Vibrionen

Killerbakterien aus dem Meer

Stuttgart - 22.07.2016, 10:55 Uhr

Getrübte Strandidylle: Mit steigenden Wassertemperaturen steigt die Gefahr für das Auftreten von Vibrionen-Infektionen. (Foto: UsedomCards.de / Fotolia)

Getrübte Strandidylle: Mit steigenden Wassertemperaturen steigt die Gefahr für das Auftreten von Vibrionen-Infektionen. (Foto: UsedomCards.de / Fotolia)


Meldungen über „fleischfressende  Bakterien“ kommen derzeit vom Golf von Mexiko. Doch auch an der Ostseeküste werden Vibrionen immer wieder nachgewiesen. 2014 gab es sogar Todesfälle. „Wird Baden in der Ostsee bald zur tödlichen Gefahr?“, titelten manche Tageszeitungen. Was hat es mit den „Killerbakterien" auf sich?

Vibrionen sind fakultativ anaerobe, gramnegative Stäbchenbakterien aus der Familie der Vibrionazeen. Zur Gattung gehören verschiedene Spezies, zwölf davon sind derzeit als humanpathogen bekannt, darunter der Erreger der Cholera, Vibrio (V.) cholerae, sowie V. vulnificus. Letzterer Art sind die „fleischfressenden Ostseebakterien“ zuzuordnen.

Das Krankheitsbild richtet sich nach der Eintrittspforte. Werden Vibrionen über die Nahrung oder das Trinkwasser aufgenommen, verursachen sie gastrointestinale Symptome. Gelangen die Bakterien über die Haut in den Körper, zum Beispiel über offene Wunden, führen sie zu schweren Wundinfektionen und Sepsis.

Bestandteil der natürlichen Bakterienflora des Meeres

Vibrionen sind mäßig bis ausgeprägt halophil (salzbedürftig) und natürlicher Bestandteil der Bakterienflora salzhaltiger Meerwässer. Sie vermehren sich insbesondere bei Wassertemperaturen über 20°C, bei niedrigeren Temperaturen befinden sie sich vor allem im Meeresboden. Steigt die Wassertemperatur über diesen Wert, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Vibrionen an der deutschen Ostseeküste nachgewiesen werden. Auch in der Nordsee wurde der Erreger in den vergangenen Jahren immer wieder gefunden. Obwohl Infektionen mit Bakterien der Gattung Vibrio verhältnismäßig selten sind, erregen sie aufgrund ihres teilweise dramatischen Ausgangs oft einiges Aufsehen – so eben auch 2014 an der Ostsee oder derzeit am Golf von Mexico. 

In der Ostsee steigende Fallzahlen

Bereits seit 1985 werden im Bereich der Ostsee-Anrainerstaaten steigende Fallzahlen registriert. So stiegen die Infektionen von absolut deutlich unter zehn Fällen auf etwa 20 bis 30 Fälle pro Jahr (2010) an. Im Jahre 2005 wurde der absolute Ausnahmewert mit etwas über 60 Fällen registriert. Auch in diesem Jahr sind bereits Badegäste erkrankt. Für die Ostsee wird dabei eine weitere Zunahme der Fälle prognostiziert, da vor allem V. vulnificus hier mit dem relativ geringen Salzgehalt und den allgemein steigenden Wassertemperaturen der Meere günstige Wachstumsbedingungen vorfindet. In der Nordsee sind vor allem Bereiche mit Süßwasserzufluss gefährdet, da dort der Salzgehalt reduziert ist.

Neben V. vulnificus wurden im Ostseeraum auch noch andere Vibrio-Arten nachgewiesen. So erkrankten im Sommer 2006 mehrere Personen an Wundinfektionen durch nicht Toxin-produzierende V. cholerae. Die Toxin-produzierenden Serotypen von V. cholerae, die die klassische Cholera auslösen können, werden in deutschen Gewässern aber nicht gefunden.

Risikofaktor offene Wunden

Besonders gefährdet sind Menschen mit chronischen Vorerkrankungen, geschwächtem Immunsystem und offenen Wunden. Ganz kleine Läsionen reichen als Eintrittspforte offenbar aus. Ende Juni erst verlor ein Mann im US-Bundesstaat Mississippi ein Bein, nachdem er im seichtem Wasser gefischt hatte. Er soll sich Medienberichten zufolge über eine winzige Wunde infiziert haben.

Gefährdete sollten den Kontakt mit warmem Meerwasser meiden. Die Infektionen entstehen, wenn geschädigte Haut mit kontaminiertem Meer- oder Brackwasser in Kontakt kommt oder durch Schalentiere verletzt wird. Die Inkubationszeit für Infektionen mit V. vulnificus beträgt 12 bis 72 Stunden. Ohne adäquate Therapie kann sich die Infektion schnell ausbreiten und zu ausgedehnten Nekrosen führen, aus denen sich dann eine Sepsis entwickeln kann. Im schlimmsten Fall endet diese tödlich.

Frühzeitige Therapie ist entscheidend

Wegen des fulminanten Verlaufs ist es entscheidend, frühzeitig eine antibiotische Therapie einzuleiten. Ärzte sollten daher in allen Teilen Deutschlands bei Patienten, die gerade vom Meer zurückgekehrt sind und entsprechende Symptome aufweisen, an eine mögliche Vibrionen-Infektion denken.

Folgende Therapie-Optionen stehen zur Verfügung:

  • Kombination aus einem Tetracyclin und einem Cephalosporin der dritten Generation
  • alternativ ein Fluorchinolon
  • bei Kindern, da hier Tetracyclin und Fluorchinolone kontraindiziert sind, wird die Kombination von Cotrimoxazol mit einem Aminoglykosid empfohlen.

Meist sind zusätzlich chirurgische Eingriffe notwendig, bei denen das nekrotische Gewebe abgetragen wird. Wenn die Infektion zu spät behandelt wird, sind Amputationen oft unvermeidlich.

Infektionsquelle Meerestiere

Auch in Meerestieren (Miesmuscheln und Garnelen) der niedersächsischen Nordsee wurde bei bakteriologischen Routineuntersuchungen V. vulnificus nachgewiesen. Bei Gesunden ruft der Verzehr eine Gastroenteritis hervor, deren Verlauf meist mild ist. Bei Älteren oder Patienten mit Lebererkrankungen oder geschwächtem Immunsystem (beispielsweise durch Diabetes) kann es wenige Stunden nach Verzehr kontaminierter Lebensmittel zu einer primären Sepsis mit Multiorganversagen kommen. Diese Lebensmittel-bedingten Infektionen, sei es durch Verzehr nicht durchgegarter Meerestiere oder durch Verletzungen bei der Zubereitung, spielen aber eher in wärmeren Klimazonen eine Rolle. Bei den Erkrankungen im Ostseeraum sind die Haupteintrittspforten Hautverletzungen.

Keine explizite Meldepflicht

Eine explizite Meldepflicht besteht derzeit für Infektionen mit Nicht-Cholera-Vibrionen nicht. Sie sind aber nach § 6 Satz 1, Nr. 5a des Infektionsschutzgesetzes als weitere bedrohliche Krankheit meldefähig. Ärzte, die die entsprechende Diagnose stellen, sollten daher das zuständige Gesundheitsamt informieren, damit Schutzmaßnahmen wie Badeverbote eingeleitet werden können.

Dieser Beitrag erschien in erster Fassung in DAZ 2014, Nr. 37. 



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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