiges Gut.

Einflussnahme findet laut Uniklinik nicht statt

Doch eine Sprecherin betont, dass von einem „Freigabe-Vorbehalt“ keine Rede sein könnte. „Eine Einflussnahme auf oder gar Unterdrückung von wissenschaftlichen Ergebnissen findet nicht statt“, erklärt sie gegenüber DAZ.online. Es ginge in dem Passus beispielsweise um den zeitlichen Aspekt einer Veröffentlichung. „Dieser Fall ist in der Studie bisher nicht eingetreten“, schreibt sie.

Auch Boehringer erklärt auf Nachfrage, die Freiheit von Forschung und Lehre sei für den Konzern ein hohes Gut. Regelungen, dass Manuskripte vor Veröffentlichungen zur Freigabe vorgelegt werden müssen, seien „in Verträgen zum Sponsoring von Studien nicht unüblich.“ Auch seien sie von der Rechtsabteilung geprüft worden. Ein Sprecher betont, dass beide Partner frei sind, sich über Kommentare hinwegzusetzen, so dass „das Veröffentlichungsrecht und damit die Freiheit von Forschung und Lehre nicht eingeschränkt werden“.

Doch schon allein die Möglichkeit der Prüfung stößt auf Kritik, wie im Beitrag „Gekaufte Forschung – Wie Konzerne an deutschen Hochschulen forschen lassen“ des ARD-Magazins „Monitor“ am Donnerstag diskutiert wird. Unklar blieb aus den Anfragen, welche Rolle der Pharmakonzern über das reine Sponsoring genau hat.  

Alle Manuskripte bedürfen der Freigabe

Noch eindeutiger ist nach Informationen von DAZ.online ein Passus aus der Geschäftsordnung der Gesundheitsstudie, der regelt, unter welchen Bedingungen Wissenschaftler die Daten und Proben nutzen dürfen. „Weiterhin ist mit dem Hauptsponsor der Studie, Boehringer Ingelheim (BI), vertraglich vereinbart, dass alle Manuskripte vor Veröffentlichung die Freigabe durch BI benötigen“, heißt es in der vor einem Jahr durch den Leitungsausschuss der Studie beschlossenen Vereinbarung.

Die Unimedizin verweist darauf, dass die Geschäftsordnung von Wissenschaftlern in Selbstverwaltung erstellt wurde, die die Inhalte des Vertrags mit Boehringer umsetzen wollten – und sieht grundsätzlich keine Einschränkung der Veröffentlichungsfreiheit. Doch bindet das Abkommen offenbar jeden Forscher, der die Daten verwenden möchte.

Wichtiger Beitrag für die Gesundheitsforschung – oder die Firma?

Der heikelste Punkt der Auseinandersetzung um die Klauseln dürfte die Frage sein, ob Patienten über die Rechte des Sponsors Boehringer Ingelheim informiert wurden und ihr Einverständnis gegeben haben, dass die Pharmafirma mit über die Veröffentlichung ihrer Daten entscheiden darf. Doch auf dem Internetauftritt der Gesundheitsstudie ist nicht einmal ein Hinweis auf das Sponsoring zu finden – auf der Seite der Projektpartner ist lediglich das Logo Boehringers eingebunden, wie auch das des Elektronikkonzerns „Philips“ oder der Mainzer Verkehrsgesellschaft.

„Alle Studienteilnehmer haben mit ihrer bisherigen Teilnahme bereits einen wichtigen Beitrag für die Forschung an der Universitätsmedizin Mainz und damit für die Medizin von morgen geleistet“, erklärt die Unimedizin dort beispielsweise – ohne darauf hinzuweisen, dass offenbar auch eine Pharmafirma Mitspracherechte bei den Ergebnissen hat.

Laut Unimedizin werden die Probanden informiert, dass die Studie gesponsort und die Daten vom Industriepartner genutzt werden können. „Die Studienteilnehmer werden über die Tatsache der Kooperation mit der Industrie und die Möglichkeit zum Austausch von anonymisierten Daten- und Biomaterialien aufgeklärt, dem sie widersprechen können“, erklärt sie. Offen bleibt, ob die Probanden darüber informiert werden, dass Boehringer Mitspracherechte bei Veröffentlichungen hat – was Folgen für ihre Einwilligung haben könnte.

Ärzten drohen standesrechtliche Strafen

Für die beteiligten Mediziner könnte es berufsrechtliche Konsequenzen haben, wenn sie Dritten wie Boehringer Ingelheim das Recht einräumen, über die Veröffentlichung von Studienergebnissen zu entscheiden: Die in den Berufsordnungen angeführte „Deklaration von Helsinki“ des Weltärztebundes schreibt vor, dass Ergebnisse von Forschung am Menschen zu veröffentlichen sind.

Laut dem Medizinethiker Urban Wiesing, der auch den Weltärztebund sowie die Bundesärztekammer in derartigen Fragen berät, müssten Ärzte sicherstellen, dass sie jegliche Ergebnisse veröffentlichen dürfen – unabhängig ob eine Firma Geschäftsgeheimnisse oder Patentprobleme geltend macht. „Die Praxis, negative Ergebnisse nicht zu publizieren, wie auch die Praxis, Veröffentlichungen durch bestimmte Verträge zu verhindern, stehen nicht im Einklang mit der Deklaration von Helsinki“, erklärt er gegenüber DAZ.online.

Geheimhaltung ist übliche Praxis

Im ARD-Beitrag werden Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht, wie Universitäten mit Industrie-Verträgen umgehen: Fast alle Hochschulen halten die jeweiligen Verträge unter Verschluss. Oft verweisen sie dabei auf die Freiheit der Forschung und Lehre, aufgrund derer sie die Klauseln nicht veröffentlichen müssten, oder machen Geschäftsgeheimnisse der fördernden Unternehmen geltend. 

Der ARD-Beitrag ist in der Mediathek abrufbar.

Update: Der Hinweis auf das Logo Boehringers wurde nachträglich ergänzt.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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